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Konstituierende Sitzung des „Air Attack on Dams Committee“ in Großbritannien, 11. April 1941

Das „Air Attack on Dams Committee“, das die Pläne zur Bombardierung von sechs deutschen Talsperren in der Nacht vom 16. auf den 17. Mai 1943 („Operation Chastise“) ausarbeitet, tritt erstmals zusammen. Die konstituierende Sitzung der Kommission, die die praktische Umsetzung von Ideen des britischen Ingenieurs Barnes Neville Wallis (1887–1979) diskutiert, findet unter dem Vorsitz von Sir David Randall Pye (1886–1960), Direktor der Scientific Research Abteilung im Luftfahrtministerium (Air Ministry) statt. Als Hauptziel wird zu Beginn der Planungen die Möhne-Talsperre (nach ihrer Fertigstellung kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs die größte Stauanlage in Europa) festgelegt.

Wallis, Mitarbeiter des britischen Maschinenbau- und Rüstungskonzerns Vickers-Armstrongs, Ltd. hatte im März 1941 einen Entwurf vervollständigt, der in etwa 100 Exemplaren unter dem Titel „A note on the method of attacking the Axis powers“ an politische und militärische Entscheidungsträger verteilt wurde. Seine Ideen, darunter seine Vorschläge zur technischen Realisierbarkeit der Zerstörung von Talsperren, wurden von einer eigens einberufenen Kommission begutachtet.

Die von Wallis vorgelegte rund 50 Seiten umfassende Arbeit enthält Vorschläge zur Bombardierung massiver Objekte der deutschen Industrie-, Verkehrs- und Energie-Infrastruktur, darunter Talsperren, Eisenbahnknotenpunkte und Schleusenanlagen. Ziel der Planungen sollte insbesondere die Unterbrechung der den deutschen Industrieanlagen von außen zugeführten Energie- und Wasserressourcen sein. Wallis konzipierte zu diesem Zweck Sprengkörper, die bei der Detonation eine möglichst große Schockwelle auslösen, und auf diese Weise auch die vielfach als eigentlich unzerstörbar angesehenen1 Talsperren verletzbar machen. Das von Wallis zu diesem Zweck erdachte Modell einer 10-Tonnen-Riesenbombe herkömmlicher Bauart (eine Idee, die von ihm später weiterverfolgt wurde und zur Entwicklung der immerhin 5,4 Tonnen schweren „Tallboy“-Fliegerbombe führte, mit deren Hilfe die Royal Air Force zwischen September und November 1944 das deutsche Schlachtschiff Tirpitz in Norwegen bekämpfte) wurde in Ermangelung eines geeigneten Trägerflugzeugs, welches einen solchen Sprengkörper aus großer Höhe hätte abwerfen müssen, verworfen. Stattdessen konzentrierte man sich auf die ebenfalls von Barnes Wallis erdachte Konstruktion der „Rollbombe“, einer walzenförmige Bombe, die vor dem Abwurf in eine Rückwärtsdrehung versetzt wird und – aus einiger Entfernung, aber geringer Flughöhe abgeworfen – wie ein flacher Kieselstein über die Wasseroberfläche springt. Die Rollbomben kommen schließlich in der Nacht auf den 17. Mai 1943 zum Einsatz und zerstören nicht nur die Möhne-Talsperre sondern auch die ebenfalls angegriffene Edertalsperre. Durch die ausgelöste Flutwelle werden unter anderem Pumpspeicherkraftwerke bei Hemfurth und das Laufwasserkraftwerk in Affoldern schwer beschädigt. In Affoldern wird die Hälfte aller Häuser zerstört. Es sterben dort 14 Menschen. Die Auswirkungen der Bombardierung sind der Eder entlang östlich, über Fritzlar hinaus bis nach Kassel sichtbar.
Bereits 1938 hatten Mitarbeiter des britischen Bomber Commands Pläne zur Zerstörung von Talsperren vorgelegt („Air attacks on reservoirs and dams“), die im mit militärischen Angelegenheiten befassten Air Ministry diskutiert wurden. Trotz der allgemein Anerkennung findenden Vorstellung, mit gezielten Luftangriffen auf Talsperren auf einen Schlag dieselben zerstörerischen Effekte zu erzielen, wie mit zahllosen Angriffen auf Einzelobjekte entlang der industriellen Produktionskette, verfügte die Royal Air Force vorerst nicht über entsprechende Mittel, um solche Vorstellungen durch konkrete Maßnahmen zu unterstützen.2 Das „Air Attack on Dams Committee“ tritt bis 1942 insgesamt drei mal zusammen.
(KU)


  1. Deutsche Militärexperten im Reichsluftfahrtministerium hatten die schweren Mauern der großen deutschen Talsperren tatsächlich für unzerstörbar gehalten, vgl. Helmuth Euler, Wasserkrieg: 17. Mai 1943 – Rollbomben gegen die Möhne-Eder-Sorpe-Staudämme, Stuttgart 2007, S.14.
  2. Vgl. Douglas C. Dildy, Dambusters: Operation Chastise 1943, Oxford 2010 [fehlende Seitenzählung].
Belege
Empfohlene Zitierweise
„Konstituierende Sitzung des „Air Attack on Dams Committee“ in Großbritannien, 11. April 1941“, in: Zeitgeschichte in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/edb/id/4586> (Stand: 27.11.2022)
Ereignisse im März 1941 | April 1941 | Mai 1941
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