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Hessische Biografie

Portrait

Samuel Wolf Levi
(1751–1813)

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GND-Nummer

1041787413

Levi, Samuel Wolf [ID = 3318]

* 1751, † 13.9.1813 Mainz, jüdisch
Rabbiner
Andere Namen | Wirken | Familie | Nachweise | Leben | Zitierweise
Wirken

Werdegang:

  • Schulbesuch in Augsburg
  • Rabbiner in Worms und Mitglied der von Napoleon einberufenen jüdischen Notablen-Versammlung und des Sanhedrin 1806/1807
  • 1807-1813 (Groß-) Rabbiner von Mainz
Familie

Vater:

Levi, Wolf, Rabbiner in Pfersee bei Augsburg

Partner:

  • Hall, Pessel
  • Worms, N.N., Tochter des Hirsch Worms aus Saarlouis
  • Worms, Brendelchen (Sara), gestorben Gießen 9.8.1854, Tochter des Hirsch Worms aus Saarlouis, sie verheiratet II. Karlsruhe 1829 mit Ascher Löw, 1754–1837, Oberlandesrabbiner im Großherzogtum Baden, bis 1840 in Karlsruhe, anschließend bei ihrem Sohn in Gießen

Verwandte:

Nachweise

Quellen:

  • Informationen des Stadtarchivs Karlsruhe
  • Informationen des Stadtarchivs Gießen

Literatur:

Leben

Samuel Wolf Levi kam 1751 als Sohn des Landesrabbiners Wolf Levi in Pfersee bei Augsburg auf die Welt. Rabbiner Abraham Binjamin Wolf Spiro ben Schmuel Halevi (geb. in Prag und bis 1764 Landesrabbiner in Oettingen, Landkreis Donau-Ries1, von 1764 bis 1792 Landesrabbiner der Markgrafschaft Burgau und Schwaben).2 Er starb 1792 in Pfersee.

Mitte des 18. Jahrhunderts wurde von Hieronymus Andreas Mertens (6. Januar 1743 in Augsburg – 17. Januar 1799), dem Stadtbibliothekar und Rektor des Gymnasiums bei St. Anna, im Rahmen einer Schulreform die modernen Fremdsprachen Französisch und Italienisch eingeführt.3 Rabbiner Levi lag nicht nur die theologische Bildung seiner Söhne Samuel Wolf, Hirsch Wolf4 und Salomon Wolf Levi (geb. 1748 in Pfersee – 13. Januar 1825 in Gailingen/Baden)5 am Herzen, sondern er ließ ihnen auch eine weltliche Bildung am Augsburger Gymnasium zukommen, wo sie auch unter anderem Französischunterricht hatten.

Die Söhne Samuel und Salomon folgten der Familientradition und strebten das Rabbineramt an.

Mit „knapp zwanzig Jahren“ heiratete Samuel Levi um 1776 die Tochter des Rabbiners Elchanan Abraham aus Wassertrüdingen, Pesla Hall. Sie starb nach zehn Ehejahren, worauf er Kendel Worms zur Frau nahm. Nach deren frühen Tod ehelichte er deren Schwester, die Porzellanhändlerin Brendelchen Worms (später Sara, geb. 1774), die Tochter des Kaufmanns Hirsch Worms aus Saarlouis.6

Im April 1783 wurde er ins Amt des Rabbiners von Worms berufen und ließ sich in der Judengasse nieder.7 Laut Fritz Reuter erfolgte dies bereits 1778.8

Ende des 18. Jahrhunderts besetzten die Franzosen das linksrheinische Gebiet. Rabbiner Levi flüchtete mit Frau und Kind über die Grenze nach Frankfurt am Main, da er fürchtete, als Mitglied der Notabeln von Worms in Geiselhaft zu geraten. Trotz dieser Flucht war er im „Grunde seines Herzens der Freiheits- und Gleichheitsidee sehr gewogen, wie er später auch von hoher Bewunderung für Napoleon erfüllt war, wovon mehrere hebräische Oden und Gebete sowie Predigten zur Ehre desselben Zeugnis gaben.“9 Nach elf Monaten kehrte er nach Worms zurück.

