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Absturz zweier Bundeswehrflugzeuge in Nordhessen und Behinderung der Presseberichterstattung, 14. Januar 1959

Beim Absturz von zwei Fluggeräten der Heeresflieger in Nordhessen kommen sieben Bundeswehrangehörige ums Leben. Fünf Soldaten werden zum Teil schwer verletzt.

Der erste Unfall ereignet sich in der Gemarkung von Crainfeld (Gemeinde Grebenhain, Vogelsbergkreis), etwa 18 Kilometer südwestlich von Lauterbach.

Notlandung eines Schulungsflugzeugs bei Crainfeld

Ein mit vier Personen besetztes Schulungsflugzeug vom Typ Dornier DO 27, dessen Motor in etwa 200 Meter Höhe aussetzt, überschlägt sich bei der Notlandung auf freiem Feld, nachdem das Heck der Maschine in einer Ackerfurche hängen bleibt. Die vier an Bord befindlichen Unteroffiziere werden schwer verletzt. Nach Ansicht der Polizei wird ein noch schwereres Unglück nur durch die an diesem Tag bestehende hohe Schneedecke auf dem Gelände verhindert. Die einmotorige DO 27, ein Übungs- und Verbindungsflugzeug mit Kurzstarteigenschaften („Short-Take-Off-and-Landing“, kurz: STOL), gilt sonst als eine der sichersten Bundeswehrmaschinen. Sie ist das einzige von den Heeresfliegern benutzte Flächenflugzeug und steht dort seit 1957 in Dienst.

Tödlicher Unfall des Rettungshubschraubers bei Schwarzenborn

Ein zweiter Unfall ereignet sich kurz darauf tragischerweise bei einem Hilfseinsatz für die verunglückte Dornier. Ein Transporthubschrauber des Heeresfliegerkommandos Fritzlar stürzt auf dem Weg nach Lauterbach in der Nähe des Boglerhauses am Knüllköpfchen1 im dichten Nebel ab. Aus dem Wrack des Vertol H 21-Helikopters (Spitzname „Fliegende Banane“ aufgrund des mittig geknicktem Rumpfes und den in Tandem-Konfiguration angeordneten Rotoren), der nach dem Aufschlag explodiert und in Flammen aufgeht, können sieben der acht Insassen nur noch tot geborgen werden. Ein weiterer Angehöriger des SAR-Rettungsteams der H-21, der beim Aufprall aus der Maschine herausgeschleudert wird, wird von amerikanischen Soldaten der nahebeiliegenden Radarstation geborgen und in die Hephata-Klinik in Treysa verbracht, wo der Obergefreite jedoch bald seinen schweren Verletzungen erliegt.

Der Unfallort wird von Feldjägern des nahe gelegenen Truppenübungsplatzes Schwarzenborn hermetisch abgeriegelt. Dabei kommt es zu einem Zusammenstoß zwischen Staatsmacht und herangeeilten Presseberichterstattern, der in der Folge für weiteres Aufsehen sorgt.

