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Urteile im Frankfurter Kaufhausbrand-Prozess, 31. Oktober 1968

Der am 14. Oktober 1968 begonnene Prozess gegen die mutmaßlichen Kaufhaus-Brandstifter und späteren Aktivisten der „Rote Armee Fraktion“ Andreas Baader und Gudrun Ensslin, die zusammen mit Thorwald Proll und Horst Söhnlein (beide in der Außerparlamentarischen Opposition aktiv) am 2. April 1968 mit selbstgebauten Brandsätzen Anschläge auf die Kaufhäuser Schneider und Kaufhof an der Frankfurter Zeil verübt haben, endet mit mehrjährigen Freiheitsstrafen für die Beteiligten. Das Schöffengericht der Großen Strafkammer am Landgericht Frankfurt folgt allerdings nur teilweise der Argumentation der Staatsanwaltschaft und verhängt ein Strafmaß von jeweils drei Jahren Zuchthaus. Der Prozess verlief teilweise unter ungewöhnlichen Umständen, so erklärten zum Beispiel die Berliner Rechtsanwälte Horst Mahler und Klaus Eschen die eigentlich vor Gericht obligatorisch zu tragende Robe zu einem „antiquierten Requisit, das nichts mit der Wahrheitsfindung zu tun habe“ und zum „Standessymbol“. Bei der Vereidigung der vernommenen Prozesszeugen erhoben sie sich demonstrativ nicht von ihren Plätzen, um Solidarität mit den Angeklagten zu üben, die zuvor wegen Sitzenbleibens der „Ungebühr“ gegenüber dem Gericht zu Ordnungsstrafen verurteilt worden waren (Paragraph 178 des am 1. Oktober 1879 in Kraft getretenen Gerichtsverfassungsgesetzes vom 27. Januar 1877). Die Angeklagten äußerten wiederholt die Staatsmacht verhöhnende Kommentare und wohnten teils übermütig gut gelaunt und Zigarre rauchend der Verhandlung bei. Die Auffassung der Beschuldigten, es habe sich bei den Brandanschlägen um ein Fanal gegen die US-Politik in Vietnam und die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse in der Bundesrepublik gehandelt, teilen die Richter bei der Verkündung des Urteils nur bedingt: in der Urteilsbegründung (die nach Verlauten des Strafmaßes von drei Jahren Freiheitsentzug erst im zweiten Anlauf fortgesetzt werden kann, nachdem die Angeklagten und mehrere Prozesszuschauer für eine tumultartige Szene sorgten und des Saals verwiesen wurden) bewerten sie die von Baader und Ensslin vorgebrachte Rechtfertigung als „unrealistisch“, denn: „Mangels wirksamer Effektivität ist schon um deswillen politischer Widerstand unrechtmäßig; gleichzeitig beschwört dieser Terror im eigenen Land eine Situation herauf, gegen die gerade die Angeklagten protestieren wollen. Nicht zuletzt ist die Enthaltung von gewaltsamer Einmischung in fremde Angelegenheiten (vergleiche Artikel 2 UNO-Charta) vorläufig die einzige Möglichkeit, internationale Konflikte zu lokalisieren und eine weiteres Umsichgreifen der Inhumanität zu begrenzen.“ Gleichzeitig äußert das Gericht jedoch auch begrenzte Anerkennung der von Baader und Ensslin vorgebrachten Motive: „Es wird […] nicht verkannt, dass der Vietnam-Krieg für sie zu einem ‚Schlüsselerlebnis‘ geworden ist, ein Erlebnis, das jeden human gesinnten Menschen berühren sollte.“1

