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Geheimer Bericht des Sicherheitsdienstes der SS zum verstärkten Frauenstudium an deutschen Hochschulen, 20. September 1943

Der Sicherheitsdienst der SS beschäftigt sich in seinem geheimen Bericht zu Inlandsfragen mit dem verstärkten Frauenstudium an den deutschen Hochschulen, einer der gegenwärtig stärksten und auffallendsten Strukturveränderung im deutschen Hochschulleben. Obwohl die Wehrmacht im Sommersemester 1943 den Studienurlaub (bis auf Ausnahmen) gesperrt habe, sei die Zahl der Studierenden kaum zurückgegangen und liege im Reich zur Zeit bei fast 80.000. Diese Entwicklung könne nur mit einem verstärkten Zugang weiblicher Studierender erklärt werden. An einer Reihe von Universitäten sei die Zahl weiblicher Studierender inzwischen höher als die der männlichen. In Marburg zum Beispiel stehen 883 Männern 1.169 studierende Frauen gegenüber. Noch deutlicher werde diese Entwicklung durch die Zahlen der Studienanfänger. In Marburg etwa hätten im Sommersemester 1943 82 Männer das Studium aufgenommen, aber 337 Frauen. Vor allem in den Kulturwissenschaften sei die Zahl der weiblichen Studierenden um ein Vielfaches höher als die der Männer (im Reich: 1.751 Männer gegenüber 8.900 Frauen).
Zu dem sehr notwendigen und erwünschten Frauenstudium gibt der Bericht dann unterschiedliche Positionen wieder, die aus den Hochschulen laut wurden:

Ein Teil der Hochschullehrer klagt darüber, daß sich diese Mädchen eben nicht wie Männer in der Wissenschaft bewegten. Die Mehrzahl der Studentinnen wolle eben vom Universitätsdozenten wie von einem Lehrer an einer höheren Schule mit sicherer Hand durch das zu bewältigende Wissensgebiet bis zu den examensmäßig verlangten Grenzen geführt werden. Andere wieder wiesen daraufhin, daß beispielsweise die Stoffinteressen der Studentinnen in den Geisteswissenschaften, auf dem Gebiet der Literatur, der Kunst und der Geschichte oftmals ganz andere seien als die der Studenten. Man sehe sich gezwungen, wenn ein Kolleg zu Dreiviertel aus Studentinnen bestehe, die Vorlesung anders anzulegen, als wenn man nur Studenten vor sich habe. Wieder andere Hochschullehrer, die vor allem die Nachwuchslage nicht übersehen, sind der Auffassung, daß man für die Beteiligung der Frauen am Hochschulstudium den numerus clausus einführen solle; wieder andere schlagen eine Ausleseaktion vor usw.

Die hohe Frauenquote an den deutschen Hochschulen veranlasst die Berichterstatter, Fragen zum weiteren Vorgehen der Hochschulen zu formulieren: 1. Soll wie bisher die Wahl der Fächer freibleiben oder der Nachwuchsstrom etwas planvoller, vor allem auf die Fächer des dringlichen Nachwuchsbedarfs gelenkt werden, so z. B. insbesondere auf das Studium für das höhere Lehrfach?
2. Soll der Universitätsbetrieb, der bisher ganz auf den Stil der Männer zugeschnitten war, unverändert weitergeführt werden oder müssen Formen gefunden werden, die die Mentalität und das Wesen der Frau in der Erfassung und Bearbeitung geistiger Dinge berücksichtigen? Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für den Vorlesungs- und Seminarbetrieb, gegebenenfalls für die Studiumsordnungen der einzelnen Fächer selbst?
3. Soll wie bisher darauf verzichtet werden, die Studentinnen, die die Hochschule mit oder ohne Examen verlassen, planvoll einer Berufsverwendung zuzuführen oder soll im Hinblick auf eine ökonomische Verwendung der ausgebildeten Intelligenz in einem Volke eine stärkere Berufslenkung und ein planvoller Berufseinsatz dieser ausgebildeten Frauen eingerichtet werden?

(OV)

Belege
Empfohlene Zitierweise
„Geheimer Bericht des Sicherheitsdienstes der SS zum verstärkten Frauenstudium an deutschen Hochschulen, 20. September 1943“, in: Zeitgeschichte in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/edb/id/4723> (Stand: 21.9.2020)
Ereignisse im August 1943 | September 1943 | Oktober 1943
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