Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Zeitgeschichte in Hessen - Daten · Fakten · Hintergründe

Eröffnung der Flugpost an Rhein und Main, 10. Juni 1912

Der Offizier Ferdinand von Hiddessen (1887–1971) absolviert einen der weltweit ersten amtlichen Postflüge1 von Frankfurt am Main nach Darmstadt und Worms (Rheinhessen).2 Als Transportmittel dient die von dem in Darmstadt ansässigen Flugpionier und Motorflugzeugfabrikanten August Heinrich Euler (1868–1957) konstruierte „Flugmaschine Nr. 33 Gelber Hund“, ein offener Doppeldecker aus Stahl, Holz und Leinwand, der seinen Namen aufgrund der gelben Farbgebung (einschließlich gelb bespannter Tragflächen) erhält.3 Von Hiddessen, Leutnant im Darmstädter Leib-Dragoner-Regiment Nr. 24, startet um 19:04 Uhr von Frankfurt-Niederrad nach Darmstadt. Seine Fracht: 40 Kilogramm Postsendungen, die im Rahmen einer Wohltätigkeitsaktion zugunsten der (großherzoglichen) „Landeszentrale für Mütter- und Säuglingspflege“4 befördert werden.

Flugpost für jedermann

Im Rahmen der von Eleonore zu Solms-Hohensolms-Lich (1871–1937) angeregten, offiziell „Postkartenwoche der Großherzogin“ betitelten Aktion ist es vom 10. bis 23. Juni 1912 für jedermann möglich, mit dem Erwerb erstmals eigens für diesen Zweck gedruckter (halbamtlicher) Flugpostmarken und Flug-Postkarten5 Luftpost zwischen Frankfurt, Darmstadt, Worms, Mainz und Offenbach am Main transportieren lassen. Der Transport erfolgt im „Gelben Hund“ und durch das Zeppelin-Luftschiff „Schwaben“ der Deutsche Luftschiffahrts-Aktiengesellschaft (DELAG).

Zehntausende begeisterte Zuschauer

Hiddessen bewältigt die 27 Kilometer lange Strecke nach Darmstadt in 13 Minuten und 27 Sekunden. Die Starts und Landungen in Darmstadt finden bei den im Rahmen der „Postkartenwoche“ veranstalteten Flügen nicht auf dem 1908 von August Euler gepachteten und als ersten Flugplatz in Deutschland eingerichteten Griesheimer Sand, sondern auf dem Darmstädter Exerzierplatz (Nähe Hindenburgstraße und Holzhofallee) statt, der wie der Griesheimer Platz häufig als Flugplatz genutzt wird. Dort erwarten schätzungsweise mehr als 15.000 Schaulustige seine Ankunft. Nach einem Postaustausch startet der Offizier mit nunmehr 79 kg Postsendungen weiter nach Worms, wo er gegen 21 Uhr eintrifft. Hiddessen absolviert in der „Flugmaschine 33“ am 13., 17. und 22. Juni weitere Postflüge. Das Luftschiff, das am 19. Juni zunächst seine Teilnahme an der Beförderung beendet, kehrt am 23. Juni noch einmal nach Frankfurt zurück, da es nicht möglich ist, die Masse der eingegangenen Postsendungen bis zum Abschluss der Veranstaltungswoche(n) mit dem Flugzeug zu befördern.

Großer finanzieller Erfolg

Insgesamt bringt die am 9. Juni eröffnete und offiziell am 23. Juni beendete „Postkartenwoche“ (die „Schwaben“ führt am 24. oder 27. Juni nochmals eine abschließende Postfahrt durch) die enorme Summe von 100.000 Mark ein. 460.700 Postkarten werden befördert. Der Reingewinn der Flugwoche von 35.000 Mark fließt an das im Juni 1911 eröffnete Eleonorenheim in der Heinheimerstraße in Darmstadt.
(KU/OV)


