Zeitgeschichte in Hessen - Daten · Fakten · Hintergründe

Reichsverbandstag der Zentrumsjugend in Fulda, 18. Mai 1921

In Fulda findet der erste Reichsverbandstags der Jugendorganisation der katholischen Zentrumspartei, der sogenannten Windthorstbünde, statt.

Keimzelle einer Jugendorganisation der Zentrumspartei

Der Windthorstbund wurde 1895 von jungen Katholiken in Essen gegründet, um einer in ihren Augen zunehmenden Politikverdrossenheit entgegenzuwirken und im Sinne der Zentrumspartei politisch-erzieherisch Einfluss auf die katholischen Jugendverbände zu nehmen. Den Gründern des nach dem römisch-katholischen Politiker und Reichstagsabgeordneten Ludwig Windthorst (1812–1891) benannten Bundes in Essen folgten bald Gleichgesinnte in anderen Städten, die gleichnamige Vereine ins Leben riefen. Bis Mitte des Jahres 1900 entstanden so 31 lokale Vereinigungen, die sich nach der Aufhebung des Verbots zur Gründung überörtlich tätiger politischer Vereine¹ zu einem überregionalen Verband zusammenschlossen. Die Verbandszentrale des daraufhin in zwölf Gauverbände untergliederten Verbands wurde nach Köln verlegt. Die Aktivisten der Windthorstbünde widmeten sich vor dem Hintergrund ihrer Nähe zur Zentrumspartei der Schulung von jungen Zentrumsmitgliedern oder den mit der Partei sympathisierenden Jugendgruppenführern. Darüber hinaus sahen sie es als ihre Aufgabe an, das Zentrum im Kampf um Wählerstimmen zu unterstützen.

Gründung eines Reichsverbands als offizielle Jugendorganisation des Zentrums

Mit der heute und am morgigen 19. Mai abgehaltenen ersten reichsweiten Verbandstagung der Windthorstbünde, die vom Reichssekretariat der Zentrumspartei einberufen wurde, wird das Ziel verfolgt, mit dem Zusammenschluss der Windthorstbünde in einem Reichsverband eine offizielle, fest eingebundene Jugendorganisation der Zentrumspartei zu konstituieren. Der Reichstagsabgeordnete Dr. Anton Höfle (1882–1925) spricht zum Auftakt der Tagung zu den rund 200 anwesenden Delegierten über die Funktionen des Reichsverbandes. Im Prinzip die bereits seit Gründung des ersten Windthorstbundes bestehenden Grundsätze aufgreifend, soll im Mittelpunkt der Arbeit des Verbandes die staatsbürgerliche Erziehung und politische Schulung der Zentrumsjugend stehen. Zentrales Anliegen müsse dabei die nachhaltige Vermittlung bestimmter Grundhaltungen sein, nämlich die „Erfassung des wahren christlichen Geistes“, die „Liebe zum Deutschtum“ und das Bekenntnis zum „demokratischen und sozialen Gedanken“.² Die Delegierten bestimmen Anton Höfle, der als Direktor des Gesamtverbands Deutscher Beamtengewerkschaften (GDB) ein leitender Verbandsfunktionär der christlich-nationalen Beamten- und Angestellten-Gewerkschaften ist (später Reichspostminister und kommissarischer Leiter des Reichsministeriums für die besetzten Gebiete in der Regierung Stresemann), im Verlauf der Versammlung zum ersten Vorsitzenden des Reichsverbands, sein Stellvertreter wird Dr. Ernst Buhla (1891–1951).
(KU)

1. Durch das sogenannte Bundesvereinsgesetz vom 13. Juli 1854 („Maßregeln zur Aufrechterhaltung der gesetzlichen Ordnung und Ruhe im Deutschen Bunde, insbesondere das Vereinswesen betreffend“) wurde ein grundsätzliches Verbot aller politischen Vereine ausgesprochen. Standen dieser Bestimmung anderslautende Landesgesetze gegenüber, so galt die Bestimmung, dass kein lokaler Verein eine Verbindung mit einem anderen Verein eingehen durfte. Dieses Gesetz, ein Überbleibsel aus der nachrevolutionären Reaktionszeit des bis 1866 existierenden Deutschen Bundes, wurde 1899 durch die sogenannte Lex Hohenlohe, ein auf den deutschen Reichskanzler Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst (1819–1901) zurückgehendes verfassungsergänzendes Reichsgesetz aufgehoben. ↑
2. Zitiert nach Krabbe 1995, S. 67 f. ↑