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Erlass gegen „Wucherer und Hetzer“ in Kassel, 17. Mai 1916

Das stellvertretende Generalkommando des XI. Armeekorps in Kassel veröffentlicht einen Erlass gegen „Wucherer und Hetzer“:

Die durch die Schwierigkeiten der Lebensmittelversorgung geschaffene Lage erfordert die ernsteste Aufmerksamkeit aller Behörden. Es gilt zu verhindern, dass die Stimmung der Bevölkerung in eine Richtung gedrängt wird, die das ‚Durchhalten‘ im Inneren des Landes gefährdet. Im Zusammenhang hiermit muss es schwere Besorgnis erregen, daß die Klagen sich mehren über freche Lebensmittelwucherer und darüber, daß das Treiben dieser selbstsüchtigen, gemeinschädlichen Wegelagerer von den Behörden nicht schnell und tatkräftig genug verfolgt und und von den Gerichten erst nach sehr langer Zeit und dann viel zu milde bestraft werde. (...) Diese Gefahren abzuwenden, muss mit allen zu Gebote stehenden Mitteln versucht werden; hierbei tatkräftig mitzuhelfen ist die Pflicht nicht nur der Behörden, sondern der gesamten Bevölkerung. Die folgenden Ermahnungen wenden sich daher an jeden Einzelnen:

1. Wer in jetziger Zeit Geld übrig hat, vergeude es nicht für Vergnügen, Kleiderstand oder sonstigen unnötigen Aufwand, nicht zum Aufspeichern von Vorräten für das eigene Wohlleben, sondern führe es gemeinnützigen Zwecken zu oder spare es für das Vaterland (Kriegsanleihe).

2. Um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, leiste jeder eine im Dienste des Vaterlandes nützliche und notwendige Arbeit, nicht aber trachte er danach, sein Geld dadurch zu vermehren, daß er seine Mitmenschen bewuchert oder zu überflüssigen und schädlichen Geldausgaben verleitet.

3. und das ist das Dringendste: Vor allem muß den Wucherern, dann aber auch denen, die die Unzufriedenheit schüren und hetzen, das Handwerk schnell und gründliche gelegt werden. Allgemeine Klagen helfen hier ebensowenig wie heimliche, nur auf Schwätzereinen gegründete Schmähanzeigen. Vielmehr muß der einzelne Wucherer oder Hetzer und seine Tat nach Name Ort und Zeit so genau zur Anzeige gebracht werden, daß man ihn wirklich fassen und unschädlich machen kann. Wer berechtigte Klagen zu haben meint, bringe sie vertrauensvoll zu Kenntnis der nächsten bürgerlichen Behörde.“1

Anlass für diese Veröffentlichung des stellvertretenden Generalkommandos ist ein Polizeibericht über Preiswucher zwei Tage zuvor. Dieser beschriebt zwei Vorfälle auf dem Wochenmarkt in Kassel: „Heute Vormittag gegen 9 Uhr wurde einer Heidelbeerverkäuferin (...) auf dem Wochenmarkt – Königsplatz in der Poststraße zwei Körbe mit Heidelbeeren umgestoßen und auf der Straße zerstreut, weil sie 30 Pfennige für 1/2 Liter verlangt habe. Nach Angaben des Hausmeister Friedrich Lapp, (...) hat ein Soldat die Körbe absichtlich umgestoßen. Ebenfalls wurde gegen 12 Uhr vormittags auf dem Wochenmarkt-Königsplatz die Ehefrau Elise Umbach aus Weimar, Landkreis Cassel, welche für einen ausgeschlachteten Stallhasen von 4 1/2 Pfund 8,00 M verlangt hatte, durch die den Markt besuchende Bevölkerung derart bedroht, dass ich dieselbe in Sicherheit bringen musste. Auch bei dieser Menschenansammlung war eine große Anzahl Soldaten beteiligt. In letzterer Zeit wird von den hiesigen Wochenmarkt besuchenden Verkäufern sehr oft über das herausfordernde Benehmen der sich auf dem Wochenmarkt aufhaltenden Soldaten bittere Klage geführt.2

Die prekäre Versorgungslage überall in Deutschland hat spätestens ab 1916 Auswirkungen auf den Handel und Verkauf alltäglicher Nahrungsmittel, die sich in Wucherpreisen, Lebensmittelknappheit und der steigenden Unzufriedenheit und mangelhaften Versorgung der Bevölkerung niederschlägt.3
(NT)


  1. Erlass Ib/Ie Nr. 9695/16 „Gegen Wucherer und Hetzer“ des stellv. Generalkommandos XI. Armeekorps, Cassel 17. Mai 1916, in: Stimmungsberichte Bd. 1, HStAM 165, Nr. 1213, Bd. 1, Bl. 89.
  2. Polizeibericht über Preiswucher auf dem Wochenmarkt, Kassel 15. Juli 1916, in: Stimmungsberichte Bd. 1, HStAM 165, Nr. 1213, Bd. 1, Bl. 103.
  3. Hirschfeld, Gerhard/Gerd Krumeich/Ina Renz (Hrsg.): Enzyklopädie Erster Weltkrieg: Ernährung, S. 461-464.
Belege
Weiterführende Informationen
Empfohlene Zitierweise
„Erlass gegen „Wucherer und Hetzer“ in Kassel, 17. Mai 1916“, in: Zeitgeschichte in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/edb/id/5579> (Stand: 17.5.2023)
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