  1. Die erste (nicht amtlich genehmigte) Beförderung von Luftpost mit dem Flugzeug in Deutschland fand bereits am 14. Februar 1912 statt, als der Pilot Hermann Pentz in einem „Libelle“-Flugzeug von Hans Grade gegen 16 Uhr im brandenburgischen Bork in die acht Kilometer entfernte Ortschaft Brück (Landkreis Zauch-Belzig) startete. Die Luftpostfracht (darunter nach zeitgenössischen Zeitungsberichten Grußschreiben an Kaiser Wilhelm II. und Kronprinz Heinrich von Preußen, den Post- und Verkehrsminister, den Landrat und die Kaiserliche Oberpostdirektion) wurde von Hans Grade mit einem Stempel versehen, der die Aufschrift enthielt: „Flugpost Bork und Umgebung durch Gradeflieger“. Der Unternehmer, der 1905 die Grade-Motoren-Werke GmbH in Magdeburg gegründet hatte und 1909 nach Borg gezogen war, ließ auch eine Luftpost-Briefmarke drucken und verteilte diese unentgeltlich, allerdings ohne Genehmigung der Kaiserlichen Reichspost. Die erste offiziell durch die Kaiserliche Reichspost genehmigte Luftpostbeförderung fand am 19. Mai 1912 im Anschluss eines von der Ortsgruppe Mannheim des Deutschen Luftflotten-Vereins, dem Mannheimer Verein für Luftschifffahrt „Zähringen“ und dem Mannheimer Flugsport-Klub veranstalteten Flugtags zwischen Mannheim und Heidelberg statt. Aus diesem Anlass wurden von den Verkehrsvereinen Mannheim und Heidelberg eine offizielle „Erste Deutsche Luft-Post“-Karte zum Preis von 20 Pfennigen verkauft, die auf dem Fluggelände oder in der Stadt Mannheim in einen Spezial-Briefkasten eingeworfen werden musste. Vgl. Mannheimer Morgen: morgenweb.de: Neckarau: Erste Luftpost ab Mannheim (eingesehen am 26.8.2012). Den weltweit ersten durch eine Postbehörde unterstützten Flug zur Beförderung von Luftpost führte der französische Pilot Henri Pequet aus Anlass einer Kunst- und Gewerbeausstellung in der Statd Allahabad im nordindischen Bundesstaat Uttar Pradesh in den etwa acht Kilometer südlich des Zentrums gelegenen Stadtteil Naini durch.
  2. Ferdinand von Hiddessen erlernte 1910 bei August Euler das Fliegen. Am 31. Dezember 1910 erhielt er das Piloten-Zeugnis Nr.47 des Deutschen-Luftfahrt-Verbandes. Euler selbst war zu Beginn desselben Jahres der erste Absolvent der amtlich vorgeschriebenen, international gültigen Pilotenprüfung in Deutschland. Sein am 1. Februar 1910 ausgestelltes Flugzeugführerpatent trug die Registrierung „Deutschland Nr. 1“.
  3. Der „Gelbe Hund“ wird von einem 70 PS starken Gnome 7-Zylinder Motor angetrieben, der dem etwa 9 Meter langen und 262 kg schweren Flugzeug eine Geschwindigkeit von rund 70 km/h (bei Windstille) verleiht. Die Spannweite der Maschine beträgt an der oberen Tragfläche 10,5 Meter. Ein detailgetreues (verkleinertes) Modell des „Gelben Hund“ kann heute (2012) im Heimatmuseum der Stadt Griesheim besichtigt werden.
  4. Das großherzogliche Paar übernahm 1908 mit der am Anfang des Vorhabens stehenden „Ernst Ludwig- und Eleonorenstiftung“ die Schirmherrschaft über die Landeszentrale und brachte als Grundstock 50.000 Mark ein. Ziel ist es, die hohe Säuglingssterblichkeit von über 20 % zu vermindern. Zu diesem Zweck werden in den folgenden Jahren landesweit Informationsschriften verbreitet und pflegerische Einrichtungen und Beratungsstellen errichtet (so zum Beispiel das 1911 eingerichtete Eleonorenheim und die am 1. Oktober 1912 eröffnete Universitäts-Kinderklinik in Gießen), in denen Ärzte den Müttern praktische Hilfe anbieten und aufklärend gegen wesentliche Ursachen der Säuglingssterblichkeit – vor allem geringe Stillbereitschaft und mangelhafte Hygiene – vorgehen. Darüber hinaus koordiniert die Landeszentrale die Schulung von Pflegerinnen („Eleonorenschwestern“), die die Wöchnerinnen besuchen, beraten und die Verteilung gespendeter Säuglingsausstattung an arme Familien übernehmen. Vgl. Grimm, Immo / Lettgen, Bernhard: 100 Jahre Darmstädter Kinderkliniken Prinzessin Margaret, o. O., o. J. [Online-Ressource] (eingesehen am 26.8.2012), S. 3-11.
  5. Diese müssen das reguläre Postkartenporto von 5 Pfennigen tragen und zusätzlich mit einer Luftpost-Marke frankiert werden. Zu den genauen Einzelheiten der Vorbereitung und Organisation, sowie des Ablaufs der Flugpostbeförderung vgl. ausführlich: Flugpost am Rhein und am Main: zur Postkartenwoche der Großherzogin von Hessen und bei Rhein vom Montag, 10. Juni bis Sonntag, 23. Juni 1912 zwischen den Städten Darmstadt, Frankfurt am Main, Offenbach am Main, Mainz und Worms [Klaus Dziuk] (eingesehen am 10.6.2020). Dort auch zahlreiche Abbildungen der verwendeten Postkarten und Postwertzeichen.
Belege
Weiterführende Informationen
Hebis-Klassifikation
5580, Postwesen
Hebis-Schlagwort
Frankfurt am Main ; Darmstadt ; Worms ; Luftpost; Geschichte 1912
Empfohlene Zitierweise
„Eröffnung der Flugpost an Rhein und Main, 10. Juni 1912“, in: Zeitgeschichte in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/edb/id/423> (Stand: 10.6.2022)
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