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Verpachtung des Wiesbadener Kinderheims „Antoniusheim“ an den nationalsozialistischen „Lebensborn“-Verein, 13. September 1939

Das katholische Kinderheim „Antoniusheim“ am Bahnholz in Wiesbaden wird vom „gleichgeschalteten“ Vorstand des Trägervereins für die Dauer von 99 Jahren an den von der SS getragenen nationalsozialistischen Verein „Lebensborn e. V.“ verpachtet.

Erst Kinder-, dann Entbindungsheim

Nach kleineren Umbaumaßnahmen eröffnet der „Lebensborn e. V.“ dort im selben Jahr unter dem Namen „Kinderheim Taunus“ ein Kinderheim mit 55 Betten. 1941 und 1942 erweitert der Verein das Areal der Einrichtung durch den Erwerb benachbarter Grundstücke. Das „Kinderheim Taunus“ schließt allerdings im November 1941 aufgrund der „katastrophalen Umstände“ die im Haus herrschen, seine Pforten. Nach Renovierung und Umbau dient das ehemalige Kinderheim ab 1943 als Entbindungsheim. Die Unterlagen des „Hauses Taunus“ werden am Kriegsende vernichtet. Nachbeurkundungen belegen jedoch, dass die vermutlich erste Entbindung dort am 2. Oktober 1943 und die letzte am 13. März 1945 durchgeführt wird. Die Anzahl der für das „Haus Taunus“ (nach-)beurkundeten Geburten beläuft sich auf 25 im Jahr 1943, 192 im Jahr 1944 und 251 im Jahr 1945. Das Haus nimmt gegen Kriegsende vermehrt Mütter, Kinder und Personal aus „Lebensborn“-Heimen auf, die aufgrund der Kriegsereignisse aufgegeben wurden. In den letzten Kriegsmonaten wird die Einrichtung auch zum Ausweichort für die Entbindungen vieler nicht dem „Lebensborn“-Programm zuzurechnender Wiesbadener Mütter, da die städtische Frauenklinik alliierten Bombenangriffen zum Opfer fällt. Schätzungsweise erblicken im „Haus Taunus“ bis Kriegsende insgesamt etwa 500 Kinder das Licht der Welt.

Staatliche Geburtenförderung außerehelicher „arischer“ Kinder

Der staatlich geförderte „Lebensborn“-Verein verfolgt das Ziel, auf Grundlage der SS-internen Vorstellungen zu Fragen der „Rassenhygiene“ und „Gesundheitspflege“, die Geburtenrate „arischer“ Kinder, insbesondere aus außerehelichen Verbindungen, durch gezielte Unterstützung lediger Mütter zu erhöhen. Daneben verantwortete der Verein „Lebensborn“ die Verschleppung als „arisch“ angesehener Kinder in den besetzten Gebieten, die unter Verschleierung ihrer wahren Identität in den „Lebensborn“-Heimen im Deutschen Reich untergebracht werden, um sie schließlich im Sinne einer „Eindeutschung“ zur Adoption an regimetreue Familien freizugeben. Anstoß zur Gründung des Vereins „Lebensborn e. V.“ gab der Umstand, dass alleinstehende Frauen im Falle einer Schwangerschaft aufgrund der vorherrschenden Moralvorstellungen durch gesellschaftlichen Druck oft zur Abtreibung gezwungen wurden oder nach der Geburt eines Kindes aus den sozialen Gefügen ausgestoßen wurden.
(KU)

Belege
Hebis-Schlagwort
Lebensborn e. V.; Geschichte
Empfohlene Zitierweise
„Verpachtung des Wiesbadener Kinderheims „Antoniusheim“ an den nationalsozialistischen „Lebensborn“-Verein, 13. September 1939“, in: Zeitgeschichte in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/edb/id/4611> (Stand: 13.9.2021)
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