Die „Kaufhausbrandflugblätter“ der Kommune I als Inspiration

Als Inspirationsquelle für die Tat wird eine Serie von Flugblättern der Berliner Kommune I vom Mai 1967 angesehen. Bezug nehmend auf den Umstand, dass ein Brandunglück im Brüsseler Kaufhaus „A l'Innovation“ mit mehr als 300 Toten2 bei den Berliner Bürgern vermeintlich größere Betroffenheit auslöste als das Leiden vietnamesischer Zivilisten im Bombardement amerikanischer Militärflugzeuge brachte die Kommune I am 24. Mai 1967 vier selbstverfasste Satiren (nummeriert von 6 bis 9) in Umlauf, die zynisch mit der Militärintervention der Vereinigten Staaten abrechnen. Auf Flugblatt Nr. 7 mit der Überschrift Warum brennst Du, Konsument? und dem die Kopfzeile einrahmenden Spruchläufen „Neu! Unkonventionell!“ und „Neu! Atemberaubend! heißt es:

„[…] Ein brennendes Kaufhaus mit brennenden Menschen vermittelte zum erstenmal in einer europäischen Großstadt jenes knisternde Vietnamgefühl (dabeizusein und mitzubrennen), das wir in Berlin bislang noch missen müssen. Skeptiker mögen davor warnen, »König Kunde«, den Konsumenten, den in unserer Gesellschaft so eindeutig Bevorzugten und Umworbenen, einfach zu verbrennen. … Sosehr wir den Schmerz der Hinterbliebenen in Brüssel mitempfinden: wir, die wir dem Neuen aufgeschlossen sind, können, solange das rechte Mass nicht überschritten wird, dem Kühnen und Unkonventionellen, das, bei aller menschlichen Tragik im Brüsseler Kaufhausbrand steckt, unsere Bewunderung nicht versagen. Auch der Umstand, dass man dieses Feuerwerk Anti-Vietnam-Demonstranten andichten will, vermag uns nicht irrezuführen. Wir kennen diese weltfremden, jungen Leute, die immer die (Plakate) von gestern tragen, und wir wissen, dass sie trotz aller abstrakten Bücherweisheit und romantischer Träumereien noch immer an unserer dynamisch-amerikanischen Wirklichkeit vorbeigegangen sind.

Ein weiteres Flugblatt dieser Serie mit der Nummer 8 gab sich nicht nur in vergleichbarer Weise amerikakritisch, sondern nahm auch den Berlin-Besuch des Schahs von Persien, Mohammad Reza Pahlav, am 2. Juni 1967 ins Visier:

Bisher krepierten die Amis in Vietnam für Berlin. Uns gefiel es nicht, dass diese armen Schweine ihr Cocacolablut im vietnamesischen Dschungel verspritzen mussten. Deshalb trottelten wir anfangs mit Schildern durch leere Straßen, warfen ab und zu Eier ans Amerikahaus und zuletzt hätten wir gern HHH [Hubert Horatio Humphrey, der US-Vizepräsident – KU] in Pudding sterben sehen.3 Den Schah pissen wir vielleicht an, wenn wir das Hilton stürmen, erfährt er auch einmal, wie wohltuend eine Kastration ist, falls überhaupt noch was dranhängt...es gibt da so böse Gerüchte. Ob leere Fassaden beworfen, Repräsentanten lächerlich gemacht wurden – die Bevölkerung konnte immer nur Stellung nehmen durch die spannenden Presseberichte. Unsere belgischen Freunde haben es endlich den Dreh heraus, die Bevölkerung am lustigen Treiben in Vietnam wirklich zu beteiligen: sie zünden ein Kaufhaus an, dreihundert saturierte Bürger beenden ihr aufregendes Leben und Brüssel wird Hanoi. Keiner von uns braucht mehr Tränen über das arme vietnamesische Volk bei der Frühstückszeitung zu vergießen. Ab heute geht sie in die Konfektionsabteilung von KaDeWe, Hertie, Woolworth, Bilka oder Neckermann und zündet sich diskret eine Zigarette in der Ankleidekabine an. Dabei ist nicht unbedingt erforderlich, dass das betreffende Kaufhaus eine Werbekampagne für amerikanische Produkte gestartet hat, denn wer glaubt noch an das ‚Made in Germany‘? Wenn es irgendwo brennt in der nächsten Zeit, wenn irgendwo eine Kaserne in die Luft geht, wenn irgendwo in einem Stadion die Tribüne einstürzt, seid bitte nicht überrascht. Genausowenig wie beim überschreiten der Demarkationslinie durch die Amis, der Bombardierung des Stadtzentrums von Hanoi, dem Einmarsch der Marines nach China. Brüssel hat uns die einzige Antwort darauf gegeben: burn ware-house, burn!

