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Zeitgeschichte in Hessen - Daten · Fakten · Hintergründe

Ernst Ludwig Dietrich wird Evangelischer Landesbischof in Nassau-Hessen, 26. April 1934

Pfarrer Ernst Ludwig Dietrich (1897–1974) wird in der Marktkirche zu Wiesbaden in das Amt des Landesbischofs der Evangelischen Kirche Nassau-Hessen eingeführt. Auf Anordnung des Kreisleiters der NSDAP und des Wiesbadener Oberbürgermeisters, Alfred Schulte (1872–1957), wird Flaggenschmuck gezeigt; die Schulkinder der Stadt haben unterrichtsfrei um beim Einzug der Festversammlung in die Marktkirche vielköpfig Spalier zu bilden.

„Gleichschaltung“ Evangelischer Landeskirchen im Dreibund

Die Evangelische Kirche in Nassau-Hessen war am 12. September 1933 als Zusammenschluss der Evangelischen Landeskirche in Hessen (Darmstadt), der Evangelischen Landeskirche Frankfurt am Main und der Evangelischen Landeskirche in Nassau (preußische Provinz Hessen-Nassau) entstanden; ohne die Evangelischen Landeskirchen in Waldeck und in Hessen-Kassel, die vor dem Machtantritt der Nationalsozialisten ebenfalls an einem Zusammenschluss der insgesamt fünf evangelischen Landeskirchen im Gebiet Hessen und Hessen-Nassau interessiert waren. Mit der Ernennung Dietrichs zum Landesbischof der neuen Landeskirche durch Reichsbischof Ludwig Müller (1883–1945) am 6. Februar 1934 wurde die Vereinigung der drei Landeskirchen rechtskräftig. Am 12. April 1934 hatte die Landessynode der neuen Landeskirche einstimmig einer Eingliederung in die Reichskirche zugestimmt, und damit dem Wunsch der NS-Staatsführung entsprochen, die mit einer weitgehenden „Gleichschaltung“ ihren Einfluss auf die vorher selbstverwalteten Landeskirchen ausdehnen will.

Befürworter von „Arierparagraph“ und „Führerprinzip“

Der in Groß-Umstadt im Kreis Dieburg geborene Theologe und Orentalist Dietrich, der mit 36 Jahren das Amt des Landesbischofs in ungewöhnlich jungem Alter besetzt, besuchte nach dem Studium das Predigerseminar in Friedberg, wurde 1920 Pfarrassistent in Mainz und 1923 Pfarrer in der westlich von Mainz gelegenen Gemeinde Wackernheim. 1927 wechselte er auf eine Pfarrstelle in Hamburg-Barmbek; 1929 kehrte er zurück nach Hessen als Geistlicher an der Marktkirche zu Wiesbaden.

Der zuvor als Vertreter liberaler Positionen in der Kirche geltende Dietrich war 1932 der NSDAP beigetreten. Nach seinem Amtsantritt vertritt in der Landeskirche die Geltung der „Arierparagraphen“, auf deren Grundlage analog zu den entsprechenden staatlichen Gesetzen und Verordnungen Christen jüdischer Herkunft aus allen Kirchenämtern ausgeschlossen werden. Darüber hinaus befürwortet er die Unterordnung unter das NS-Führerprinzip. Der 1932 in Thüringen gegründeten und sich seit dem Machtantritt der Nationalsozialisten innerhalb der Deutschen Evangelischen Kirche (DEK) ausbreitenden Kirchenpartei der „Deutschen Christen“, die sich extrem an der NS-Ideologie orientiert und die Auflösung der 29 von Synoden regierten evangelischen Landeskirchen fordert, schließt er sich nicht an. Dietrichs Amtsführung stößt während seiner Zeit als Landesbischof auf erheblichen Widerstand seitens der Pfarrerschaft, den er durch Dienststrafen und willkürliche Versetzungen zu brechen versucht.

Entlassung als Landesbischof und Abkehr vom Nationalsozialismus

Der NS-Staat veranlasst Dietrich Ende 1935, unter Belassung seiner Amtsstellung als Landesbischof, auf seine Funktionen in der Leitung der Evangelischen Kirche Hessen-Nassau zu verzichten. Ab 1937 distanziert er sich zunehmend von den Nationalsozialisten wandelt sich zu einem entschiedenen Gegner Hitlers. 1938 übernimmt er die für den Landesbischof reservierte Pfarrstelle an der Marktkirche in Wiesbaden. Im darauffolgenden Jahr gründet er gemeinsam mit Vertretern anderer kirchlicher Gruppen, zu denen auch Angehörige der gegen die „Gleichschaltung“ der Deutschen Evangelischen Kirche im „Dritten Reich“ arbeitenden Bekennenden Kirche (BK) zählen, ein „Kirchliches Einigungswerk“. In diesem Zusammenhang erklärt Dietrich öffentlich, dass er nunmehr das Führerprinzip für die Kirche ungeeignet halte. Die Bekennende Kirche habe die vom Nationalsozialismus ausgehende Bedrohung früher erkannt und er bedaure die Bedrängung der sich widersetzenden Pfarrer in seiner Amtszeit als Landesbischof.
(KU)

Belege
Weiterführende Informationen
Hebis-Klassifikation
614410 ,Evangelische Kirchenverwaltung · 6142 ,Evangelische Kirchengeschichte
Hebis-Schlagwort
Evangelische Kirche in Hessen und Nassau ; Evangelische Landeskirche Nassau-Hessen ; Kirchenkampf ; Kirchenverfassung ; Kirchenpolitik ; Kirchenordnung ; Landeskirche ; Bekennende Kirche ;
Empfohlene Zitierweise
„Ernst Ludwig Dietrich wird Evangelischer Landesbischof in Nassau-Hessen, 26. April 1934“, in: Zeitgeschichte in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/edb/id/733> (Stand: 26.4.2023)
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