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Eröffnung des 58. Kommunallandtages des Regierungsbezirks Kassel, 8. April 1929

In Kassel tritt der 58. Kommunallandtag des Regierungsbezirkes Kassel zusammen und wird vom Landtagskommissar der preußischen Staatsregierung, dem Oberpräsidenten der Provinz Hessen-Nassau Dr. Rudolf Schwander (1868–1950) eröffnet. Er führt aus:

Sehr geehrte Herren!
Namens der Preußischen Staatsregierung begrüße ich Sie bei Ihrem Zusammentritt zu dem diesjährigen, dem 58. Kommunallandtage des Bezirksverbandes des Regierungsbezirks Kassel.
Eine Beratung über öffentliche Verwaltung kann heute im weiten Deutschland nicht stattfinden und wird auf viele Jahre nicht stattfinden können, ohne daß äußere Not und Bedrängnis das Hauptwort führen, auch kaum ohne, daß Beschlüsse gefaßt werden, die wohl unter dem Drucke eines ganz außerordentlichen Zwanges unvermeidbar sind, die aber dennoch eine weitere Vermehrung der Lasten bedeuten, unter denen die Bevölkerung so schon leidet in bereits ungewöhnlichem Maße.
Auch der vorliegende Haushaltsentwurf Ihres Bezirksverbandes sieht eine Steigerung der Steuern vor, eine Höherbelastung der Kreise und Städte und wird deshalb angefochten. Man sieht in der steuerlichen Mehrbelastung, wie sie Ihr vorliegender Haushaltsentwurf fordert, ein weiteres Hemmungsmoment, für den in der Tat schon höchst schwierigen Wirtschaftsgang.
Auch die Staatsregierung richtet ihr Augenmerk sehr stark auf diesen Punkt. Ein gemeinsamer Erlaß des Innenministers und Finanzministers erklärt es für notwendig, daß die Gemeinden in ihrem Haushaltsplan auf stärkere Anspannung der Realsteuern verzichten und überhaupt eine weitere Belastung der Wirtschaft vermeiden. Es soll im Gegenteil auf Senkung der Realsteuern hingewirkt werden, auf Haushaltsausgleich durch rücksichtsloses Abstellen der nicht unbedingt notwendigen Aufgaben und Ausgaben, zumal da jetzt das Reich einen größeren Teil der Überweisungssteuern für sich fordert.
Der Erlaß wird allgemein sehr begrüßt. Er entspricht ja auch sehr dem Bilde unserer Wirtschaftslage, das zwischen tiefem Schatten nur wenig tröstliche Lichtpunkte zeigt. Die Arbeitslosigkeit erhebt sich in bedrohlicher Kurve; das Auslandsgeschäft kann bei dem sehr starken fremden Wettbewerb nicht so wachsen, daß der rationalisierte Produktionsapparat voll zur Geltung kommt. Die Kaufkraft des Binnenmarktes ist gering, desgleichen die Kapitalbildung; die Zinsbelastung hoch; die Landwirtschaft liegt in schwerstem Existenzkampf. – Immer deutlicher zeigt sich, wie die Reparationslasten als ein Alpdruck auf unserer Wirtschaft lasten, die ohnehin so starke Einbußen erlitten hat durch den Verlust wichtigster Rohstoffländer und die schwere Schädigung wichtigster Wirtschaftsgebiete durch die andauernde fremde Besatzung und Hemmungen aller Art.
Es ist ein trübes Bild. Die nun in Bewegung gesetzte Neuregelung der Reparationen, von der wir wenigstens Klärung der Hauptfrage erwarten, wird sie wohl das Staats- und Volksleben in Deutschland in den nächst kommenden Zeiten erleichtern? Das ist zum mindesten noch eine offene Frage.
Ich will, wie Sie sehen, nicht mit zweifelhaften Zukunftsaussichten die Mißlichkeit der gegenwärtigen Lage abmildern; aber einerseits mag die Lage mißlich sein wie immer, wir müssen uns ihr ja doch anpassen, müssen ihr begegnen mit allem, was in uns tüchtig und lebensfähig und lebenswillig ist. Andererseits können wir rückblickend immerhin sagen: Wir haben unter Prognosen, die verzweifelt schienen, recht Beträchtliches erreicht. Wir dürfen der deutschen Tüchtigkeit, die sich in Stufenfolgen der Generationen entwickelt hat, die sich bedeutend gezeigt hat vor dem Kriege, erstaunlicher noch nach dem Kriege – wir dürfen ihr vertrauen. Das trübe Bild der Gegenwart darf uns nicht in unfruchtbaren Pessimismus treiben. Leider ist das eine der Eigentümlichkeiten der öffentlichen Meinung in Deutschland; man sieht im Lichte guter Konjunkturen nur das Gute, bei schlechter Konjunktur nur das Böse.
