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Bad Orb, Stalag IX B Wegscheide

Bad Orb, Gemeinde Bad Orb, Main-Kinzig-Kreis | Historisches Ortslexikon
Klassifikation | Nutzungsgeschichte | Indizes | Nachweise | Abbildungen | Zitierweise
Klassifikation

Kategorie:

Militär

Subkategorie:

Stalag 

Nutzungsgeschichte

Objektbeschreibung:

Das Stalag IX B Wegscheide war ein im Jahr 1939 eingerichtetes Lager aus 20 Holzbaracken für Kriegsgefangene, die zum Arbeitseinsatz eingeteilt wurden. Das Lager war eines von drei Stammlagern im Wehrbereich Kassel.

Beschreibung:

Im September 1939 beschlagnahmte das Oberkommando der Wehrmacht das Gelände der „Kindererholungsstätte Wegscheide GmbH“, auf der noch rund 20 Holzbaracken standen.

Zwei Monate später, im November 1939, wurde im Wald nahe Bad Orb, an der „Wegscheide“ das Lager Stalag XI B eingerichtet. Die noch existierenden Baracken wurden dabei mit Stacheldraht, Wachtürmen und Hundezwingern versehen. Zunächst wurden polnische und französische Kriegsgefangene in der Wegscheide untergebracht. Die Mehrheit der Inhaftierten in der Wegscheide waren französische Kriegsgefangene. Die monatlichen Bestandsmeldungen liegen für diese Gruppe zwischen 12.000 und 18.000 Personen.

Dem Lager waren mehrere kleine Lager an den jeweiligen Arbeitsplätzen untergeordnet. Die inhaftierten Kriegsgefangenen wurden zum Arbeiten in der Industrie oder in der Landwirtschaft eingesetzt. Aufgrund der harten Lebens- und Arbeitsbedingungen verstarben viele der Gefangenen. Im Stalag IX B Wegscheide waren seit Dezember 1941 auch russische Kriegsgefangene inhaftiert. Ihre monatliche Bestandsmeldung variierte zwischen 2.000 und 8.000 Gefangenen. Neben polnischen, französische und russischen Kriegsgefangenen internierte man in Bad Orb auch britische, belgische und jugoslawische Kriegsgefangene. Seit dem 1. Oktober 1943 kamen auch italienische Militärinternierte in das Lager, gegen Ende des Krieges auch gefangene amerikanische Soldaten. Die letzte Belegungszahl des Lagers stammt vom 1. Dezember 1944, als 20.770 Kriegsgefangene im Lager eingesperrt waren.

Viele der russischen Kriegsgefangenen des Stalags waren in der Frankfurter Maschienen- und Amaturenfabrik Alfred Teves und den Frankfurter Adlerwerken beschäftigt; d.h. sie waren nicht in Bad Orb selbst untergebracht, sondern in Lagern der Betriebe. Auch bei den Höchster IG Farben-Werken waren französische Kriegsgefangene aus Bad Orb im Arbeitseinsatz. Insgesamt waren rund 80 bis 90 % der im Lager Inhaftierten in der Industrie oder in der Landwirtschaft im Arbeitseinsatz.

Die Bedingungen im Lager selbst waren schlecht. Es gab insgesamt zu wenig Baracken und damit auch zu wenig Schlafplätze für die Gefangenen. Auch im Lager Wegscheide wurde die NS-Rassenlehre auf die Gefangenen angewandt: so gab es nur für Westeuropäische, nicht aber für osteuropäische Gefangene eine medizinische Versorgung. Die sowjetischen Gefangenen, die man als „bolschewistischen Untermenschen“ ansah, wurden entgegen den völkerrechtlichen Bestimmungen für Kriegsgefangene, in einem separaten „Russenlager“ untergebracht. Dort erhielten sie minderwertige Nahrung. Im Winter 1941/42 brach unter den russischen Gefangenen eine Typhusepidemie aus.

Nutzungsanfang (früheste Erwähnung):

1. Dezember 1939

Nutzungsende (späteste Erwähnung):

2.4.1945

Nutzung vor NS-Zeit:

Bereits im Ersten Weltkrieg waren an der Wegscheide Kriegsgefangene untergebracht gewesen. im Juli 1914 waren hier Unterkünfte für 9.000 Mann und ein großer Truppenübungsplatz errichtet worden. Um dieses Bauvorhaben zu realisieren wurden die Dörfer Villbach und Lettgenbrunn zerstört. Im Januar 1915 waren die ersten russischen Kriegsgefangenen in die Wegscheide gebracht worden. Nach dem Krieg wurde auf dem Gelände das „Kindererholungsstätte Wegscheide GmbH“ eingerichtet, die bis in den Sommer 1939 in Betrieb war.

Nutzung nach NS-Zeit:

Nach Kriegsende diente das Lager kurzzeitig als Internierungslager für belastete Nationalsozialisten.

Im Lager wurden außerdem Vertriebene aus der Tschechoslowakei untergebracht. Für 32 verstorbene Heimatvertriebene wurde ein kleiner Friedhof eingerichtet. Überlebende wanderten von hier u.a. nach Kanada aus.

1951 ging das Gelände wieder an die Stadt Frankfurt über und heute befindet sich das Schullandheim der Stadt Frankfurt auf dem ehemaligen Lagergelände. Drei Steinhäuser, die noch aus der Lagerzeit stammten, wurden auf dem Gelände des Schullandheims abgerissen.

Indizes

Orte:

Bad Orb

Sachbegriffe:

Stalag · Militär · Wirtschaft

Nachweise

Literatur:

Gedruckte Quellen:

Zitierweise
„Bad Orb, Stalag IX B Wegscheide“, in: Topographie des Nationalsozialismus in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/nstopo/id/1131> (Stand: 16.7.2022)