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Verwüstung der Synagoge und jüdischer Einrichtungen in Kassel, 7. November 1938

Mit der Verwüstung der Synagoge in Kassel beginnen die Pogrome gegen jüdische Gotteshäuser, Gemeindezentren und Geschäfte in Nordhessen. Am Abend dringen etwa 30 Personen in Zivilkleidung (nach Aussage eines Augenzeugen auffälligerweise „alle mit den gleichen Stiefeln“) in die Synagoge in der Unteren Königsstraße ein und schleppen Teile der Inneneinrichtung und Ritualien (unter anderem die Thorarolle) auf den Vorplatz des Gebäudes. In Beisein zahlreicher neugieriger Zuschauer werden die aufgetürmten Kult- und Einrichtungsgegenstände angezündet und verbrannt. Das Gebäude selbst, am 8. August 1839 eingeweiht und stilbestimmend für zahlreiche weitere Synagogenbauten unter anderem in Frankfurt am Main (1853) und Mannheim (1855) bleibt unbeschädigt.1 Die Kasseler Stadtverwaltung fasst jedoch am 11. November 1938 den Beschluss, die Synagoge „abtragen“ zu lassen, um einer angeblich bestehenden „Parkraumnot“ zu begegnen.

Im Verlauf der Ausschreitungen, die von kurz vor 22 Uhr bis etwa 1 Uhr nachts andauern, werden weitere jüdische Einrichtungen in der Kasseler Innenstadt durch das Pogrom in Mitleidenschaft gezogen. Bereits gegen 21:45 Uhr dringt eine größere Gruppe von Personen in das nach der nationalsozialistischen „Machtergreifung“ 1933 zuvor schon einmal verwüstete jüdisch-orthodoxe Café Heinemann (Moltkestraße) ein und zerstört es völlig. Im Anschluss zieht die – einem dramatisierenden Bericht der Gestapo zufolge etwa tausendköpfige2 – Menschenmenge weiter zur Synagoge. Das dritte Ziel, das an diesem Abend von der aufgeputschten Menge heimgesucht wird, ist das jüdische Schul- und Gemeindezentrum in der Großen Rosenstraße (Nr. 22). Die Einrichtung des Gebäudes, das neben der jüdischen Volksschule auch die Gemeindeverwaltung und zahlreiche Vereins- und Versammlungsräume beherbergt, wird komplett zerstört. Inventar wird auf die Straße geworfen, die Gemeindeakten werden entwendet. Ihren Abschluss finden die Ausschreitungen schließlich mit der Beschädigung von Schaufenstern und Inventar von 20 jüdischen Geschäften.

Außer in Kassel kommt es am späten Abend des 7. November 1938 bzw. in der Nacht auf den darauffolgenden Dienstag noch in weiteren Gemeinden im Kreis Kassel (Zierenberg) und im Kreis Rotenburg (Rotenburg an der Fulda, Bebra, Sontra und Alheim-Baumbach) zu ähnlichen Pogromen.
(OV/KU)


  1. Offenbar wurden von den unbekannten Tätern, die vermutlich der Kasseler Gestapo und den SS-Kommandos in Arolsen zuzurechnen sind, innerhalb der Synagoge Feuer gelegt, die bald aber wieder gelöscht werden mussten, da bei der dichten Bebauung der Innenstadt ein gefährliches Übergreifen der Flammen nicht auszuschließen war.
  2. Vgl. Kropat, Kristallnacht in Hessen, S. 22.
Belege
Hebis-Klassifikation
635210, Judenverfolgung
Hebis-Schlagwort
Reichspogromnacht
Empfohlene Zitierweise
„Verwüstung der Synagoge und jüdischer Einrichtungen in Kassel, 7. November 1938“, in: Zeitgeschichte in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/edb/id/796> (Stand: 7.11.2022)
Ereignisse im Oktober 1938 | November 1938 | Dezember 1938
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