Ein Neukirchener Amtsrichter will die Presseberichterstattung verhindern

Als die Reporter die Überreste des Transporthubschraubers aus der Nähe fotografieren wollen, gibt es Krach: ein Feldwebel nimmt dem Mitarbeiter einer Kasseler Zeitung kurzerhand den Film fort. Anschließend verbieten Feldjäger und Landpolizisten auf Geheiß des vor Ort die Unglücksstelle inspizierenden aufsichtsführenden Richters am Amtsgericht Neukirchen kategorisch jegliches Photographieren des „militärischen Objekts“.2 Um jede weitere bildliche Berichterstattung über den Absturz zu unterbinden, formuliert der Neukirchener Jurist eine Beschlagnahmeverfügung, die am Abend des 14. Januar über Fernschreiber verbreitet wird:
Aus Anlaß des Flugzeugunfalls werden die Photos nebst Abzügen und Druckstöcken vorläufig beschlagnahmt, weil sie als Beweismittel von Bedeutung sein können. Mit der Beschlagnahme der genannten Gegenstände und Durchsuchung der Photolabore, Photographen, Redaktionen und Druckereien der Tageszeitungen, die in Treysa, Bad Hersfeld, Marburg, Kassel und Homberg erscheinen, sind die Polizeidienststellen beauftragt.
Juristische oder sachliche Gründe für diesen Vorstoß liegen jedoch aus Sicht der Pressevertreter nicht vor. Die als Beweismittel beschlagnahmten bzw. unterdrückten Fotos können gemäß der amtlichen Strafprozessordnung (Paragraph 94) durch die Behörden sichergestellt werden, sofern sich ihre Urheber oder Besitzer nicht freiwillig zur Herausgabe bereit erklären. Nach Darstellung der am 23. Januar über die Vorgänge am Knüllköpfchen berichtenden Wochenzeitung DIE ZEIT hätte sich jedoch keiner der bedrängten Photoreporter […] geweigert, Abzüge seiner Bilder zur Verfügung zu stellen, wenn er darum gebeten worden wäre.3

Die Initiative des Amtsrichters verläuft schließlich im Sande: der drangsalierte Fotograf des Kasseler Blattes erhält nach kurzer Zeit auf Anordnung der Bundeswehr den ihm entwendeten Film zurück. Kassels Polizeipräsident Dr. Günter Wetzel, bei dem etwa zur gleichen Zeit die Verfügung aus Neukirchen einläuft, ist nicht bereit, seine Beamten zur Durchsuchung der Redaktionen auszuschicken, ohne dass die rechtliche Grundlage für das avisierte Vorgehen einer kritischen Prüfung unterzogen wird. Ein Telefongespräch des Kasseler Polizeipräsidenten mit dem in dieser Sache zuständigen Marburger Oberstaatsanwalt Philipp Weitzel führt zur Aufhebung der amtsrichterlichen Verfügung.

Der Absturz der Vertol H-21 auf dem Knüllköpfchen ist der bis Anfang 1959 schwerste Absturzunfall der im Aufbau befindlichen Bundeswehr. Im Verlauf des Jahres verunglücken insgesamt 35 Soldaten bei Flugunfällen der Bundeswehr in Deutschland und im Ausland tödlich. Allein am 14. Januar kommt es noch zu einem weiteren Absturz eines Bundeswehrflugzeugs in Schleswig-Holstein. Ein sich auf dem Weg zu seinem Heimatstützpunkt in Schleswig-Jagel befindlicher Jet der Bundesmarine gerät in dichtes Schneetreiben und stürzt beim Instrumentenlandeanflug in nur drei Kilometer Entfernung zur Landepiste in der Nähe der benachbarten Gemeinde Lottorf (Kreis Schleswig-Flensburg) ab. Der Pilot der Sea Hawk F.100 des in Jagel stationierten Marinefliegergeschwaders (MFG) 1, O.Leutnant zur See Horst Rademacher, kommt bei dem Unfall ums Leben.
(KU)


  1. Das Boglerhaus, ein Schulungszentrum des Schwalm-Eder-Kreises und heute als Jugendherberge genutzt, wurde in unmittelbarer Gipfelnähe des Knüllköpfchens an der Stelle der ehemaligen Bogler Kate errichtet, die dem Maler Friedrich Wilhelm Bogler (1902–1945) ab Ende der 1920er Jahre als Wohnstatt diente.
  2. DIE ZEIT 4/1959, 23.1.1959, S. 7 (Stand: 30.6.2012).
  3. Ebd. (Stand: 30.6.2012).
Belege
Weiterführende Informationen
Hebis-Schlagwort
Heeresfliegereinheiten
Empfohlene Zitierweise
„Absturz zweier Bundeswehrflugzeuge in Nordhessen und Behinderung der Presseberichterstattung, 14. Januar 1959“, in: Zeitgeschichte in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/edb/id/4556> (Stand: 14.1.2023)
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