Dort kamen die Kinder die Kinder Elias, Rosa, Abraham, Maria, Benedikt und Michel auf die Welt. Benedikt „beschreibt ihn nach seiner Erinnerung als einen schönen, großen, starken und stattlichen Mann mit rundem, vollem, etwas gerötetem Gesichte, weißem, dünnem Barte, schönen Augen, schön geformtem Munde, schöner Nase, zarten, weißen Händen, das runde kleine Käppchen oder den großen dreieckigen breiten Hut auf dem Kopfe, immer fein gekleidet, beim Spaziergang das spanische Rohr mit großen Goldknopfe in der Hand, durch die äußere Erscheinung Ehrfurcht einflößend.“10

Die fundierten Französischkenntnisse, die Rabbiner Levi in seiner Jugend am Augsburger Gymnasium erworben hatte, kamen ihm in Worms zugute. Damals war Worms unter französischer Verwaltung. Er selbst schrieb dazu: „Zu damaliger Zeit, in den 90er Jahren, waren in Worms sehr wenige Leute der französischen Sprache kundig; ich war vielleicht der Einzige, der sie geläufig sprach und cursorisch las. Und da dies in der Stadt bekannt war, versammelten sich eine zeitlang allabendlich Bürgermeister, Gemeinderäte und viele Bürger vor meinem in der Häuserreihe der Judengasse etwas zurückstehenden Hause, um ihnen auf dem Sessel sitzend, den Inhalt der angelangten Pariser Zeitung sogleich deutsch vorzutragen.“11

Rabbiner Levis Ansehen innerhalb der Wormser Gemeinde spiegelt sich auch in dieser Begebenheit, Jahre nach Rabbiner Levis Tod, wider: „Sein Sohn, der Rabbiner in Gießen, hörte bei einem Besuch in Worms, daß eine arme Familie in der Judengasse das Bild seines Vaters besitze. Er gab sich alle Mühe, das Bild zu erwerben. ‚Um keinen Preis geben wir dieses Bild her, zu ihm haben wir in schweren Tagen aufgeblickt und haben uns dabei getröstet, wir geben das Bild nicht her.‘“12

Rabbiner Levi war auch ein sehr integrer und nachsichtiger Geistlicher in seiner Gemeinde. „Es kam eines Tages ein Mann zu ihm und meldete: ‚Rebbe [jiddisch für „Rabbiner“, Anm. S.R.] ich habe den N.N. am Sabbat schreiben sehen.‘ Levi antwortete: ‚Wer heißt dich sehen, du brauchst nicht zu sehen.‘“13 Als einmal das Gemeindevermögen von einem Mitglied gestohlen wurde und der Rabbiner einen Verdacht hatte, wer es gewesen sein könnte, berief er einen Gottesdienst ein, ordnete einen Fasttag an und setzte eine Frist von drei Tagen, in der das Geld an einem bestimmten Ort anonym niedergelegt werden sollte, wie man bei Samson Rothschild nachlesen kann.14

Seine guten Französischkenntnisse nutzte Rabbiner Samuel Levi auch, um bei der französischen Administration um die Schaffung eines Rabbinatsbezirks zu bitten: „Un homme qui occupe un siège de rabbin, qui est peut-être le plus ancien siège de rabbin en Europe, dont les habitants juifs ne sont pas assez à leur aise pour l’entretenir seulement de la moitié de ses bésoins le plus absolus.“15 Eine Bitte, die ihm gewährt wurde.

1806 wurde Rabbiner Levi als Repräsentant seines Rabbinats nach Paris entsandt, um am Großen Sanhedrin unter dem Vorsitz von Rabbiner David Sinzheim teilzunehmen. Er war schon mit den Vorbereitungen für die Ratsversammlung betraut. J. P. Hebel berichtet, der Grund für die Einberufung des Sanhedrins bestand darin, „ob ein Jude das Land, worin er lebt, nach seinem Glauben könne ansehen und lieben als sein Vaterland, und die andern Bürger desselben als seine Mitbürger, und die bürgerlichen Gesetze desselben halten“16, das heißt Napoleon wollte überprüfen, ob die jüdische Religion sich nicht über die Gesetze des französischen Staats erheben würde. Die Delegierten „konnten sich dabei auf das Judentum berufen, das in seinen drei Phasen der biblischen, talmudischen und rabbinischen die Menschenliebe und Brüderlichkeit an die Spitze stellt.“17 Dem Sanhedrin gehörten 45 Rabbiner aus allen französischen Provinzen an und etliche Laien, darunter auch der Verwandte von Rabbiner Samuel Levis Frau Brendel, der Bankier Olry-Hayem Worms (1759–1849).18

