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Hessische Biografie

Hessen-Kassel, Karl Landgraf von [ID = 5826]

* 3.8.1654 Kassel, † 23.3.1730 Kassel, evangelisch-reformiert
Landgraf
Andere Namen | Wirken | Familie | Nachweise | Leben | Zitierweise
Familie

Vater:

Hessen-Kassel, Wilhelm VI. Landgraf von, 1629–1663

Mutter:

Brandenburg, Hedwig Sophia Markgräfin von, 1623–1683

Partner:

Verwandte:

Nachweise

Quellen:

Literatur:

Bildquelle:

Schultz, Geschichte Hessens, Abb. 55. – Landgraf Karl in dänischer Generalsuniform. Gemälde von Andreas Möller.

Leben

Der zweite Sohn Landgraf Wilhelms VI. erfuhr nach dem frühen Tod des Vaters mit seinen Geschwistern unter Leitung der Mutter eine Erziehung, in der sich reformierte Frömmigkeit und Weltläufigkeit verbanden. Als er die Nachfolge seines kurz nach Erreichen der Volljährigkeit verstorbenen Bruders Wilhelm VII. übernehmen musste, stand Karl zunächst noch unter der Vormundschaft der Mutter#5825. Von Wilhelms Tod in Paris erfuhr die Familie in Berlin, wo man die Hochzeit Landgraf Friedrichs II. von Hessen-Homburg mit Louise von Kurland feierte, deren jüngere Schwester Maria Amelia mit dem verstorbenen Wilhelm verlobt war. Landgräfin Hedwig Sophie bemühte sich alsbald um eine Übertragung der Verlobung auf den nunmehrigen, erst 16-jährigen Thronfolger. Dem kam zustatten, dass die nur wenig ältere Maria Amelia seit 1669 zumeist in Kassel lebte. Dort war auch der jüngere Berliner Vetter Friedrich wiederholt für längere Zeit zu Gast, was zu einer engen Freundschaftsbeziehung zu Karl und zur jedoch nur kurzen Ehe des Kurprinzen mit Karls jüngerer Schwester Elisabeth Henriette führte. Landgraf Karls Hochzeit mit Maria Amelia wurde im Mai 1673 in Kassel gefeiert, noch vor der offiziellen Volljährigkeitserklärung des Bräutigams. Von den insgesamt 17 Kindern, die dem Ehepaar in den beiden Folgejahrzehnten geboren wurden, starben – abgesehen von den drei Totgeburten – vier noch als Kleinkinder, sodass sieben Söhne und drei Töchter das Erwachsenenalter erreichten.

Obwohl Karl bereits Ende 1673 die kaiserliche Belehnung erhalten hatte, blieb die Führung der Regierungsgeschäfte noch bis 1677 in den Händen der Mutter, die ihren Sohn allerdings zunehmend mit einbezog. Landgraf Karl entwickelte früh ein ausgeprägtes fürstliches Selbstverständnis, das sich von der eher sparsamen Politik seiner Vorgänger während und unmittelbar nach dem Dreißigjährigen Krieg unterschied. Dazu gehörte vorab ein stehendes Heer, mit dem Hessen-Kassel in den Kreis der sogenannten armierten Reichsstände aufrückte. Um die beträchtliche finanzielle Belastung zu mildern, die sich aus der in den 1680er Jahren ca. 10.000 Mann zählenden Armee ergab, schloss man zahlreiche Subsidienverträge mit zahlungskräftigen Partnern ab, so mit den Niederlanden, Venedig, Dänemark, England oder dem Kaiser. Beraten von seinem Mentor und väterlichen Freund Fürst Georg Friedrich von Waldeck, der in den 1650er Jahren Leitender Minister des „Großen Kurfürsten“ in Berlin gewesen war, dann aber vorrangig im Dienst der Niederlande und des Reiches wirkte, entschied sich Karl schon ab 1689 für eine politische Neuorientierung und brach mit Hessen-Kassels traditionellen Bündnispartnern Frankreich und Schweden. In den nachfolgenden Kriegen war er stets verlässlicher Partner und Truppensteller der von den Generalstaaten, England und dem Kaiser geführten Allianz gegen das ludovizianische Frankreich. Die Hoffnungen Karls, durch den engen Schulterschluss mit dem Kaiser eine territoriale Arrondierung seiner Landesherrschaft, vor allem die Rückgewinnung der Souveränität über Hessen-Rheinfels-Rotenburg und die Kurfürstenwürde zu erreichen, blieben freilich unerfüllt. Die Bemühungen um den dynastischen Aufstieg seiner Familie waren gleichwohl erfolgreich: In Fortführung einer seit Generationen gepflegten Heiratspolitik konnte Karls Sohn und Nachfolger Friedrich 1720, noch zu Lebzeiten des Vaters, den schwedischen Königsthron besteigen.

