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Hinrichtung Wilhelm Leuschners in Berlin-Plötzensee, 29. September 1944

Der frühere hessische Innenminister Wilhelm Leuschner wird wegen maßgeblicher Mitwirkung an der Vorbereitung des Staatsstreichversuchs vom 20. Juli in Berlin-Plötzensee hingerichtet.

Leuschner, der sich bereits als 17-Jähriger gewerkschaftlich engagierte und 1913 in die SPD eintrat, wurde 1919 Stadtverordneter in Darmstadt und Vorsitzender des dortigen Gewerksschaftbundes. 1924 zog er als Abgeordneter der SPD in den Landtag des Volksstaates Hessen ein. 1927 übernahm er eine Funktion als Vertreter der Arbeitnehmerinteressen im Verwaltungsrat der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung. Von 1928 bis April 1933 bekleidete er die Position des Innenministers im Volksstaat Hessen. Der in der Landtagsfraktion seiner Partei als Fachmann für Polizeifragen geltende Leuschner erwarb sich in dieser Funktion den Ruf eines entschlossenen Verteidigers der demokratischen Verfassung.

Im November 1931 veröffentlichte er die Pläne für eine gewaltsame Übernahme der politischen Macht durch Mitglieder der NSDAP („Boxheimer Dokumente“) und entlarvte damit den vordergründigen Anspruch auf Legalität der Nazipartei als bloße Fassade. Der sich auf diese Weise als entschiedener Gegner der Nationalsozialisten positionierende Politiker, der im November 1932 auch den stellvertretenden Vorsitz des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbunds (ADGB) übernahm und im darauffolgenden Januar in dessen Bundesvorstand gewählt wurde, war im April 1933 gezwungen, sein Amt als hessischer Innenminister aufzugeben. Leuschner wurde im Mai und erneut im Juni 1933 als führender Kopf der Gewerkschaftsbewegung von den Nationalsozialisten inhaftiert1, die Freien Gewerkschaften und der ADGB als ihr Dachverband Anfang Mai 1933 gewaltsam zerschlagen. Wilhelm Leuschner kam erst nach einjähriger Haft in einem Konzentrationslager wieder frei.

In den darauffolgenden Jahren arbeitete er am Aufbau von Netzwerken gewerkschaftsnaher Widerstandsgruppen, unterhielt Kontakte zum Kreisauer Kreis um Helmuth James Graf von Moltke (1907–1945) und Peter Graf Yorck von Wartenburg (1904–1944) und schloss sich als Vertreter der gewerkschaftlichen Widerstandsbewegung 1939 auch dem konservativen Zirkel des zivilen Widerstands um Carl Friedrich Goerdeler (1884–1945) an. Nach dem missglückten Attentat auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944 und dem am selben Tag gescheiterten Umsturzversuch stellte sich Leuschner am 16. August 1944 den NS-Behörden, nachdem diese seine Frau Elisabeth (geb. Batz, 1885–1971) als Geisel inhaftiert hatten.

Unter Vorsitz von Roland Freisler (1893–1945) wurde er am 8. September gemeinsam mit Carl-Friedrich Goerdeler, Ulrich von Hassel (1881–1944), Paul Lejeune-Jung (1882–1944) und Josef Wirmer (1901–1944) vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt.
(OV/KU/LV)


  1. Leuschner war nach seiner vorläufigen Freilassung gezwungen worden, als international hohes Ansehen genießender Gewerkschaftsführer zusammen mit dem Leiter des NS-Arbeitnehmer-Einheitsverbandes Deutsche Arbeitsfront (DAF) Robert Ley (1890–1945) an den Sitzungen des Internationalen Arbeitsamtes (IAA) in Genf teilzunehmen. Entgegen der eigentlichen Intention der Nationalsozialisten, durch Leuschner die internationale Anerkennung der DAF als Gewerkschaftsorganisation zu erreichen, schwieg dieser jedoch demonstrativ vor den ausländischen Kollegen und bestätigte damit den Vorwurf massiver Unterdrückung der freien Arbeiterbewegung. Daraufhin wurde Wilhelm Leuschner nach seiner Rückkehr aus Genf erneut verhaftet.
Belege
Weiterführende Informationen
Empfohlene Zitierweise
„Hinrichtung Wilhelm Leuschners in Berlin-Plötzensee, 29. September 1944“, in: Zeitgeschichte in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/edb/id/878> (Stand: 4.10.2022)
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