Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ Harry Heußner, Das Landsturm-Infanteriebataillon Hersfeld in Belgien, 1914-1918

Abschnitt 7: Ereignisse bis Juli 1916

[II,S. 98-99] Der Winter war noch nicht vergangen, als eine Truppenverschiebung in der Etappe vorgenommen wurde. Die 3. und 4. Kompanie mit dem Bataillonsstab kamen nach Lokeren, einer Stadt von

25 000 Einwohnern mit viel Textilindustrie, östlich von Gent und nahe der holländischen Grenze. Die 2. Kompanie wurde nach Dendermonde an der Schelde gelegt. Sie fand eine Ruinenstadt vor. Hart war die Stadt im September umkämpft worden. Die Belgier hatten geglaubt, mit der Verteidigung der durch alte Wälle und Gräben befestigten Stadt den Angriff auf den Fortgürtel von Antwerpen aufhalten zu können. Nach harten Kämpfen wurde sie von einer deutschen Marinedivision genommen. Von über 1500 Häusern standen nur noch 300. Mit dem Frühling kehrten auch die Bewohner in großen Scharen zurück, sodaß von den 11 000 Einwohnern etwa die Hälfte anwesend war. Soweit die noch erhaltenen Häuser nicht ausreichten, fanden sie in den Trümmern und Hintergebäuden ein Unterkommen. Die alten Festungswälle aber übersäte der Frühling mit Blumen.

Der Juli 1915 brachte der 3. und 4. Kompanie abermals eine nicht unerwünschte Veränderung: Sie wurden mit dem Bataillonsstab nach Gent verlegt, der Hauptstadt von Ostflandern an der Schelde und Lysmündung, die mit ihren Vororten über 200 000 Einwohner zählt. Der 4. Kompanie wurde der Justizpalast, der 3. die alte Universität als Unterkünfte zugewiesen. Alle vorhandenen Einrichtungen mußten sich den veränderten Umständen anpassen. Aus den Aktenschränken wurden Spinde, und wie gut ließen in den Schreibtischen die Liebesgaben aus der Heimat sich unterbringen. Das Stichflämmchen, das früher dem Herrn Physikprofessor beim Unterricht diente, brannte als „ewiges Lämpchen", damit zum Feueranmachen und Pfeifenanstecken stets Feuer zur Hand sei und man die kostbaren Streichhölzer spare.

Der Dienst war angenehm: 4 Tage Wachen in den zahlreichen Magazinen, Werkstätten, Pionierparks, sowie auf den Bahnhöfen, wechselten mit 4 Tagen Kompaniedienst. Freudiger Stolz erfüllt noch jetzt unsere Brust, wenn wir an die Wachtparaden auf dem Place d`armes, welche die Wachtperioden einleiteten, zurückdenken. Verstärkt durch Abteilungen anderer in Gent liegender Truppenteile traten wir mit 360 Mann an und waren stolz, wenn Richtung und Parademarsch klappten. In der viertägigen Ruheperiode brachten Exerzieren auf dem Industriegelände und kleine Felddienstübungen in der Umgebung von Gent, sowie Scharfschießen auf den Schießständen, willkommene Abwechslung.

[S. 99] In den Juli 1915 fällt noch ein Ereignis, auf daß wir mit freudiger Genugtuung zurückblicken: Die Gründung einer dreimal monatlich erscheinenden Zeitschrift „Der Landsturm". Wir verdanken sie der Tatkraft und dem Opfermut unseres Kameraden Wilhelm Neuhaus von der 1. Kompanie, Konrektor in Hersfeld, der die Schriftleitung übernahm. Die Zeitschrift hat sich bis in die ersten Zeiten unserer Verwendung in der Front, nämlich bis zum Spätherbst 1916, zu behaupten vermocht. Ein jeder, der das Blatt sorgsam aufbewahrt hat, blättert noch gern in ihm und läßt die Erinnerung an die Kriegszeit in Flandern im Geiste vorüberziehen; die Schilderungen in ihm werden auch unseren Kindern und Kindeskindern noch Kunde geben von der großen Zeit. Die Herausgabe des „Landsturm" erfolgte in Aalst. Kein Ort wäre hierfür auch geeigneter gewesen, als der Standort der 1. Kompanie, die hier in ziemlich geschlossener Formation Verwendung und dadurch auch die Möglichkeit gefunden hatte, den Kameradschaftsgeist zu pflegen und über ihren eigenen Kreis hinaus sich auch kulturell zu betätigen. Es mögen in dieser Hinsicht auch die Orgelvorträge unseres Kameraden Alfred Fischer aus Hersfeld in der St. Martinskirche rühmende Erwähnung finden.

Im Bestande der Kompanien traten im Laufe des zweiten Kriegsjahres mancherlei Veränderungen ein. Ernst waren die Stunden des Abschieds von so manchen guten Kameraden, die das Vaterland aus dem Etappendienst in die vorderste Linie berief. Im Juli 1916 fand der Etappendienst für das Bataillon überhaupt seine Beendigung, indem es an der Yserfront eingesetzt wurde.


Personen: Fischer, Alfred · Heußner, Harry · Neuhaus, Wilhelm
Orte: Aalst · Antwerpen · Belgien · Dendermonde · Gent · Hersfeld · Lokeren
Sachbegriffe: Gefallene · Liebesgaben · Ruinen · Verlegung · Zeitungen · Fotografien
Empfohlene Zitierweise: „Harry Heußner, Das Landsturm-Infanteriebataillon Hersfeld in Belgien, 1914-1918, Abschnitt 17: Ereignisse bis Juli 1916“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/44-7> (aufgerufen am 28.03.2024)