Gegen die Köpfe der Kommune I, Fritz Teufel und Rainer Langhans, wurde daraufhin von der Staatsanwaltschaft des Berliner Landgerichts Anklage wegen Aufrufs zu „menschengefährdender Brandstiftung“ erhoben und am 6. Juli 1967 ein Prozeß eröffnet.4

Die vom Verteidiger Mahler einberufenen Gutachter (darunter ein halbes Dutzend Professoren der Freien Universität Berlin) bescheinigen der Kampagne einen ironischen, satirischen Charakter. Daraufhin werden Teufel und Langhans freigesprochen.5
(KU)


  1. Aus der Urteilsbegründung des Gerichts vom 31. Oktober 1968, zitiert nach Butz Peters, Tödlicher Irrtum: Die Geschichte der RAF, Berlin 2004, S. 114.
  2. Das Kaufhaus „A l’Innovation“ brannte am 22. Mai 1967 bis auf die Grundmauern nieder, nachdem in der Kinderabteilung um die Mittagszeit ein Feuer ausgebrochen war. Das Kaufhaus, an der bekannten Brüsseler Einkaufsmeile Rue Neuve gelegen, zählte an diesem Tag besonders viele Kunden, die eine Sonderausstellung mit sonst nicht erhältlichen Konsumgütern aus den USA besuchten. In den vorangegangenen Wochen hatten unbekannte Gegner des US-Engagements in Vietnam im Kaufhaus Flugblätter verteilt, auf denen gefordert wurde, „die Ausstellung »hochgehen« zu lassen“. Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23.5.1967, S. 7.
  3. Am 5. April 1967 waren elf Mitglieder der Kommune I verhaftet worden Man warf ihnen vor, unter „verschwörerischen Umständen zusammengekommen“ zu sein und „hierbei Anschläge gegen das Leben oder die Gesundheit des amerikanischen Vizepräsidenten Humphrey“ geplant zu haben. Die Polizei teilte weiter mit, die Gruppe „habe ihre Anschläge mittels Bomben und mit Chemikalien gefüllten Plastikbeuteln“ durchführen wollen. Zwei Tage später stellte sich heraus, dass es sich bei den von der Polizei als „unbekannte Chemikalien“ zum Bombenbau beschlagnahmten Plastiktüten tatsächlich um Puddingpulver, Lebensmittelfarbstoff und Mehl handelte. Die elf Kommunarden, die als Akteure des „Pudding-Attentats“ in die Annalen der Studentenbewegung eingingen, wurden unverzüglich freigelassen. Vgl. Butz Peters, Tödlicher Irrtum: Die Geschichte der RAF, Berlin 2004, S. 86 f.
  4. Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 7.7.1967, S. 8: Berliner Studenten vor Gericht: Der Prozeß gegen Fritz Teufel und Rainer Langhans eröffnet.
  5. Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.7.1967, S. 7: Anderthalb Tage im Saal 500: Szenen vom Prozeß gegen die Studenten Langhans und Teufel / Von Dieter Hildebrandt.
Belege
Weiterführende Informationen
Empfohlene Zitierweise
„Urteile im Frankfurter Kaufhausbrand-Prozess, 31. Oktober 1968“, in: Zeitgeschichte in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/edb/id/1257> (Stand: 26.11.2022)
Ereignisse im September 1968 | Oktober 1968 | November 1968
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