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Eklat bei Verleihung des Georg-Büchner-Preises an Erich Fried, 17. Oktober 1987

Bei der Verleihung des Georg-Büchner-Preises der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung im Staatstheater Darmstadt an den österreichischen Lyriker, Übersetzer und Essayisten Erich Fried (1921–1988) kommt es zu einem Eklat.

Fried, einer der bedeutendsten Vertreter politischer Lyrik im Nachkriegsdeutschland, greift in seiner Dankesrede im Anschluss an die Preisverleihung den Gedanken auf, was der Namenspatron des Preises, der aus dem hessischen Goddelau stammende Schriftsteller und Revolutionär Karl Georg Büchner (1813–1837), in der Bundesrepublik des Jahres 1987 zu sagen hätte, wie er politisch zum Staat stehen und in welcher Form er seine Opposition äußern würde:

„Es ist wahrscheinlich, daß dieser Zwanzigjährige sich in unserer Zeit zur ersten Generation der Baader-Meinhof-Gruppe geschlagen hätte – wenn auch keineswegs, ob er sich nicht wieder abgewendet hätte – und daß er heute im Gefängnis säße oder vor genau zehn Jahren, am 17. Oktober 1977, an einer ähnlichen Art Selbstmord gestorben wäre, wie es Baader, Ensslin und Raspe an diesem Tag widerfahren ist – und siebzehn Monate zuvor Ulrike Meinhof. Falls Büchner nicht schon bei der Verhaftung polizeilich erschossen worden wäre, natürlich nur in Notwehr oder in putativer Notwehr.“

Fried konfrontiert das konsternierte Publikum nach diesem provokativen Vergleich mit einer weiteren hochbrisanten Äußerung, als er auf das Schicksal einiger Roma-Familien in Darmstadt zu sprechen kommt, die zu Beginn der 1980er Jahre nach Darmstadt zuzogen, deren Integration in die Stadt aber misslang und die zum Teil unter dem SPD-Oberbürgermeister Günther Metzger (1933–2013; bei der Ansprache Frieds im Saal anwesend) wieder ausgewiesen wurden. Fried kommentiert diesen Fall mit der Bemerkung, Darmstadt sei, nachdem mittlerweile auch der letzte der verbleibenden Roma die Stadt verlassen habe, jetzt romarein und setzt unterstreichend hinzu: „Das Wort ist dem Wort judenrein nachgebildet“. Daraufhin entbrennt eine heftige Auseinandersetzung zwischen Fried und Metzger. Der Oberbürgermeister bezeichnet die Rede des Preisträgers als „schlimm“ und voll von „Schmähungen und Verleumdungen“. Überdies hätte der Geehrte den Preis nicht annehmen dürfen, wenn er mit den gezogenen Parallelen von Terror und Staat auch vor einer „Aufforderung zur Gewalt“ nicht zurückschrecke.

1979/80 hatte die Stadt Darmstadt Bereitschaft signalisiert, die Roma materiell zu unterstützen. Die Integration der letztlich doch nur geduldeten Romafamilien, von denen man angenommen hatte, dass sie nach einiger Zeit weiterziehen würden, misslang schließlich. Nachdem die Stadt binnen zwei Jahren etwa 1,1 Millionen DM für die Versorgung der Roma und die wiederholte Instandsetzung der ihnen zur Verfügung gestellten Wohnhäuser ausgegeben hatte, ordnete der mittlerweile amtierende neue Oberbürgermeister Günther Metzger den Abriss eines verlassen geglaubten Roma-Hauses an – wegen angeblicher Seuchengefahr. Die nach mehreren Wochen Abwesenheit zurückkehrende Familie fanden schließlich nur noch die Trümmer ihrer Unterkunft vor. Der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma Romani Rose (geb. 1946) hatte daraufhin Metzger rassistisches Verhalten, Nazi-Methoden und „nationalsozialistischen Stürmer-Stil“ vorgeworfen. Rose beabsichtigte, im Rathaus einen Käfig voller Ratten zu präsentieren, um gegen die Politik der Stadt zu demonstrieren.1
(KU)


  1. Judith S. Ulmer, Geschichte des Georg-Büchner-Preises, S. 282.
Belege
Weiterführende Informationen
Empfohlene Zitierweise
„Eklat bei Verleihung des Georg-Büchner-Preises an Erich Fried, 17. Oktober 1987“, in: Zeitgeschichte in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/edb/id/1542> (Stand: 26.11.2022)
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