Ich will aber diese ins Allgemeine gehende Betrachtung verlassen und mich dem zunächst Vorliegenden wieder zuwenden.
Jener Erlaß, von dem ich sprach, wurde, wie gesagt, von der Allgemeinheit gern begrüßt, weniger gern von den Gemeindeverwaltungen. Sie werden aber danach handeln, fordern aber ihrerseits mit Recht, daß man Sparsamkeit nicht nur von ihnen verlange, sondern auch von den übergeordneten Verbänden. Auch diese sollen ihren Etat auf das Notwendigste beschränken. Diese Forderung richtet sich im Augenblick in erster Linie an den Bezirksverband.
Meine Herren! Ihre Haupttätigkeit kommt jetzt darauf hinaus, auf das Peinlichste abzuwägen, wie die Erhaltung und Verbesserung der kommunalständischen Anstalten, die Erhaltung und Verbesserung der Straßen und anderer Verkehrsanlagen, die Fürsorge für die Landeskultur, für die Landes- und Volkswohlfahrt und für Kunst und Wissenschaft sich vereinigen läßt mit einer möglichst niedrigen steuerlichen Belastung der Angehörigen des Bezirksverbandes. Und diese Frage, die an sich zu den selbstverständlichen und notwendigsten, aber auch schwierigsten Fragen der Selbstverwaltung gehört, die aber jetzt in Provinzen, Kreisen, Städten und Landgemeinden immer brennender geworden ist, je schwieriger diese Steuern von den Steuerpflichtigen ertragen werden können, diese Frage gipfelt letzten Endes in der weiteren Frage: Kann der Bezirksverband für all die ihm gesetzlich auferlegten oder sonstwie zufallenden Aufgaben sorgen, ohne die bisherige Umlage zu erhöhen? und bei deren Verneinung: Darf der Bezirksverband, um seinen Aufgaben gerecht zu werden, in weiteren Anleihen die Mittel dazu suchen? Wer bei den Beratungen des Landesausschusses miterlebt hat, wie im Haushaltsentwurf Zahl um Zahl geprüft worden ist, der wird gerne anerkennen, daß auf äußerste Sparsamkeit geachtet wurde und man bestrebt gewesen ist, die Bezirkssteuern auf das denkbar geringste Maß zu beschränken. Es gibt aber Aufgaben und Ausgaben, die ohne Schädigung des Landes und seiner Bewohner nicht mehr länger hinausgeschoben werden können.
Sie wissen alle, daß der Zustand der Landstraßen im Regierungsbezirk noch sehr im Argen liegt, trotzdem Sie in den vergangenen drei Jahren ganz erhebliche Geldmittel dafür bewilligt haben und trotzdem diese Mittel auf das Beste verwendet sind. Ähnliches gilt von den Landeskrankenhäusern und den Heil- und Pflegeanstalten nur mit dem Unterschied, daß die notwendigen Instandsetzungsarbeiten hier schon viel weiter fortgeschritten sind.
Ich habe deshalb den Antrag des Landesausschusses für richtig gehalten. Denn wenn im allgemeinen zur Finanzwirtschaft des Bezirksverbandes etwas zu erinnern wäre, so wäre es das: Der Bezirksverband hat während der letzten Jahre, da er glaubte, eine starke Besserung in unserer Wirtschaft, besonders in der Landwirtschaft erwarten und abwarten zu dürfen, die Bezirkssteuern nicht dem wirklichen Bedarf entsprechend erhoben, sondern auf Anleihen zurückgegriffen. Es lagen gewiß beachtliche Gründe für dieses Verfahren vor, die niemand verkennen wird. Aber seine Folgen sind für den Haushalt unerfreulich. Die aus den Anleihen hervorgehende Belastung hat sich in einem außerordentlich schnellen Tempo entwickelt und die 2,8 Millionen Reichsmark Zins- und Abtragsverpflichtungen verbrauchen jetzt schon wieder – das betone ich ganz besonders – rund drei Viertel des Aufkommens der Bezirkssteuern. Ein solches Verfahren kann nicht lange fortgesetzt werden (Sehr richtig!) und läßt die Befürchtung durchscheinen, daß auf einmal Steuererhöhungen in unerträglichem Maße nötig werden könnten, damit der Bezirksverband seine Verwaltungstätigkeit fortsetzen kann.
