Zeitgeschichte in Hessen - Daten · Fakten · Hintergründe

Friedliche Großdemonstration gegen die Startbahn West in Wiesbaden, 14. November 1981

Schätzungsweise 120.000 bis 150.000 Menschen demonstrieren in der hessischen Landeshauptstadt Wiesbaden friedlich gegen den Bau der Startbahn 18 West auf dem Frankfurter Flughafen und gegen die Verkehrs-, Energie- und Umweltpolitik der hessischen Landesregierung. Es ist die bislang größte Demonstration in der Geschichte Wiesbadens. Anlass der Kundgebung ist die Übergabe eines Antrags auf ein Volksbegehren und der erforderlichen Unterschriften an den Landeswahlleiter. Insgesamt 220.765 Startbahngegner unterstützen den Antrag mit ihrer Unterschrift. Politische reicht das Spektrum der teilnehmenden Demonstranten von CDU-Stadträten aus den Anrainergemeinden des Flughafens, über Jungsozialisten und Gewerkschaftler bis hin zu DKP-Anhängern und Personen, die dem als linksextremistisch eingestuften „Schwarzen Block“ zuzurechnen sind. Obwohl der Protest im Verlauf der Demonstration gewaltfrei geäußert wird, hat fast jeder zweite Wiesbadener Ladenbesitzer aus Furcht vor Ausschreitungen die Schaufenster seines Ladengeschäfts mit Holzbohlen und Hartfaserplatten verrammelt. Die von den Protestierenden vorgebrachten Slogans erklären Ministerpräsident Holger Börner (1931–2006; SPD) zum „Volksfeind Nummer 1“ und verkünden warnend „Heute fallen Bäume – morgen Menschen“ und „Wer heute holzt, wird morgen abgesägt“.

Der Frankfurter Magistratsdirektor Alexander Schubart (1931–2016), Sprecher der „Bürgerinitiative Volksbegehren“ bei der Schlusskundgebung und der anschließenden Pressekonferenz, fordert von Börner das Eingeständnis, dass die Startbahn 18 West „politisch nicht durchsetzbar“ sei. Seiner Ansicht nach fürchte die Regierung das beantragte Volksbegehren „wie der Teufel das Weihwasser“ und versuche daher, am Flughafen vollendete Tatsachen zu schaffen, um dem Volksbegehren die Grundlage zu entziehen. Dabei könne die Landesregierung könne den Konflikt um den Flughafenausbau nur „militärisch-gewaltsam“ gewinnen und lasse „die größte Polizeiarmada“ die jemals in Hessen aufgestellt wurde, gegen die größte Bürgerbewegung in der Geschichte des Landes „in einer Offensive der Gewalt aufmarschieren“. Unter dem Eindruck dieser Verhältnisse sei unmittelbar ein unabhängiges Verfahren vor dem Staatsgerichtshof über die Zulässigkeit des Volksbegehrens unmöglich, ein Moratorium deshalb „unabdingbar“.

Folgenreich ist Schubarts Aufruf, am folgenden Tag den Frankfurter Flughafen „dicht“ zu machen, falls die Landesregierung nicht bis 12:30 Uhr einen Vorschlag zur Herstellung des Moratoriums vorlege. Die auf den Aufruf folgenden Protestaktionen bringen am 15. November 1981 den Straßenverkehr am Frankfurter Flughafen völlig zum Erliegen. Es kommt zu gewalttätigen Ausschreitungen. Schubart wird Anfang 1983 zunächst wegen „versuchter Nötigung von Verfassungsorganen“, im November 1983 schließlich aber wegen Landfriedensbruchs verurteilt.¹
(KU)

1. Vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs vom 23.11.1983, 3 StR 256/83 (S): „Nötigung der Regierung eines Landes“. ↑