Der Sanhedrin fand im Pariser Rathaus statt und die Mitglieder erschienen „in schwarzer Tracht, mit einem seidenen Mäntelchen und einem dreieckigen Hut auf dem Haupte, das war vorgeschrieben und kein Mitglied durfte anders erscheinen.“19 Die Mitglieder überprüften, in wie weit die jüdischen Gesetze mit denen des französischen Staates vereinbar waren und befanden, sie stimmten miteinander überein. Als „Anerkennung“ wurden ihnen offiziell nun die gleichen Bürgerrechte zugestanden. Napoleon wusste nichts vom talmudischen Prinzip „dina de-malchuta dina“ (aramäisch, „Das Gesetz des Landes ist Gesetz“), das bedeutet, dass Juden in der Diaspora verpflichtet sind, die Gesetze des Landes, in dem sie leben, zu respektieren und zu befolgen.

Zu Rabbiner Samuel Levi schreibt der Wormser Chronist Samson Rothschild: „Er zählte zur Mittelpartei und machte natürlich oft den Sprecher, namentlich bei festlichen Gelegenheiten in Namen der nur deutsch sprechenden Rabbiner. Napoleon hatte besondere Freude an dem gebildeten, Französisch redenden Deutschen. In einer Audienz habe Napoleon Levi gefragt, was denn die Rabbiner tun würden, wenn er die von ihnen beabsichtigten Maßregeln selbst gegen ihre Gutheißung durchführen werde? „Ew. Majestät kann niemand widerstehen!“ war die Antwort Levis.

Während seiner Anwesenheit in Paris hatte er in der großen Synagoge eine „Drascha“ (Predigt) unter großen Beifall gehalten und sowohl diese als sein kluges Verhalten auf dem Sanhedrin fanden solche Anerkennung, dass Napoleon ihm die Wahl gelassen, Grand-Rabbin zu Metz oder zu Mainz zu werden, welch letztere Stadt damals das kleine Paris genannt wurde. Levi entschied sich für der letzten Stadt, sodass er 1808 zum Grand Rabbin du consistoire du département du Mont-Tonnère ernannt wurde, welche Stelle er dann ein Jahr darauf antrat.“20

Doch in Mainz hatte die Gemeinde nicht auf Rabbiner Levi gewartet und einige Anhänger seines Vorgängers, der sein Rabbinat zugunsten von Rabbiner Levi aufgeben musste, verweigerten dem neuen Oberrabbiner (Grand Rabbin) die Gefolgschaft. „Der Zwiespalt kam besonders zum Durchbruch bei einer Audienz, die Vorstand und Rabbiner 1812 bei Napoleon in Mainz haben sollten. Levi, der diesen und das Leben am Pariser Hof mit seinen Etiketten kannte, gab dem Vorstand das Programm, das dieser ablehnte mit den Worten: „Man braucht nicht zur Audienz zu fahren, man kann auch gehen, und auch die von Levi vorgeschriebene Kleidung sei nicht nötig.“ Der Vorstand wurde – nicht empfangen.“21

Kurze Zeit später erkrankte Rabbiner Levi an Gelbsucht. „Am 13. September 1813 starb er, umgeben von einer trauernden Witwe und acht unversorgten Kindern. Kurz vor seinem Tod hatte er all seinen Kindern die Hände aufgelegt, ohne etwas dabei zu sprechen. Nur bei seinem Sohn Benedikt sagte er: „Du sollst Raw werden.“22

