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Verfügung des Landrats von Kirchhain zur Abschiebung von Sinti und Roma, 13. April 1926

Der Landrat von Kirchhain fordert die Polizeiverwaltung in Amöneburg auf, Sinti und Roma abzuschieben: „In letzter Zeit ist die Wahrnehmung gemacht worden, dass umherziehende Banden durch unberechtigtes Lagern auf Gemeindeplätzen, Betteln, u.s.w. sich lästig machen und durch die Landjägereibeamten abgeschoben werden müssen. Nach den bestehenden Bestimmungen betr. Bekämpfung des Zigeunerunwesens kann die Ortspolizeibehörde die Anweisung verfügen, sobald die Zigeuner1 sich lästig machen.

Wenn sich umherziehende Zigeuner einer Straftat schuldig machen, so sind sie unnachsichtlich zur Bestrafung zu bringen. Die Polizeibehörden haben dabei ihr Augenmerk nicht nur auf die Zigeunerbanden, sondern auch auf diejenigen einzelnen inländischen Personen zu richten, welche nach ihrer äußeren Erscheinung, Lebensweise und Beschäftigungsart (Kesselflicker, Händler mit Blech und Drahtwaren, Pferdehändler, Gaukler u.s.w.) als Zigeuner anzusprechen sind. Hierbei ist zu prüfen, ob sie sich nicht zwecklos im Lande umhertreiben und dass sie nicht die Absicht haben, sich um die Erlangung eines redlichen Erwerbs zu bemühen. Auf § 6 des Gesetzes vom 12. Februar 1850 betr. Androhung einer Exekutivstrafe mache ich aufmerksam. Auch können die Transportkosten, Strafen u.s.w. sofort von den Zigeunern zwangsweise eingezogen werden.2

Obwohl Sinti und Roma spätestens seit dem 19. Jahrhundert bürgerliche Rechte besitzen, erfahren sie als gesellschaftliche Randgruppe konstante Diskriminierung, Verfolgung und Ausgrenzung. Die gesellschaftliche Integration wird durch entsprechende Erlasse praktisch unmöglich gemacht. Die Verfügung des Kirchhainer Landrates bezieht sich auf ein Gesetz vom 12. Februar 1850, das die strukturelle Diskriminierung von Sinti und Roma und in diesem Fall eine Abschiebung erlaubt.
(NT)


  1. Der zeitgenössisch geläufige Begriff „Zigeuner“ als Fremdbezeichnung für Sinti und Roma wird im heutigen Sprachgebrauch als diskriminierend gewertet, weshalb abgesehen von Quellenzitaten die Eigenbezeichnung „Sinti und Roma“ zu verwenden ist.
  2. Verfügung des Landrats von Kirchhain zur Abschiebung von Sinti und Roma, 13. April 1926, in: Digitales Archiv Marburg, Verfolgung der Sinti und Roma in Hessen von der frühen Neuzeit bis nach dem II. Weltkrieg, HStAM 330 Amöneburg A 1059.
Belege
Weiterführende Informationen
Empfohlene Zitierweise
„Verfügung des Landrats von Kirchhain zur Abschiebung von Sinti und Roma, 13. April 1926“, in: Zeitgeschichte in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/edb/id/5584> (Stand: 9.12.2022)
Ereignisse im März 1926 | April 1926 | Mai 1926
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