Sie müssen nun suchen, die nötigen Aufgaben zu erfüllen, ohne daß übermäßiger Steuerdruck oder ungesunde Finanzpolitik dafür als Grundlage dienen.
Meine Herren! Im Laufe des letzten Jahres sind in dem Bestande des Bezirksverbandes wesentliche Änderungen vor sich gegangen. Verlor der Bezirk am 1. April 1928 die große und blühende steuerkräftige Ortschaft Fechenheim an die Stadt Frankfurt und damit an den Bezirk Wiesbaden, so gewann er am 1. April 1929 das schöne Land Waldeck, das aus freier Entschließung seine 800jährige Selbständigkeit aufgab und sich in Preußen und in die Provinz Hessen-Nassau eingliederte. Ich begrüße auch an dieser Stelle die Bewohner des Landes Waldeck auf das herzlichste (Bravo!) und wünsche, daß sie sich als Angehörige des Hessenlandes, wo sie gern und freudig aufgenommen wurden, wohlfühlen möchten. (Bravo!)
Der Entschluß der Waldecker wurde vielgepriesen als der erste Schritt auf dem Wege zur sogenannten „Flurbereinigung“ der deutschen Landkarte. Zahlreich sind die Pläne, um eine Vereinfachung der Verwaltung zu erreichen, und mitten in dem Gebiet, das mit in erster Linie von einer Änderung getroffen werden kann, steht das Hessenland. Diese Erkenntnis hat der Bezirksverwaltung Anlaß zur Überlegung gegeben, wie beizeiten für die Erhaltung der selbständigen Stellung des Heimatbezirks gegenüber den Bestrebungen auf Ausdehnung der Nachbarländern und -Bezirke gesorgt werden könnte. Der Hesse liebt seine Heimat, die ihm im Schmucke ragender Berge und rauschender Wälder am silbernen Bande der Flüssen und Bäche seit mehr als einem Jahrtausend der Quell all seiner wirtschaftlichen und seelischen Arbeiten und Freuden ist. Er hat den Wunsch, sich so einzurichten, daß sie im neu zu gliedernden Bau des Reiches gleichberechtigt neben den anderen Ländern und Stämmen weiter bestehen kann. Das ist ein Wunsch, den auch ich gern fördern möchte.
Ob er sich in Wirklichkeit erfüllen läßt, das muß die Zeit lehren.
Die vielberufene große Verwaltungsreform, die gewiß einmal kommen wird, weil sie kommen muß, wird an den Grenzen seines jetzigen Territoriums nicht eben innehalten und vielleicht hessische Kreise anderen Verwaltungsgebieten zuweisen, mit denen sie territorial näheren Zusammenhang haben. Auch der Süden des Regierungsbezirks Kassel ist – wie wir wieder in der Vollversammlung der Handwerkskammer hören konnten – anderem Zusammenschluß geneigt, – man muß da mit Verlusten rechnen. Wir können allerdings auch mit vernünftigen Vergrößerungen seines Gebietes rechnen, und ich wünsche, daß Sie hierzu gute Wege finden.
In der Hoffnung, daß Ihre Entschlüsse dem Bezirksverband zum Segen dienen werden, erkläre ich den 58. Kommunallandtag für eröffnet.
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Als Alterspräsident wirkt der 69-Jährige Präsident im Ruhestand Dr. Theodor Schroeder (Deutsche Demokratische Partei). Ihm zur Seite stehen als Schriftführer die beiden jüngsten Mitglieder des diesjährigen Kommunallandtages, der 35-jährige Verwaltungssekretär Adam Selbert (SPD) aus Niederzwehren und der 31-jährige Arbeiter Ernst Lohagen (KPD) aus Kassel. Zum Vorsitzenden des Kommunallandtages wird erneut Alexander von Keudell (Hessische Arbeitsgemeinschaft) gewählt, zu seinem Stellvertreter wiederum Dr. Georg Antoni (Zentrum).

