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Proteste bei Gastspiel des Berliner Ensembles in Frankfurt, 14. September 1960

Proteste begleiten das Gastspiel des 1949 von Bertolt Brecht (1898–1956) und Helene Weigel (1900–1971) gegründeten „Berliner Ensembles“, das im Großen Haus der Städtischen Bühnen in Frankfurt am Main Brechts Parabelstück vom „aufhaltsamen Aufstieg des Arturo Ui“ aufführt.

Scharfe Kritik aus dem bürgerlichen wie aus dem links-intellektuellen Lager

Mitglieder der CDU-Fraktion der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung verteilen Flugblätter an die Besucher, auf denen von einem „Skandal“ gesprochen wird und das Ensemble als „Funktionärscorps der Pankower“ bezeichnet wird, das in die Bundesrepublik geschickt worden sei, um einen „politischen Auftrag“ zu erfüllen. Weitere Flugblätter werden von Studenten der Frankfurter Universität verteilt, die davon sprechen, dass „der Besuch dieses Gastspiels […] eine indirekte Billigung der Pankower Maßnahmen“, „einen Verrat an der Stadt Berlin“ und „eine Enttäuschung für unsere mitteldeutschen Landsleute“ bedeute.1

Bereits am 12. September hatte sich der hessische CDU-Landtagsabgeordnete Richard Hackenberg (1909–1995) an den Generalintendanten der Frankfurter Städtischen Bühnen, Harry Buckwitz (1904–1987), gewandt und gefordert, das Gastspiel des Ost-Berliner Brecht-Ensembles aus „bürgerlicher und nationaler Solidarität“ abzusagen. Zuvor war ein Antrag der Frankfurter Magistratsmitglieder der CDU, die Aufführung durch Zurückziehung der Einladung abzusetzen, im Stadtparlament abgelehnt worden.

Anlass für die scharfen Proteste besonders aus dem bürgerlichen Lager ist das am 8. September 1960 vom Innenministerium der DDR verhängte Einreiseverbot für Bürger der Bundesrepublik Deutschland nach Ostberlin. Damit ist Besuchern aus dem Westen der Aufenthalt im Ostteil der Stadt künftig nur noch mit einer Sondergenehmigung möglich.

Hackenberg sieht es deshalb als Gebot „bürgerlicher Solidarität“ sich gegen die Einladung des „sowjetzonalen Ensembles“ auszusprechen, „während gleichzeitig einer anderen Bühne dieser Stadt, der Gastspieloper Hans Schlote, die Einreise nach Mitteldeutschland verweigert wird.“ Unterstützung findet diese Haltung auch beim Landesvorsitzenden der Hessen-CDU Wilhelm Fay (1911–1980), der es am 13. September vor Mitgliedern des Landes- und Fraktionsvorstandes als „Verrat an der Sache Berlins“ bezeichnet, dass die Frankfurter SPD die Einladung das Ost-Berliner „Funktionärskorps“ nicht rückgängig gemacht habe. Es sei „ein offener Skandal“, wenn das Ensemble der „Sowjetzonenbühne vom Theater am Schiffbauerdamm“ „mit Billigung des von der SPD beherrschten Magistrats“ in Frankfurt auftreten dürfe, während die Alliierten in Beantwortung des von der DDR ausgesprochenen Einreiseverbots ihrerseits „die Ein- und Durchreisen für Sowjetzonenbewohner gesperrt hätten“. Die SPD vertritt dagegen den genau entgegen gesetzten Standpunkt: Man wolle gerade angesichts der jüngsten Schließungsmaßnahmen der SED-Machthaber das Tor zwischen beiden Teilen Deutschlands „so weit wie möglich“ offen halten.2

Brecht-Inszenierungen bereits seit den 1950er Jahren in der Kritik

Der 1952 als Generalmusikdirektor an die Frankfurter Oper berufene Harry Buckwitz sah sich schon in den 1950er Jahren mit erfolgreichen Inszenierungen von Brecht-Stücken wiederholt dem Vorwurf ausgesetzt, „kommunistische Propaganda“ zu betreiben.3

Das nächste Gastspiel des Berliner Ensembles aus Ostberlin, das im Sommer 1963 auf Einladung des Allgemeinen Studentenausschusses (AStA) in der Hamburger Universität stattfindet, und bei dem die Schauspielergruppe den Rezitationsabend „Bertolt Brecht: Lieder und Gedichte 1914–1956“ aufführt, erhitzt erneut die Gemüter: abermals ist zum Beispiel in der Tageszeitung „DIE WELT“ von einer „SED Propagandaveranstaltung“ die Rede, wie sie Hamburg „wohl bis dahin noch nicht erlebt“ habe. Der veranstaltende AStA sei von der Inszenierung („reines Agitprop-Theater“) „überrumpelt“ worden und „tief beschämt“.4
(KU)


  1. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.9.1960, S. 9: Demonstration vor dem Großen Haus: CDU-Flugblatt zur Brecht-Aufführung: „Skandal in Frankfurt“.
  2. Ebd.
  3. So äußerte beispielsweise der Frankfurter CDU-Fraktionsvorsitzende Hans Wilhelmi (1899–1970) anlässlich der Frankfurter Aufführung von Brechts „Der gute Mensch von Sezuan“ im November 1952: „Wir haben keinerlei Verständnis dafür, daß ein Theaterstück wie ‚Der gute Mensch von Sezuan‘ im hiesigen städtischen Theater aufgeführt wird, und zwar aus zwei Gründen: In diesem Stück wird das Göttliche in einer schamlosen Weise lächerlich gemacht […] Es kommt weiter hinzu, daß dieses Stück eine rein kommunistische Angelegenheit ist. Es gehört schon ein gehöriges Maß von Mangel an Fingerspitzengefühl dazu, daß in unserer heutigen politischen Situation von einem zum Kommunismus sich bekennenden Dichter ein derartiges Propagandastück aufgeführt wird.“ Zitiert nach Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30.12.1987, S. 25.
  4. Vgl. DIE ZEIT 23/1963, 7.6.1963, S. 10.
Belege
Weiterführende Informationen
  • Berliner Ensemble (Hrsg. / Red.): Gastspiel in Lünen, Marl und Frankfurt/Main: 4. bis 15. September 1960: Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui, Berlin 1960
Empfohlene Zitierweise
„Proteste bei Gastspiel des Berliner Ensembles in Frankfurt, 14. September 1960“, in: Zeitgeschichte in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/edb/id/1122> (Stand: 14.9.2022)
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