Die ehrgeizige Außen- und Militärpolitik flankierte Landgraf Karl mit einer den vorherrschenden merkantilistischen Lehren folgenden Wirtschaftspolitik, die der ökonomischen Entfaltung Hessen-Kassels und damit zugleich der Steigerung der landgräflichen Einnahmen dienen sollte. Eine Schlüsselbedeutung kam der Anwerbung von Gewerbetreibenden zu; Karl gehörte zu den ersten Reichsfürsten, die durch großzügige Privilegien (Freiheitskonzession von 1685) um die in Frankreich verfolgten Hugenotten warben. Vor allem die Residenzstadt Kassel, die ihre Einwohnerzahl auf 20.000 verdoppeln konnte, profitierte von dieser Ansiedlungspolitik, zu der auch die Gründung des für eine Belebung der Weserschifffahrt gedachten „Karlshafen“ zählte. Zu Karls Streben nach fürstlicher Reputation und Rangerhöhung gehörte auch sein höfisches Bauprogramm. Mit großer Entschlossenheit nutzte er seine lange Regierungszeit von mehr als einem halben Jahrhundert, um seine Residenz zu einem Zentrum der höfischen Welt des Barock zu machen. Das umschloss unter anderem die Schöpfung großer Garten- und Parkanlagen, die durch eine Besichtigungsreise nach Italien 1699/1700 vorbereitet wurde. Die „Karlsaue“ mit dem Orangerieschloss sowie der „Karlsberg“ mit seinen Kaskaden, Grotten und Wasserkünsten, die durch den italienischen Architekten Giovanni Francesco Guerniero bis 1718 angelegt wurden, bezeugen den herrscherlichen Anspruch und den repräsentativen Ehrgeiz des Landgrafen. Die als architektonischer Höhepunkt und Point de vue der gesamten Residenzstadt errichtete Herkules-Statue auf der heutigen „Wilhelmshöhe“ ist als Versinnbildlichung der Tugenden des Herrschers zu sehen. Neben dem „großmütigen“ Vorfahren Philipp hat Karl zweifellos als die markanteste Persönlichkeit des landgräflichen hessischen Herrscherhauses in der Frühen Neuzeit zu gelten.

Landgräfin Maria Amelia war schon 1711, mitten im Spanischen Erbfolgekrieg, auf der Reise zur Kur in Schlangenbad verstorben, körperlich erschöpft und verbraucht, wozu wohl auch die Belastung durch den Soldatentod der Söhne Karl, Leopold und Ludwig in den Jahren 1702/06 und die Sorgen um den noch im Felde stehenden jüngsten Sohn Maximilian beigetragen hatten. Hinweise auf Pläne zu einer Wiederverheiratung des 57jährigen Witwers Karl gibt es nicht. Stattdessen ging er langjährige Beziehungen mit zwei Mätressen ein: zunächst ab 1713 mit der Marquise Jeanne Marguerite de Langallerie (1686–1736), die 1713 mit ihrem Mann Philipp (1661–1717), einem zuletzt in kaiserlichen Diensten stehenden Kavalleriegeneral, nach Kassel gekommen war; von den zwei Söhnen der Liaison ist der eine im Kindbett, der 1716 geborene Charles de Gentil als junger Mann in venezianischen Diensten ums Leben gekommen. Die 1717 angebahnte Beziehung Karls zu Barbara Christina von Bernhold (1690–1756), einer Hofdame der Landgräfin Eleonore von Hessen-Rotenburg-Rheinfels, blieb ohne Nachkommen. Die Bernhold musste Kassel nach Landgraf Karls Tod für zwei Jahre verlassen, gewann aber dann die Gunst der Söhne, König Friedrichs I. und Landgraf Wilhelms VIII.; sie wurde 1742, inzwischen Großhofmeisterin am schwedischen Hof in Stockholm, vom Kaiser in den Reichsgrafenstand erhoben.

Holger Th. Gräf

(Text identisch mit: Franz, Das Haus Hessen, S. 113-115)

Zitierweise
„Hessen-Kassel, Karl Landgraf von“, in: Hessische Biografie <https://www.lagis-hessen.de/pnd/118560050> (Stand: 25.3.2024)