Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Zeitgeschichte in Hessen - Daten · Fakten · Hintergründe

Auftakt einer landesweiten Kampagne zur Spatzenvergiftung in Petterweil, 27. Februar 1951

In der Ortschaft Petterweil, etwa 6,5 Kilometer nördlich von Bad Vilbel startet am Vormittag eine Spatzen-Vernichtungsaktion, die den Auftakt zu einer landesweiten Kampagne zur Spatzenbekämpfung bildet. Dabei wird zum ersten Mal in Deutschland der Versuch unternommen, die sich in ländlichen Regionen bevorzugt von den Samen kultivierter Getreidearten (besonders Weizen, aber auch Hafer und Gerste) ernährenden Haussperlinge (Passer domesticus) mit vergiftetem Weizen in einer Großaktion zu vernichten.

Die zur Bekämpfung der als „Ernteschädlinge“ verrufenen Haussperlinge angewandte Methode setzt auf Überrumpelung der weit verbreiteten Kulturfolger. Die arglosen Singvögel werden über mehrere Tage hinweg mit Lockfutter an bestimmte Futterplätze gewöhnt. Nach einigen erfolgten Fütterungen wird die tägliche Ration aber durch vergifteten Weizen ersetzt, so auch heute zum offiziellen Beginn der „Spatzen-Vernichtungsaktion“. Am morgigen Mittwoch wird wieder unvergiftetes Getreide gegeben, am Donnerstag jedoch erneut Giftweizen. Die Vernichtung der Vögel soll im täglichen Gift-/Futter-Wechsel auch am kommenden Freitag und Samstag fortgesetzt werden. Man erwartet, dass es in Petterweil und Umgebung am Wochenende keine Spatzen mehr geben wird.

Sperlings-„Überdichte“: drei Millionen Spatzen zu viel

Den Angaben der Behörden zufolge besteht in Hessen bei einem Gesamtbestand von sechs Millionen Sperlingen eine „Überdichte“ von drei Millionen Spatzen. Der durch die Tiere verursachte volkswirtschaftliche Schaden beläuft sich – so wird vermutet – bei einem Jahresverzehr von etwa zweieinhalb Kilo Körnern pro Tier auf etwa 30.000 Zentner oder rund drei Prozent der gesamten Getreideernte in Hessen. Ein Bericht der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zu der Giftaktion in Petterweil, der am 28. Februar 1951 veröffentlicht wird behauptet: „Für unsere Volkswirtschaft ist ein derartig hoher Ausfall lebenswichtigen Nahrungsgutes nicht zu tragen.“1

Proteste von Bürgern und Tierschützern

Die angekündigte Aktion trifft jedoch in Teilen der Bevölkerung und unter Tierschützern auf scharfe Gegnerschaft. Die nach dem Auffliegen binnen weniger Minuten tot zur Erde fallenden Vögel müssen nach Ansicht kritischer Stimmen restlos aufgesammelt werden, da sonst Haus- und Nutztiere mit den vergifteten Kadavern in Berührung kommen könnten. Es sei also aus Sicherheitsgründen unvermeidlich, das gesamte Vieh während der Vergiftungsaktion wegzusperren.

Ein großer Schaden sei für die Landwirtschaft zusätzlich zu erwarten, weil von den vergifteten Spatzen große Gefahr besonders den Nachtraubvögeln drohe, auf die als Mäusebekämpfer nicht verzichtet werden könne.

