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Georg-Büchner-Preis an Heiner Müller, 18. Oktober 1985

Für „sein dramatisches Werk, das in der schmerzenden Wut seiner bildkräftigen Sprache Rebellion und Tradition vereint, und für seine unbequeme Theaterarbeit, mit der er das zeitgenössische Theater und sein Publikum unnachgiebig provoziert“,1 erhält der Dramatiker Heiner Müller (1929–1995) den Georg-Büchner-Preis der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung.2

Müller lebt in der DDR und gilt als einer der renommiertesten zeitgenössischen deutschen Dramatiker, seine Stücke zählen zu den meistgespielten und sind international bekannt. In seinen Texten setzt sich Heiner Müller mit den Schwierigkeiten des Aufbaus einer sozialistischen Gesellschaft auseinander oder zeichnet düstere „Phantasmagorien der Ausweglosigkeit und Verzweiflung“ der deutschen Vergangenheit, wobei er stets einer marxistischen Weltanschauung treu bleibt.3

In seiner Lobrede auf den Preisträger versucht sich Helmut Krapp an einer umfassenden Charakteristik des dramatischen Werkes und schließt mit den Worten: „Loben kann man ja nur ein Gedicht, das den Regeln gemäß verfaßt ist, die auch für alle anderen vorgeschrieben sind; so stellt sich schnell heraus, wer bei der Anwendung der Regeln der Beste ist. Sonst nichts. Ein Werk, das wie Ihres so zwingend und notwendig in der Zeit ist, von ihr gezeichnet und sie zeichnend, existiert einfach, es ist da ohne Wenn und Aber. Mit Lob kommt man ihm nicht bei. Dafür ist es einfach zu wichtig und zu groß geraten.“4 Heiner Müller selbst ruft in seiner Dankrede die anhaltende Relevanz Georg Büchners Figur „Woyzeck“ in Erinnerung: „Immer noch rasiert Woyzeck seinen Hauptmann, ißt die verordneten Erbsen, quält mit der Dumpfheit seiner Liebe seine Marie, staatgeworden seine Bevölkerung, umstellt von Gespenstern: Der Jäger Runge ist sein blutiger Bruder, proletarisches Werkzeug der Mörder von Rosa Luxemburg; sein Gefängnis heißt Stalingrad, wo die Ermordete ihm in der Maske der Kriemhild entgegen tritt; ihr Denkmal steht auf dem Mamaiahügel, ihr deutsches Monument, die Mauer, in Berlin, der Panzerzug der Revolution zu Politik geronnen.5

Die Verleihung des Georg-Büchner-Preises findet wie jedes Jahr im Rahmen der Herbsttagung der Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt statt. Sie behandelt in diesem Jahr das Thema „Sprachtheater. Über das Machen von Literatur“ und beinhaltet diverse Vorträge und öffentliche Sitzungen. Eine für alle Interessierte zugängliche Lesung Heiner Müllers fand bereits am 16. Oktober in der Orangerie in Darmstadt statt.6 Der Georg-Büchner-Preis wurde 1923 von der hessischen Regierung ins Leben gerufen und wird seit 1951 als Literaturpreis von der Akademie für Sprache und Dichtung verliehen. Die Preisverleihung bildet seitdem traditionell den Höhepunkt der Herbsttagung.7
(NT)


  1. Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung: Auszeichnungen: Georg-Büchner Preis.
  2. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29.4.1985, S. 25: Heiner Müller.
  3. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21.10.1985, S. 27: Herbsttagung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung.
  4. Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung: Auszeichnungen: Georg-Büchner Preis: Heiner Müller: Laudatio.
  5. Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung: Auszeichnungen: Georg-Büchner Preis: Heiner Müller: Dankrede.
  6. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.10.1985, S. 36: Öffentliche Sitzungen der Darmstädter Akademie.
  7. Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung: Auszeichnungen: Georg-Büchner Preis.
Belege
Weiterführende Informationen
Empfohlene Zitierweise
„Georg-Büchner-Preis an Heiner Müller, 18. Oktober 1985“, in: Zeitgeschichte in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/edb/id/5561> (Stand: 18.10.2022)
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