In seiner Ansprache führt der Vorsitzende des Kommunallandtages von Keudell aus:

Meine Herren! Ich übernehme das Amt des Vorsitzenden, indem ich Ihnen herzlich für das Vertrauen, das Sie mir durch diese Wahl geschenkt haben, danke, ich werde mich bemühen, dieses Vertrauen zu rechtfertigen.
Meine Herren! Die Aufgabe, vor der wir dieses Jahr wieder stehen, ist heute noch schwieriger geworden als im vergangenen Jahre. Damals glaubten wir schon, daß die Wirtschaftsverhältnisse auf das äußerste schwierig geworden seien und daß wir allen tun müßten, um unseren Etat hier so einzusparen, wie es nur möglich ist. Heute wissen wir, daß wir doppelt genötigt sind, zu sparen. Wir wissen, daß die Wirtschaftslage noch schwieriger geworden ist, daß nicht nur die schwere Krise in der Landwirtschaft noch immer fortbesteht, ja noch schwerer geworden ist, sondern daß auch in den anderen Berufsständen sich schwere wirtschaftliche Zustände entwickelt haben. Die Zahl der Arbeitslosen ist ja ein redendes Beispiel dafür. Bei einer solchen Lage, wo, wie bereits Se. Exzellenz der Herr Oberpräsident ausgeführt hat, alles darauf dringt, daß eine Herabsetzung der Steuern stattfinden soll, wo die zuständigen Herren Minister selbst jüngst in einem Erlasse darauf hingewiesen haben, daß es dringend notwendig sei, sämtliche Etats in den Gemeinden und Gemeindeverbänden auf das äußerste vorsichtig aufzustellen, da will es allerdings als ein Gegensatz erscheinen, wenn uns ein Etat vorgelegt wird, der mit 5 % mehr Steuern abschließt als im vorigen Jahre. Ich begreife vollkommen, und wir alle werden es begreifen, wenn die öffentliche Meinung darüber in einer gewissen Erregung ist und zunächst die Gründe hierfür nicht verstehen kann. Meine Herren! Der Landesausschuß, dem die Aufstellung des Etats obliegt, hat sich selbstverständlich alle diese Gründe vorgeführt, er hat aber trotzdem den Etat so aufgestellt, wie er uns jetzt vorliegt, obwohl, wie ich heute sagen darf, noch niemals mehr Fleiß und Sorgfalt auf den Etat verwandt worden ist – die Etatsitzung des Landesausschusses hat 4 Tage und an jedem Tage 8 Stunden gedauert. Er hat dabei gegenüber dem von der Verwaltung vorgelegten Etat nahezu eine Million gestrichen und ist schließlich zu dem Ergebnis gekommen, daß er angesichts der ungeheuren Bedürfnisse, die in unserer großen Verwaltung vorliegen, von sich aus zu weiteren Streichungen nicht kommen könne, und er hat infolgedessen den Etat in dieser Weise dem Kommunallandtag vorgelegt. Es wird Sache des Kommunallandtages sein, schärfste Kritik an den Zahlen des Etats auszuüben, und, wenn er kann, wie in jedem Jahre den Etat so zuzuschneiden, wie es zweifellos die Bevölkerung haben möchte; ob dies aber gelingen wird, möchte ich dahingestellt sein lassen.
Meine Herren! Sie wollen mir gestatten, hier ganz kurz zu einem Artikel Stellung zu nehmen, der gestern in einer hiesigen Tageszeitung gestanden hat, der sich unter der Überschrift: „Der teure Bezirksverband“ mit uns befaßt. Ich will nicht sämtliche Ausführungen dieses Artikels unter die Lupe nehmen. Die sachlichen Ausführungen werden noch Gegenstand der Prüfung in unseren Ausschüssen sein. Denn manche Zahlen, die hier angegeben sind, können der Kritik nicht standhalten. Ein Passus dieses Artikels, der doch selbstverständlich die Absicht hat, die öffentliche Meinung zu beeinflussen, kann aber nicht unwidersprochen in das Land gehen. Er befaßt sich ganz speziell mit dem Kommunallandtag, mit dem Landesausschuß, mit den Faktoren der Selbstverwaltung, die