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Aussprache zu geplanten Kernreaktorbauten im Rhein-Main-Gebiet bei der PreußenElektra in Hannover, 28. November 1955

Auf der Generalversammlung der Preußischen Elektrizitäts Aktiengesellschaft („Preußen-Elektra“) in Hannover (Niedersachsen) werden Pläne zur Errichtung eines Atomkraftwerkes im Rhein-Main-Gebiet diskutiert. Neben den Vertretern des Stromversorgers, der in Nordhessen zu den wichtigsten Energielieferanten der dort ansässigen Industrie zählt, nehmen Wissenschaftler und der Energiereferent des hessischen Wirtschaftsministeriums an der Aussprache teil.

Nach Ansicht von Professor Boris Rajewsky (1893–1974), Leiter des Max-Planck-Instituts für Biophysik an der Frankfurter Universität und Berater der Deutschen Atomkommission, kristallisierten sich gegenwärtig für den Standort Hessen zwei Projekte heraus (ein in Frankfurt mit Unterstützung der Farbwerke Hoechst vorgesehener „Spielmeiler“, der vor allem zur Herstellung von Radioisotopen für biologische, medizinische und chemische Untersuchungen genutzt werden könnte, und ein von der Technischen Hochschule Darmstadt gewünschter Forschungsreaktor, der gleichzeitig zur Ausbildung von Atomingenieuren dienen soll), die aber bei Reaktorbaukosten von 40 bis 50 Millionen DM angesichts gedrosselter Investitionsmöglichkeiten allein schon finanziell ein schwierig zu lösendes Problem darstellten. Nach Ansicht der Landesregierung könnte Hessen die Errichtung von Atommeilern keinesfalls im Alleingang stemmen. Ein weiteres gravierendes Hindernis sei der Mangel an geeigneten Nachwuchswissenschaftlern auf dem Gebiet der Kernenergieforschung. Während in den Vereinigten Staaten etwa 30.000 bis 40.000 solcher Fachkräfte zur Verfügung stünden, müsse sich die Bundesregierung deutschlandweit mit zwei bis drei Dutzend solcher Experten begnügen. Bereits der geplante Atommeiler am Forschungszentrum in Karlsruhe – der erste, der in der Bundesrepublik nach einem aus dem Inland stammenden Konzept und in eigener Verantwortung entstehen soll – absorbiere den gegenwärtig zur Verfügung stehenden Nachwuchs mehr oder weniger vollständig. Überdies sei zu berücksichtigen, dass die Erzeugung von Atomstrom derzeit noch teurer sei als die herkömmliche Energiegewinnung über Wasserkraft- oder Kohlekraftwerke. Auch der nur geringe Bestand an Uranvorkommen in der Bundesrepublik müsse als Hürde bei der Realisierung von Kernenergieanlagen beachtet werden. Dennoch bestehe angesichts der schnell schwindenden Kohlevorräte die Notwendigkeit, die Kernspaltung als zukünftiges Mittel der Energiegewinnung weiterzuentwickeln.
(KU)

Belege
  • Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29.11.1955, S. 4: Atomprojekte im Rhein-Main-Gebiet: Pläne der Industrie / Schwierige Finanzierung / Die Wissenschaftler fehlen
Empfohlene Zitierweise
„Aussprache zu geplanten Kernreaktorbauten im Rhein-Main-Gebiet bei der PreußenElektra in Hannover, 28. November 1955“, in: Zeitgeschichte in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/edb/id/4909> (Stand: 28.11.2020)
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