Zeitgeschichte in Hessen - Daten · Fakten · Hintergründe

Die russische Zarenfamilie zu Gast im Schloss von Friedberg, 30. August 1910

Zar Nikolaus II. von Russland (1868–1918) und seine Familie treffen für einen achtwöchigen Kur- und Ferienaufenthalt in Friedberg ein. Dazu wird das in der Burg der Stadt befindliche Schloss des Großherzogs Ernst Ludwig (1868–1937; der der Bruder der Ehefrau von Zar Nikolaus II., Alix von Hessen-Darmstadt, ist) in Friedberg zur Aufnahme des russischen „Hoflagers“ umgebaut. Dazu wird die gesamte Burg geräumt, um den Gästen ausreichend Sicherheit garantieren. Zur Vorbereitung veranlasste Großherzog Ernst Ludwig obendrein eine Renovierung und Erweiterung der Gemächer des Schlosses. Über den Empfang des Zaren im Fürstenpavillon des Bahnhofs berichtet der „Frankfurter General-Anzeiger“ am folgenden Tag: „Vor dem Fürstenpavillon pflanzt sich ein helmbuschgeschmückter Doppelposten von der Leibkompanie des Regiments des Großherzogs (115. in Darmstadt) auf.“ Der Großherzog erscheint in einem schwarzen Gehrock und mit steifem Hut, die Großherzogin trägt eine weiße Robe und einen Federhut. Unmittelbar nach dem Halt des Zuges und eilt Großherzog Ernst Ludwig seiner Schwester entgegen, „küßt sie mehrfach und drückt ihr lange die Hand.“ Dann erfolgt die Begrüßung des Zaren, der in einen grauen Reiseanzug gekleidet ist. Auf seinem Kopf sitzt ein Filzhut. „Nach dem Begrüßungsakt wurde nicht länger im Fürstenpavillon verweilt.“¹ Grund für den mehrere Wochen langen Aufenthalt ist der angegriffene Gesundheitszustand von Zarin Alix. Ihr soll eine Kur im benachbarten Bad Nauheim Linderung bringen.

Die mit 3,9 Hektar Grundfläche ausgesprochen große Burganlage (eine der größten innerhalb Deutschlands) wurde in den Jahren 1171 bis 1180 erbaut; das im Stil der Hochrenaissance erbaute Schloss entstand 1604 bis 1610.
(KU/LV)

1. Zitiert nach Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 19.8.1990, S. 19: Für Kaiser, Zar und Großherzog – Die Noblen ließen sich eigene Bahnhöfe bauen / Von Wolfgang Janisch. ↑