Zeitgeschichte in Hessen - Daten · Fakten · Hintergründe

Georg-Büchner-Preis an Golo Mann, 26. Oktober 1968

Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung verleiht den diesjährigen Georg-Büchner-Preis an den Historiker und Essayist Golo Mann (1909–1994). Der Sohn des Literaturpreisträgers Thomas Mann (1875–1955) wird von der Akademie mit den Worten geehrt: „an Golo Mann, der mit historischer Forschung eine seltene Ausgewogenheit des Urteils und Meisterschaft der Darstellung verbindet. Außerdem hat er als wahrhaft politischer Geist die Diskussion über Gegenwartsfragen entschieden und wesentlich gefördert.“¹

Am Vorabend der Preisverleihung, anlässlich der Herbsttagung der Deutschen Akademie für Sprache und Forschung, las Golo Mann einen Ausschnitt aus seinem noch unveröffentlichten Roman „Wallenstein“, einer Biographie über Albrecht von Wallenstein, den Herzog von Friedland und bedeutenden Feldherr während des Dreißigjährigen Kriegs, dem sich schon Schiller in seinem gleichnamigen Drama widmete. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtet über die Lesung Golo Manns: „Man darf sich auf ein außergewöhnliches Buch gefaßt machen, dessen Ausschnitte sein erstes Publikum bezauberten, fesselten fast wie Kinder, denen bei Märchen die Zeit verfliegt. Freilich las Golo Mann kein Märchen, vielleicht zuweilen Märchenhaftes, auf jeden Fall aber aus der Geschichte eines der eigentümlichsten, rätselhaftesten Beweger deutscher und tschechischer Geschichte. Golo Manns Kunststück ist es, daß er dem Zuhörer und später dem Leser Zug um Zug die Mittel zeigt, mit denen er dieses Rätsel einer düsteren Karriere und eines gefährlichen Charakters zu lösen versucht.“²

Als Dankesrede zur Verleihung des Büchner-Preises und einem Preisgeld in Höhe von 10.000 DM am folgenden Tag zweifelt Golo Mann die historische Rezeption Georg Büchners an. Die F.A.Z. fasst zusammen: „Im Gegensatz zu der landläufigen, romantisch versicherten Legende über den Dichter des ‚Danton‘ stellte Golo Mann anheim, ob Büchner wirklich ein Revolutionär gewesen sei. Er trug sehr schwerwiegende Gründe vor, warum man das bezweifeln müsse: Für einen wirklichen Revolutionär sei Büchner zu ironisch, zu wissend, zu neurasthenisch, zu resignierend gewesen. Im Grunde habe Büchner nichts mit den ‚Eckenstehern der Geschichte‘, wie er die großen Männer genannt habe, im Sinne gehabt, sein im Grunde unpolitischer Geist habe ihn davon zurückgehalten, sich für etwas wie politischen Stil, sei er nun gut oder böse, zu interessieren.“ Er bricht damit mit der Tradition, die Dankesrede als eine Lobrede auf den Namensgeber des Preises zu gestalten und stellt das revolutionäre Wirken Büchners in historischen Ausführungen kritisch in Frage.

Der Georg-Büchner-Preis war ursprünglich ein Stiftungspreis des Landes Hessen, der ab 1923 an Dichter*innen, Künstler*innen, Schauspieler*innen und Sänger*innen verliehen wurde. Mit der Umwandlung des Preises durch die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung, ehrt er seit 1951 „Schrift­stellerinnen und Schrift­steller, die in deutscher Sprache schreiben, durch ihre Arbeiten und Werke in besonderem Maße hervor­treten und die an der Gestaltung des gegen­wärtigen deutschen Kultur­lebens wesentlichen Anteil haben.“³ Die Verleihung findet jährlich als Höhepunkt der Herbsttagung der Akademie in Darmstadt statt.
(NT)

1. Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung: Auszeichnungen: Georg-Büchner Preis: Golo Mann: Urkundentext. ↑
2. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28.10.1968, S. 24: Wallenstein und Büchner. ↑
3. Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung: Auszeichnungen: Georg-Büchner Preis. ↑