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Georg-Büchner-Preis an Helmut Heißenbüttel, 18. Oktober 1969

Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung verleiht in der Otto-Berndt-Halle der Technischen Universität Darmstadt den Georg-Büchner-Preis und ein Preisgeld in Höhe von 10.000 DM an den Schriftsteller, Essayist und Kritiker Helmut Heißenbüttel (1921–1996).1 Der Büchner-Preis wird seit 1951 im Rahmen der Herbsttagung der Akademie an „Schrift­stellerinnen und Schrift­steller, die in deutscher Sprache schreiben, durch ihre Arbeiten und Werke in besonderem Maße hervor­treten und die an der Gestaltung des gegen­wärtigen deutschen Kultur­lebens wesentlichen Anteil haben“, verliehen und zählt zu den renommiertesten Kulturpreisen Hessens. Heißenbüttel, der vor allem für experimentelle Lyrik bekannt ist, wird mit dem Urkundentext „er hat bisher ungenutztes Vermögen der Sprache aufgespürt und mit poetischer Folgerichtigkeit in seinem Werk festgehalten, welches in unserer gegenwärtigen Lyrik zu neuen Entwicklungen führte“, für sein literarisches Wirken gewürdigt.2

Bevor die Preisverleihung beginnen kann, kommt es allerdings zu einer Störung der Veranstaltung durch Student*innen der Technischen Universität und Schüler*innen der Georg-Büchner-Schule. Diese hatten bereits im Vorfeld angekündigt, den Festakt stören zu wollen, um eine Resolution vorzulesen, allerdings scheitert das Vorhaben, denn kurz nachdem die Gruppe junger Student*innen und Schüler*innen die Bühne betreten, werden sie unter Tumult von der Polizei daran gehindert und des Saales verwiesen.3 Beweggrund der politischen Aktivist*innen ist der „Fall Lüdde“, die Kontroverse um den Lehrer Heinz Lüdde, der vom Darmstädter Georg-Büchner-Gymnasium ein Lehrverbot bekam, nachdem er wegen eines „zu liberalen Unterrichtskonzepteskonzeptes4 , das unter anderem antiautoritäre Pädagogik, sexuelle Aufklärung und politische Agitation im Sinne der linken Protestbewegung, die sich in den letzten zwei Jahren vor allem in den Studentenstädten etabliert hatte, beinhaltet.5 Der „Fall Lüdde“ verursachte Proteste unter Schüler*innen des Georg-Büchner-Gymnasiums, ihre geplante Ansprache sollte die Suspendierung des Lehrers anprangern und gleichzeitig Kritik an der Politik des Darmstädter Kulturdezernenten Heinz-Winfried Sabais (1922–1981) äußern. Diesem werden in Flugblättern Maßnahmen gegen Schüler und Studenten vorgeworfen und „im Namen des Revolutionärs Büchner“ das Recht abgesprochen, den Dichter durch die Preisverleihung für sich zu vereinnahmen.6

Die F.A.Z. berichtet über den Zwischenfall: „Der Polizeieinsatz löste bei den Festteilnehmern unterschiedliche Reaktionen aus. Die Skala der Zwischenrufe in dem entstandenen Tumult reichte von ‚Meinungsfreiheit‘ bis zu ‚Ablehnen, ablehnen‘, womit der neue Büchner-Preisträger Heißenbüttel gemeint war. Die Laudatio auf den Preisträger – gehalten von dem Darmstädter Lyriker Karl Krolow – konnte auf Grund des Tumults erst mit viertelstündiger Verspätung beginnen.7 Der Darmstädter Oberbürgermeister Ludwig Engel (1906–1975; SPD) bezeichnet die Protestaktion als „sachfremd“ und heißt den Polizeieinsatz gut.8 Der Preisträger Helmut Heißenbüttel selbst lässt sich jedoch von dem Vorfall nicht aus der Fassung bringen und hält seine Dankesrede wie geplant im Anschluss an Krolows Laudatio.9
(NT)


  1. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14.10.1969, S. 27: Literarisches Wochenende.
  2. Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung: Auszeichnungen: Georg-Büchner Preis: Helmut Heißenbüttel: Urkundentext.
  3. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20.10.1969, S. 26: Büchner-Preis mit Tumulten.
  4. DIE ZEIT, 43/1969, 24.10.1969: Die Büchner preisen. Ein Heißenbüttel macht noch keine Feier.
  5. Judith Ulmer, Geschichte des Georg-Büchner-Preises. Soziologie eines Rituals, Berlin 2006, S. 216-218.
  6. DIE ZEIT, 43/1969, 24.10.1969: Die Büchner preisen. Ein Heißenbüttel macht noch keine Feier.
  7. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20.10.1969, S. 26: Büchner-Preis mit Tumulten.
  8. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21.10.1969, S. 32: Die Resolution war sachfremd.
  9. Judith Ulmer, Geschichte des Georg-Büchner-Preises. Soziologie eines Rituals, Berlin 2006, S. 232.
Belege
Weiterführende Informationen
Empfohlene Zitierweise
„Georg-Büchner-Preis an Helmut Heißenbüttel, 18. Oktober 1969“, in: Zeitgeschichte in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/edb/id/5538> (Stand: 18.10.2022)
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