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Georg-Büchner-Preis für Heinrich Böll, 22. Oktober 1967

Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt verleiht im Rahmen ihrer viertägigen Herbsttagung den mit 10.000 DM dotierten Georg-Büchner-Preis an den deutschen Schriftsteller Heinrich Böll (1917–1985). Die Laudatio auf den gebürtig aus Köln stammenden Literaten hält der Schriftsteller Rudolf Hagelstange (1912–1984). Böll, der zu den profiliertesten Autoren der deutschen Gegenwartsliteratur zählt und seit Beginn der 1950er Jahre zahlreiche erfolgreiche (aber auch teils umstrittene) Romane und Erzählungen veröffentlichte, entwirft in seiner Dankesrede die Fiktion eines neuen „Hessischen Landboten“, des 1834 von Georg Büchner (1813–1837) verfassten Pamphlets gegen die sozialen Missstände seiner Zeit. Analogien zu dem Revolutionsaufruf in der deutschen Gesellschaft der Jetztzeit sieht Böll zahlreich vorhanden: „auch heute würden auf offener Straße in Deutschland Menschen von Amtspersonen getötet“. Die Schicksale des am 2. Juni des Jahres bei einer Demonstration gegen den Staatsbesuch des Schah von Persien Mohammad Reza Pahlavi (1919–1980) in Berlin erschossenen Studenten Benno Ohnesorg (1940–1967) und des im Juli 1967 von einem Bewacher in einem Kornfeld bei Blatzheim (Stadtteil von Kerpen in Nordrhein-Westfalen) auf der Flucht erschossenen Wehrpflichtigen Wilhelm „Willy“ Corsten (Corsten hatte sich aufgrund latenten Heimwehs und seiner ablehnenden Haltung gegenüber der Wehrverpflichtung wiederholt unbefugt von der Truppe entfernt) gemahnten an den Büchner-Freund Karl Minnigerode (1814–1894), der 1834 beim Verteilen des Hessischen Landboten in Gießen verhaftet und im alten Klosterkasernen-Gefängnis in Friedberg interniert worden war.

Doch brauche es dazu nicht der standesherrlich-fürstlichen Übermut: die Große Koalition sei selbstherrlich genug, der Feudalismus von neuen Hofschranzen überall erkennbar.1 Böll sieht im Mittelpunkt des von ihm visionierten neuen „Hessischen Landboten“ die Beschreibung einer Szene, die vor allen anderen fatal und „unwirklich“ gewesen sei: die öffentlichen Zeremonien beim Begräbnis des ersten deutschen Bundeskanzlers Konrad Adenauer (1876–1967; CDU) am 25. April, bei der Klerus und Militär, „die beiden Stände, die immer modern, immer gesellschaftsfähig gekleidet sind“ und die beide nicht gerade als Erfinder der Demokratie anzusehen seien, hätten diesem unheimlichen Schauspiel Farbe und Sinn gegeben. Der Schriftsteller lässt die unheilige Verstrickung beider in der Bemerkung kulminieren: „Für die Kreuzigung von Völkern wurden Kreuze als Auszeichnung verliehen.“2
(KU)


  1. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23.10.1967, S. 22.
  2. Ebd.
Belege
Weiterführende Informationen
Empfohlene Zitierweise
„Georg-Büchner-Preis für Heinrich Böll, 22. Oktober 1967“, in: Zeitgeschichte in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/edb/id/1240> (Stand: 22.10.2021)
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