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Hessische Staatsgerichtshof bestätigt Gültigkeit des Sozialisierungsartikels, 6. Juni 1952

In Wiesbaden urteilt der Hessische Staatsgerichtshof, dass die Überführung der Grundstoffindustrien und des Verkehrswesens aufgrund von Artikel 41 der Hessischen Verfassung rechtsgültig ist. Mit Inkrafttreten der Hessischen Verfassung am 1. Dezember 1946 ist den früheren Eigentümern der Besitz entzogen und sozialisiert worden. Weiter urteilt das Gericht, dass die Einsetzung von Treuhändern, wie vom ersten Ausführungsgesetz vorgesehen, rechtsgültig ist. Die Klage der hessischen FDP-Landtagsfraktion, der sich die Kasseler Verkehrsgesellschaft angeschlossen hatte, weist das Gericht damit ab. Vor allem die klagende FDP hatte die Position vertreten, dass der Artikel nur einen Programmsatz und kein aktuelles Recht darstelle. Begründet wird das Urteil vom Präsidenten des Staatsgerichtshofs, Dr. Karl Lehr (1881–1962) damit, dass seit der Weimarer Republik und ihrer Verfassung Privateigentum nicht mehr als Grundlage der Wirtschaftsordnung gewährleistet werde und das zudem in der Formulierung ‚Eigentum verpflichtet‘ […] ein Wandel zur sozial-ethischen Eigentumsauffassung zu sehen [sei], der in der Hessischen Verfassung in Artikel 39, 40 und 41 zum Ausdruck gekommen ist. Weiter betont das Gericht, dass Artikel 41 zwar einige Schwachstellen aufweise, aber dass hier die zeitlichen Umstände, unter denen die Verfassung erarbeitet worden ist, zu berücksichtigen seien Klar sei jedoch, dass er auf eine „Sofortsozialisierung“ zielte. Allerdings handelt es sich bei den überführten Betrieben nicht um Eigentum des Volkes; das Volk ist nicht der formell juristische[] Träger des Gemeineigentums. Hierbei handelt es sich vielmehr um eine programmatische Aussage. Zwar handelt es sich bei Unternehmen der öffentlichen Hand um Gemeineigentum, das bedeutete aber nicht, dass auf diese nicht auch die Grundsätze der Gemeinwirtschaft angewandt werden können. Hier könne der Gesetzgeber entsprechend eingreifen. In der Frage der Entschädigung kommt das Gericht zu dem Urteil, dass in der Hessischen Verfassung diese, im Gegensatz zum Grundgesetz, nicht verankert ist. Es findet sich kein entsprechender Artikel in der Landesverfassung. Eine Aufhebung der bereits erfolgten Eigentumsentziehungen könne aber nicht durch das Grundgesetz erwirkt werden. Unklar ist jedoch, wie sich das Grundgesetz auf noch nicht abgeschlossene Sozialisierungen auswirkt; diese Frage sei aber nicht Gegenstadt der eingereichten Klage gewesen und findet somit keinen Niederschlag im Urteil. Hinsichtlich der Frage, auf welche Wirtschaftszweige sich die Hessische Verfassung beziehe, kommt das Gericht zu dem Schluss, dass dies in Artikel 41 ausreichend niedergelegt ist. Genauere Differenzierungen hierzu können die Staatsorgane übernehmen. Ebenso ist das Treuhändergesetz nicht verfassungswidrig, da die früheren Eigentümer als Treuhänder fungierten und somit das Eigentum nicht herrenlos geworden sei.
(OV/MB/LV)

Belege
Empfohlene Zitierweise
„Hessische Staatsgerichtshof bestätigt Gültigkeit des Sozialisierungsartikels, 6. Juni 1952“, in: Zeitgeschichte in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/edb/id/1004> (Stand: 6.6.2021)
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