wir hier bei unserer Kommunalverwaltung haben, indem er zunächst mal – die Überschrift lautet ja: Der teure Bezirksverband – uns die Sparsamkeit ans Herz legt. Meine Herren! Damit stimme auch ich mit dem Artikelschreiber überein, er sagt aber, ob der Kommunallandtag allerdings in der Lage ist, an dem bereits vorgelegten Etatentwurf durchgehende Änderungen in dieser Hinsicht vorzunehmen, ist im höchsten Maße zweifelhaft, da ein jeder weiß, daß der Kommunallandtag wenig, der Landesausschuß allerdings, gestützt auf das Vertrauen des Landtages, fast alles kann und muß. Er ist zusammen mit der Landesverwaltung allmächtig, und wenn man gerade immer von der Bezirksverwaltung als einem Selbstverwaltungskörper der Provinz redet, so besteht auf Grund der angedeuteten Verhältnisse die Tatsache, daß es nirgends weniger Selbstverwaltung gibt als in diesem sogenannten Selbstverwaltungskörper; in ihm ist die bürokratische Selbstverwaltung am Sitze des Landeshauptmanns fast vollständig souverän. (Hört! Hört!)
Meine Herren! Diese Ausführungen können doch nicht ohne Kritik unsererseits in die Welt gehen, denn das, was hier von unserer Selbstverwaltung geschrieben wird, das können wir nicht als richtig anerkennen. Ich glaube, jedes Mitglied des Kommunallandtages ist darauf stolz, daß er das Recht und die Pflicht hat, als Abgeordneter der Bevölkerungskreise, die ihn geschickt haben, mit zu raten und nach bestem Wissen und Gewissen, und daß er es gerade als vornehmste Pflicht des Abgeordneten ansieht, hier im Sinne der Selbstverwaltung mitzuarbeiten in der Bezirksverwaltung. Wir haben gerade in den letzten Jahren gezeigt, daß wir die Selbstverwaltung in unserer Bezirksverwaltung nach Kräften ausgebaut haben. Wir haben nicht nur hier im Kommunallandtag es für unsere Pflicht und unser Recht angesehen, die Vorlagen, die uns gemacht wurden, und ganz besonders den Etat unter die Lupe zu nehmen. Der Etat ist regelmäßig dreimal gesichtet worden, das erste Mal von dem Landeshauptmann, der, wie ich weiß, immer schon eine Million gestrichen, die ihm die Verwaltung hineingesetzt hat, das zweite Mal vom Landesausschuß und endlich vom Kommunallandtag. Der Kommunallandtag hat es ganz sicher nicht an seiner Pflicht fehlen lassen, denn er hat auch in den letzten Jahren einen besonderen Ausschuß eingesetzt, der hatte die Aufgabe, sämtliche Betriebsverwaltungen, sämtliche Anstalten zu bereisen und überall an Ort und Stelle zu sehen, was notwendig wäre, und dieser Ausschuß hat sozusagen eine souveräne Gewalt gehabt, und, meine Herren! das ist zweifellos ein Zeichen, daß die Selbstverwaltung bei uns in höchster Blüte steht, indem dieser Ausschuß, der aus unseren Mitgliedern zusammengesetzt ist, der Verwaltung buchstäblich auf die Nase gesetzt ist, mit der Pflicht und Aufgabe, zu sehen, wo gespart werden kann. Das war der Sparausschuß, und dieser Ausschuß besteht auch heute noch, und es werden alle wichtigeren Maßnahmen diesem Sonderausschuß überwiesen. Also, ich glaube, meine Herren, wir müssen nach dieser Richtung den Vorwurf, daß bei uns die Selbstverwaltung nur einen Schein darstelle, zurückweisen und müssen sagen, daß wir unsererseits alles getan haben, was in unseren Kräften stand, um auch unsere große Verwaltung, an die dauernd neue Aufgaben herantreten, so zu verwalten, daß wir sparsam wirtschaften. Nun will ich hoffen, daß es dem Kommunallandtag gelingt, auch in diesem Jahre die Diagonale zu treffen, die die Mitte zwischen den Anforderungen, die an die Bezirksverwaltung gestellt werden, und zwischen der Steuerkraft des Landes zieht.