Susanne Reber


  1. https://www.alemannia-judaica.de/oettingen_texte.htm#Rabbiner_Wolf_Levi_(Rabbiner_in_Oettingen_von_1753_bis_1764)_und_seine_Familie_(Artikel_von_1933) (eingesehen am 29.10.2020).
  2. Frithjof Haas, Zwischen Brahms und Wagner. Der Dirigent Hermann Levi, Zürich/Mainz 1995, S. 13.
  3. Stadtlexikon Augsburg: https://www.wissner.com/stadtlexikon-augsburg/startseite/zur-entstehung-des-augsburger-stadtlexikon-online (eingesehen am 29.10.2020).
  4. Hirsch Levi wird in der „Matrikel der jüdischen Glaubensgemeinschaft in der Stadt Augsburg“ als Wechselhändler aus Kriegshaber geführt, der sich später als Bankier Heinrich Levinau nannte. Samson Rothschild, Lehrer aus Worms und Chronist der dortigen jüdischen Gemeinde, schrieb über Hirsch Levi: „Hirsch widmete der Kaufmannsstande. Er wurde Bankier und hinterließ seinen Kindern (Elias, Seligmann, Benjamin, Wolf und Jeannette; siehe Rolf Kießling (Hrsg.), Judengemeinde in Schwaben im Kontext des Alten Reiches, Berlin 1995) ein bedeutendes Vermögen. Ein Sohn desselben, der das Bankgeschäft übernahm, gab dieses später auf, weil die Börse [am Ludwigsplatz, zu Beginn der Maximilianstraße in Augsburg, Anm. S.R.] ihn als Juden von der Gilde ausschloss. Dass er neben seiner kaufmännischen und sonstigen Bildung auch des Hebräischen und Talmudischen sehr kundig gewesen sein muss, beweist der Umstand, dass man ihn mit einer von ihm selbst verfassten beauftragen möge, was aber das Rabbinat ablehnte.“ http://www.alemannia-judaica.de/worms_rabbiner_lehrer.htm#%C3%9Cber_Rabbiner_Samuel_Levi_(gest._1813)_(Artikel_von_1912) (eingesehen am 29.10.2020).
  5. Salomon Levi, der seit 1813 Salomon Spiro, dann Salomon Levinger hieß, war ab 1778 Landesrabbiner der Ritterschaft Liebenfels am Bodensee für den Rabbinatsbezirk Gailingen, Wangen und Worblingen. Zwischen 1777 und 1806 brachte seine Frau Mirjam, geb. Daniel, mehrere Kinder zur Welt. Seine hervorgehobene Stellung zeigt sich auch darin, dass der Rabbiner sein dreistöckiges Haus in der Hauptstraße neben dem Rathaus errichten durfte. Er fand seine letzte Ruhe auf dem jüdischen Friedhof in Gailingen.
  6. Carsten Wilke (Bearb.), Biographisches Handbuch der Rabbiner, München 2004, S. 586 f.
  7. Frithjof Haas, Zwischen Brahms und Wagner. Der Dirigent Hermann Levi, Zürich/Mainz 1995, S. 13.
  8. Fritz Reuter, Warmaisa. 1000 Jahre Juden in Worms, Worms 2009, S. 141.
  9. Samson Rothschild, Samuel Levi. Ein Wormser Rabbiner und Mitglied des Pariser Sanhedrin, in: Allgemeine Zeitung des Judentums 76 (1912), Heft 17 (26.4.1912).
  10. Samson Rothschild, Samuel Levi. Ein Wormser Rabbiner und Mitglied des Pariser Sanhedrin, in: Allgemeine Zeitung des Judentums 76 (1912), Heft 17 (26.4.1912).
  11. S. Rothschild, Beamte der Wormser jüdischen Gemeinde, Frankfurt am Main 1920, S. 8.
  12. Ebd., S. 12.
  13. Ebd., S. 10 f. Am Sabbat, dem Ruhetag, ist es einem gläubigen Juden auch verboten, Schreibarbeiten zu erledigen.
  14. Ebd.
  15. „Ein Mann, der einen Rabbinatssitz innehat, der vielleicht das älteste Rabbinat in Europa ist, dessen jüdische Bewohner nicht ausreichend in der Lage sind, um halbwegs ihre dringendsten Bedürfnisse zu stillen.“
  16. J. P. Hebel, Schatzkästlein des rheinischen Hausfreunds, Berlin, 2016. S. 90.
  17. http://www.zeno.org/Geschichte/M/Graetz,+Heinrich/Geschichte+der+Juden/Vierter+Zeitraum/Erste+Periode.+Die+Periode+der+G%C3%A4rung+und+des+Kampfes (eingesehen am 3.11.2020).
  18. http://www.genami.org/Personnages-celebres/en_membres-gd-sanhedrin.php (eingesehen am 3.11.2020).
  19. http://www.zeno.org/Literatur/M/Hebel,+Johann+Peter/Prosa/Schatzk%C3%A4stlein+des+rheinischen+Hausfreundes/Der+gro%C3%9Fe+Sanhedrin+zu+Paris (eingesehen am 3.11.2020).
  20. Samson Rothschild, Samuel Levi. Ein Wormser Rabbiner und Mitglied des Pariser Sanhedrin, in: Allgemeine Zeitung des Judentums 76 (1912), Heft 17 (26.4.1912).
  21. Ebd.
  22. Ebd.
Zitierweise
„Levi, Samuel Wolf“, in: Hessische Biografie <https://www.lagis-hessen.de/pnd/1041787413> (Stand: 28.11.2023)