Den Befürwortern des Gifteinsatzes wird entgegnet, das sich nach Auskunft fachkundiger Stellen die Sperlingsbekämpfung mit Fallen in Hessen als wirkungsvoll erwiesen habe. Jährlich werde rund eine Million Spatzen mit nur 5.000 Fallen vernichtet. Bei einer deutlich erhöhten Anzahl von Fallen könnte nach Ansicht der Experten die Bekämpfung der Spatzen auf diesem Weg erfolgreicher durchgeführt werden, als durch das Ausstreuen von Giftstoffen. Tierschützer und Landwirte stellen nun die Frage, warum man Giftstoffe verwende, wo doch auch das Aufstellen von mehr Fallen wirkungsvoll den Notstand beseitigen könne und zudem billiger sei als der Einsatz von Giften. Der deutsche Tierschutzbund in Frankfurt wendet sich darüber hinaus auch aus ethischen Gründen gegen die Vergiftung der Vögel und bezeichnet die Verwendung von vergiftetem Weizen als tierquälerische Handlung im Sinne des Tierschutzgesetze, das die Tötung von Tieren durch Gifte nur bei Notständen gestatte. Das die Wahrnehmung des Gifteinsatzes als inhuman in der Bevölkerung verbreitet sei, belegten zahlreiche dem Bund zugegangene Protestschreiben.

Giftweizen gängige Praxis der 1950er Jahre

In den Landgemeinden Hessens werden um 1950 insgesamt ca. 2,5 Millionen Spatzen umgebracht. Den Vergiftungs-, Abschuss- oder Fangaktionen, die als öffentlich unterstützte Kampagnen mit der Bekanntgabe von überhöhten Bestandsschätzungen beginnen, und von Seiten der Behörden mit ausgelobten Geldprämien und Ablieferungsverpflichtungen (eine bestimmte Anzahl von Sperlingsköpfen je Hektar Fläche) vorangetrieben werden, fallen jedoch auch zahllose andere Kleinvögel zum Opfer, zum Beispiel der nahe verwandte Feldsperling (Passer montanus) und die Goldammer (Emberiza citrinella).

Der Einsatz von Giftweizen bleibt – trotz fragwürdigen Nutzens für die landwirtschaftlichen Erträge und stetig anwachsender Proteste – während der 1950er Jahre zumindest lokal eine gängige Praxis zu Bekämpfung des Haussperlings. So erreicht beispielsweise die Aufsichtsbehörde des Pflanzenschutzamtes in Kassel-Harleshausen im Februar 1959 ein Protestschreiben des Tierschutzvereins im oberhessischen Melsungen (Schwalm-Eder-Kreis). Zahllose Bürger und Tierfreunde hatten den Verein um Hilfe gebeten, um das tausendfache Sterben von Spatzen im Kreisgebiet und in den Nachbarkreisen zu stoppen.2
(KU)


  1. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28.2.1951, S. 4: Mit Giftweizen gegen die Spatzenplage: Der Auftakt einer großen Vernichtungsaktion in Hessen / Die Tierschutzvereine protestieren.
  2. Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26.2.1959, S. 5: „Sperlings-Massenmord“ in Melsungen. Das sogenannte Grünkornverfahren mit gefärbtem Giftweizen wird nach Aussage des hessischen Ministers für Landwirtschaft und Umwelt Hans Krollmann auch in den 1960er und 1970er Jahren zur Bekämpfung von Sperlingen in Hessen eingesetzt, vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.11.1974, S. 23: Tod den Spatzen, Sicherheit für Singvögel: Hohe Schäden für die Landwirte / Eine neuartige Falle wird entwickelt.
Belege
  • Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28.2.1951, S. 4: Mit Giftweizen gegen die Spatzenplage: Der Auftakt einer großen Vernichtungsaktion in Hessen / Die Tierschutzvereine protestieren
Weiterführende Informationen
Hebis-Schlagwort
Pflanzenschädling ; Bekämpfung ; Schädling
Empfohlene Zitierweise
„Auftakt einer landesweiten Kampagne zur Spatzenvergiftung in Petterweil, 27. Februar 1951“, in: Zeitgeschichte in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/edb/id/4758> (Stand: 27.2.2023)
Ereignisse im Januar 1951 | Februar 1951 | März 1951
Do.Fr.Sa.So.Mo.Di.Mi.Do.Fr.Sa.So.Mo.Di.Mi.Do.Fr.Sa.So.Mo.Di.Mi.Do.Fr.Sa.So.Mo.Di.Mi.
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28