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Urabstimmung in der hessischen Metallindustrie, 16.-17. August 1951

Bei der Urabstimmung der in der hessischen Metallindustrie Beschäftigten spricht sich eine deutliche Mehrheit für die Durchführung von Arbeitskampfmaßnahmen aus. 97.122 der insgesamt 109.675 an der Abstimmung teilnehmenden Gewerkschaftsmitglieder (88,6 Prozent) votieren dabei für den Arbeitskampf zur Durchsetzung der gewerkschaftlichen Lohnforderung.1 Insgesamt sind etwa 80 % der insgesamt 150.000 Arbeiter und Angestellten in der hessischen Metallindustrie als gewerkschaftlich organisierte Arbeitnehmer aufgefordert, ihre Stimme abzugeben. Die Abstimmung in mehr als 700 Betrieben zieht sich über zwei Tage hin und beginnt am Donnerstagmorgen (16. August). Die Industriegewerkschaft Metall hatte am 31. Mai 1951 sämtliche bestehenden Lohn- und Gehaltsabkommen für die Beschäftigten der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie im Tarifgebiet Hessen mit Wirkung zum 15. Juni gekündigt (Erhöhung des Arbeiter-Stundenlohns um zwölf Pfennig und entsprechende Anhebung der Angestelltengehälter). Nachdem sich die Arbeitgeberseite im Verlauf von zwei Verhandlungsrunden am 4. Juli und am 16. Juli auf eine rigorose Ablehnung jeder Verhandlungsbereitschaft zu Lohnfragen versteift und wiederholt auf die (abzuwartenden) Beschlüsse und Empfehlungen des paritätisch besetzten „Kanzlerausschusses Löhne-und-Preise“ verwiesen hatte, war am 13. August der Aufruf der Metallgewerkschaft zur Urabstimmung erfolgt.

Satzungsmäßig vorgeschriebene Zustimmung zum Streik nicht erreicht?

Verlauf und Ergebnis der Urabstimmung offenbaren jedoch zahlreiche organisatorische Schwächen der IG Metall im Tarifgebiet Hessen, vor allem in ihren Verwaltungsstellen im ländlichen Raum. So enthalten die bei Bekanntgabe des Abstimmungsergebnisses von der Gewerkschaft veröffentlichten Zahlen nur die Anzahl der abgegebenen Stimmen, nicht aber die Gesamtzahl der stimmberechtigten Mitglieder. Im Widerspruch zur Satzung wurde das Ergebnis als prozentualer Anteil der Ja-Stimmen auf Basis der abgegebenen Stimmen berechnet, nicht aber auf Grundlage der Zahl der insgesamt Stimmberechtigten. Da nach § 15, Abs. 4 der geltenden Satzung der Metallgewerkschaft die Genehmigung eines Streiks aber eine Drei-Viertel-Mehrheit der stimmberechtigten Mitglieder erfordert, wird unter tatsächlicher Mitberücksichtigung der nicht abgegebenen Stimmen bei zusammen 134.907 stimmberechtigten Gewerkschaftsmitgliedern (Angabe des Arbeitgeberverbandes) nur eine Zustimmung von rund 72 % erreicht – und damit weniger, als satzungsmäßig zur Durchführung eines Streiks gefordert. Ferner war es nicht gelungen, die zur Vorbereitung der Urabstimmung verbreiteten Flugblätter mit gebührendem zeitlichen Abstand zum Abstimmungstermin erscheinen zu lassen. Das erste Flugblatt wurde erst zwei Tage vor der Urabstimmung am 14. August veröffentlicht, das zweite zentrale Flugblatt („Warum Urabstimmung?“) gelangte sogar erst am Morgen des Abstimmungstages in den Betrieben zur Verteilung. Man beschränkte die Mobilisierung großteils auf Lautsprecherdurchsagen und auf Informationen der Gewerkschaftsfunktionäre zur organisatorischen Abwicklung der Urabstimmung.2 Betriebsversammlungen zur intensiven Vorbereitung wurden nur in wenigen Betrieben abgehalten. Bereits am 13. August war es im hessischen Heizungshandwerk und in der Heizungsindustrie zu Arbeitsniederlegungen gekommen, die kurzfristig zu Verhandlungserfolgen für die Arbeitnehmerseite führten.
(KU)


  1. Als vorläufiges Ergebnis waren von der Gewerkschaft zum Wochenende sogar 89,2 Prozent Ja-Stimmen bekanntgegeben worden. Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21.8.1951, S. 1: Metallarbeiterstreik am nächsten Montag ? Die hessische Regierung schaltet sich ein.
  2. Vgl. Arnold Bettien, Arbeitskampf im Kalten Krieg. Hessische Metallarbeiter gegen Lohndiktat und Restauration (Schriftenreihe für Sozialgeschichte und Arbeiterbewegung 31), Marburg 1983, S. 150 ff.
Belege
Empfohlene Zitierweise
„Urabstimmung in der hessischen Metallindustrie, 16.-17. August 1951“, in: Zeitgeschichte in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/edb/id/4703> (Stand: 27.11.2022)
Ereignisse im Juli 1951 | August 1951 | September 1951
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