Meine Herren! Sie wollen mir dann gestatten, daß auch in Ihrem Namen noch einige kurze Worte im Anschluß an die Worte Sr. Exzellenz des Herrn Oberpräsidenten im Hinblick auf das bedeutsame Ereignis, das seit 8 Tagen hinter uns liegt, sage. Meine Herren! Auch wir nehmen tiefsten Anteil daran, daß nun am 1.4. ds. Js. das Land Waldeck mit unserem Bezirksverband verbunden worden ist. Es ist sehr bedauerlich, daß die Vertreter des Landes Waldeck nicht heute schon in unserer Mitte sein können, und daß wir sie nicht heute schon als unsere Kollegen hier willkommen heißen können. Die Verhältnisse lassen das ja nicht zu, aber beschäftigen tuen wir uns schon mit Waldeck und mit den Waldecker Interessen. In unserem Etat haben wir Waldeck selbstverständlich schon für das Jahr 1929 berücksichtigt, und Sie werden eine Zusammenstellung in dem Voranschlag finden, in der steht, was wir in diesem Jahre für Waldeck ausgeben müssen. Wenn wir diese Zusammenstellung lesen, dann sehen wir, daß die Ausgabenseite die Einnahmenseite nicht unwesentlich überschreitet. Nun, meine Herren, das wußten wir auch vorher, und das wird wohl auch in Zukunft so bleiben; aber ich sage das, um damit zu betonen, daß die Einverleibung Waldecks in unseren Bezirksverband für uns niemals – in keinem Augenblick – eine Sache des Rechenstiftes gewesen ist, sondern daß sie für uns eine Sache des Herzens und des Gefühls ist. Meine Herren, wir hätten es niemals verstanden, wenn dieses uns unmittelbar benachbarte, nahverwandte Land, mit dem uns viele Jahrhunderte alte Beziehungen verbinden, mit dem uns starke wirtschaftliche Bande in den letzten Jahrzehnten verknüpften, wenn dieses Land seinen Anschluß an die Provinz Westfalen gefunden hätte. Deswegen möchte ich in diesem Augenblick dem Herrn Vertreter der Staatsregierung und ganz besonders dem Herrn Minister unseren Dank dafür aussprechen, daß sie unentwegt die Linie des Anschlusses von Waldeck an Kurhessen vertreten haben, und ich möchte auch unserer Genugtuung darüber Ausdruck geben, daß der Waldeckische Landtag einstimmig sich für den Anschluß an unseren Bezirk ausgesprochen hat. Ich glaube, wir dürfen es aussprechen, daß Waldeck das nicht bereuen wird. Ich möchte, indem ich die neuen Mitbürger und Mitbürgerinnen willkommen heiße, auch der Hoffnung Ausdruck geben, daß sie sich bei uns wohlfühlen werden, sie können versichert sein, daß ihre Interessen bei uns auf das Beste gewahrt werden (Bravo!). Und nun lassen Sie mich noch einige kurze Worte der Begrüßung an unseren Herrn Landeshauptmann richten. Wie Sie wissen, war der Herr Landeshauptmann im Sommer des vergangenen Jahres schwer erkrankt. Seine Gesundheit hat uns damals große Sorge gemacht, monatelang mußte er dem Dienst fernbleiben, gottseidank, wurde er aber vollständig wieder hergestellt, und Sie alle, soweit Sie im Radio vielleicht die schöne Feier in Arolsen gehört haben, werden mit Freude die markige Stimme des Herrn Landeshauptmanns gehört haben, als er damals im Namen des Bezirksverbandes auch seinerseits das Land Waldeck begrüßte. Wir freuen uns dessen, und ich erlaube mir dieser Freude Ausdruck zu geben und die Hoffnung damit zu verbinden, daß der Herr Landeshauptmann sein Amt in alter Kraft und Frische noch lange Jahre versehen möge. (Beifall!)
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Der 58. Kommunallandtag des Regierungsbezirkes Kassel wird in insgesamt sechs öffentlichen Sitzungen bis zum 16. April 1929 tagen.

Zusammensetzung des 58. Kommunallandtages des Regierungsbezirkes Kassel

Sitzverteilung

Hessische-Nassauische Arbeitsgemeinschaft 15
Sozialdemokratische Partei Deutschlands 15
Deutsche Zentrumspartei 7
Deutsche Demokratische Partei 3
Kommunistische Partei 3

Hessische-Nassauische Arbeitsgemeinschaft

Becker, Dr. Franz (1888–1955; Oberstudienrat; Kassel; Wahlbezirk Kassel-Stadt)
Becker, Dr. Max (1888–1960); Rechtsanwalt; Hersfeld; Kreis Hersfeld
Böhmer, Johannes (1879–1955; Sattlermeister; Witzenhausen; Wahlbezirk Wolfhagen)
Fenner II., Johannes Heinrich (1875–1957); Landwirt; Obergrenzebach; Kreis Ziegenhain-Homberg
Hammerstein-Loxten, Adolf Freiherr von (1868–1939; Ministerialdirektor a.D. und Landwirt; Wormsthal-Altenhagen; Wahlbezirk Grafschaft Schaumburg)
Hartwig, Fritz (1884–1962); Gutsbesitzer; Thalitter; Kreis Frankenberg
Keudell, Alexander von (1861–1939; Kammerherr, Rittergutsbesitzer und Landrat a.D.; Schloss Wolfsbrunnen bei Schwebda; Wahlbezirk Eschwege)
Landgrebe, Christian (1876–1956; Landwirt und Müller; Obervellmar; Wahlbezirk Kassel-Land)
Lind, Heinrich (1878–1941); Bürgermeister; Niederissigheim; Kreis Hanau-Land
Mink, Johannes (1868–1931); Landwirt; Wolfshausen; Kreis Marburg-Kirchhain
Roever, Wilhelm (1884–1949); Landwirt; Niedermöllrich; Kreis Melsungen
Schmidt, Hermann (1871–1929; Landgerichtsdirektor; Kassel; Wahlbezirk Kassel-Stadt)
Stockhausen, Hans Adalbert von (1874–1957; Major a.D. und Landwirt; Trendelburg, Burg; Wahlbezirk Hofgeismar)
Trieschmann, Kornelius (1875–1939; Landwirt; Oberellenbach; Wahlbezirk Rotenburg)
Wollenhaupt, Martin (geb. 1870); Katasterdirektor; Fritzlar; Kreis Fritzlar

SPD

Braunersreuther, Fritz (1880–1965; Gewerkschaftssekretär; Kassel; Wahlbezirk Kassel-Stadt)
Braunholz, Hans (1884–1966; Geschäftsführer; Kassel; Wahlbezirk Eschwege)
Ebert, Georg (1885–1971); Zimmermann; Langendiebach; Kreis Hanau-Land
Holzapfel, Fritz (1883–1943); Lehrer; Hersfeld; Kreis Hersfeld
Jordan, August (1864–1938; Verwaltungsdirektor; Kassel; Wahlbezirk Kassel-Stadt)
Küch, Konrad (1881–1948); Bürgermeister; Hönebach; Kreis Rotenburg
Pappenheim, Ludwig (1887–1934); Schriftleiter; Schmalkalden; Kreis Schmalkalden)
Persch, Ludwig (1873–1947); Buchdruckereibesitzer; Melsungen; Kreis Melsungen
Precht, Fritz (1883–1951); Bürohilfsarbeiter; Ihringshausen; Kreis Kassel-Land
Ramm, Otto (1875–1957; Krankenkassenvollziehungsbeamter; Rinteln; Wahlbezirk Grafschaft Schaumburg)
Sautter, Hans (1877–1961); Professor; Kassel; Kreis Kassel-Stadt
Selbert, Adam (1893–1965; Verwaltungssekretär; Niederzwehren; Wahlbezirk Kassel-Land)
Thöne, Georg (1867–1945; Vorsitzender der Landesversicherungsanstalt Hessen-Nassau; Kassel; Wahlbezirk Witzenhausen)
Völker, Georg (1887–1970); Gewerkschaftsangestellter; Kassel; Kreis Ziegenhain-Homberg
Weidemann, Hermann (1887–1961); Buchdrucker; Hofgeismar; Kreis Hofgeismar

Zentrum

Antoni, Dr. Georg (1862–1945; Oberbürgermeister; Fulda; Wahlbezirk Fulda-Hünfeld)
Herbert, Karl (1883–1949; Landwirt, Bürgermeister; Zirkenbach; Wahlbezirk Fulda-Hünfeld)
Linker, Wilhelm (1868–1963); Bürgermeister; Neustadt; Kreis Marburg-Kirchhain
Rang, Ludwig (1869–1957; Forstmeister; Salmünster; Wahlbezirk Schlüchtern-Gersfeld)
Scherf, Dr. Franz Joseph (1865–1929; Sanitätsrat; Bad Orb; Wahlbezirk Gelnhausen)
Sondergeld, Wigbert (1874–1937; Rektor; Hünfeld; Wahlbezirk Fulda-Hünfeld)
Wiechens, Dr. jur. Heinrich (1884–1949; Landrat; Gersfeld; Wahlbezirk Schlüchtern-Gersfeld)

Demokraten

Heck, Johannes (Kaufmann; Schmalkalden; Wahlbezirk Kassel-Land)
Schroeder, Dr. Theodor (1860–1951); Präsident i. R.; Kassel; Kreis Kassel-Stadt
Seibert, Wilhelm (1871–1944); Rektor; Kassel; Kreis Marburg-Kirchhain

Kommunistische Partei

Conrad, Hugo (1886–1960); Geschäftsführer; Großauheim; Kreis Hanau-Land
Leißner, Karl (1876–1951); Brauer; Hanau; Kreis Hanau-Stadt
Lohagen, Ernst (1897–1971); Arbeiter; Kassel; Kreis Kassel-Stadt
(LV)


  1. Verhandlungen des Kommunallandtags für den Regierungsbezirk Kassel, Bd. 58 (1929), Sp. 1-6.
  2. Ebd., Sp. 6-10.
Belege
Weiterführende Informationen
Empfohlene Zitierweise
„Eröffnung des 58. Kommunallandtages des Regierungsbezirks Kassel, 8. April 1929“, in: Zeitgeschichte in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/edb/id/5535> (Stand: 8.4.2023)
Ereignisse im März 1929 | April 1929 | Mai 1929
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