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Hessische Biografie

Portrait

Ernst August Schwebel
(1886–1955)

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GND-Nummer

128273798

Schwebel, Ernst August [ID = 16233]

* 23.3.1886 Winningen (Mosel), † 31.10.1955 Marburg, evangelisch
Jurist, Landrat
Andere Namen | Wirken | Familie | Nachweise | Leben | Zitierweise
Wirken

Werdegang:

  • Besuch des Kaiserin-Augusta-Gymnasiums in Koblenz, 1905 Reifeprüfung
  • 1905-1907 Studium der Rechtswissenschaften an den Universitäten Straßburg, Berlin und Bonn
  • 17.7.1907 erste juristische Prüfung
  • 29.7.1907 Vereidigung für den Staatsdienst, Gerichtsreferendar, Ausbildung beim Amtsgericht Eitorf/Sieg
  • 1.10.1909 Regierungsreferendar in Schleswig, Ratzeburg und Wandsbek
  • 15.3.1913 Regierungsassessor
  • einjährige Studienreise nach Japan
  • 1.4.1914 zur Hilfeleistung zum Landratsamt des Kreises Mettmann in Vowinkel
  • 1914-1918 Kriegsteilnehmer
  • 10.1918 Versetzung zur Regierung Trier
  • 1.7.1919 beauftragt mit der Verwaltung des Landratsamtes des Kreises Meisenheim, 23.4.1920 definitive Übertragung des Amtes
  • 19.7.1922 wegen Beleidigung eines französischen Gendarmen durch ein Kriegsgericht verurteilt zu drei Monaten Gefängnis
  • 27.1.1923-27.6.1924 Ausweisung durch die Interalliierte Rheinlandkommission
  • 12.7.1924 beauftragt mit der kommissarischen Verwaltung des Landratsamtes des Kreises Marburg, 25.7.1924 Dienstantritt, 9.12.1924 definitive Übertragung des Amtes
  • 1927 Ehrensenator der Universität Marburg
  • 1930-1933 im Reichsführerring der Volkskonservativen Vereinigung
  • 18.6.1934 Oberverwaltungsgerichtsrat
  • 15.7.1942 Reichsrichter beim Reichsverwaltungsgericht
  • 1945 eineinhalb Jahre in politischer Haft
  • 1948-1952 Geschäftsführer der Christlichen Nothilfe in Marburg
  • Ehrensenator der Universität Marburg

Funktion:

  • Marburg, Landkreis, Landrat, 1924-1934

Statusgruppe:

Ehrenmitglied

Familie

Vater:

Schwebel, Heinrich August, Weinhändler

Mutter:

Mihsmahl (Mißmahl), Margarete, † Winningen 28.6.1912

Partner:

  • Dombois, Anna Johanna Charlotte (Lotte*), Heirat Berlin-Wilmersdorf 17.12.1915, Tochter des Friedrich Karl Dombois, Senatspräsident am Oberverwaltungsgericht, und der Lotte Mannkopff
Nachweise

Quellen:

Literatur:

Leben

Dieses biografische Bild beruht im Wesentlichen auf dem Erkenntnisstand der im Juni 2022 publizierten Studie „Das Führungspersonal der Landratsämter Marburg und Biedenkopf in der NS-Zeit“1 und setzt sich insbesondere mit Schwebels Rolle als Landrat des Kreises Marburg im Nationalsozialismus auseinander.

Ernst Schwebel wurde am 23. März 1886 in Winningen an der Mosel als Sohn eines Weinhändlers geboren. Er gehörte der evangelischen Konfession an. Nach dem Abitur am Kaiserin-Augusta-Gymnasium in Koblenz studierte er Rechtswissenschaften an den Universitäten Straßburg, Berlin und Bonn. Nach bestandener erster juristischer Staatsprüfung schlug Schwebel 1907 eine Karriere im staatlichen Verwaltungsdienst ein, die zwischen 1914 und 1918 vorübergehend durch die Teilnahme am Ersten Weltkrieg unterbrochen wurde, sich nach Kriegsende aber nahtlos fortsetzte. Ab 1919 war er als Landrat für den Kreis Meisenheim zuständig. Nach seiner Ausweisung durch die interalliierte Rheinkommission infolge der Beleidigung eines französischen Offiziers, wurde Schwebel 1924 Landrat des Kreises Marburg.

Seine Amtszeit als Marburger Landrat fiel mit dem Aufstieg des Nationalsozialismus zusammen, zu dem Schwebel zeitlebens in einem ambivalenten Verhältnis stand.2 Politisch im gemäßigt- bis rechtskonservativen Spektrum zu verordnen, trat er vor der nationalsozialistischen Machtübernahme nicht als Unterstützer der NSDAP in Erscheinung. Vielmehr geriet er als Landrat zwischen 1927 und 1930 mit den in der Region aufstrebenden Nationalsozialisten sowohl politisch (Kreisbahntarife) als auch polizeibehördlich (Republikschutzgesetz) aneinander. Die NS-Presse führte dabei eine regelrechte Diffamierungskampagne gegen Schwebel, der sich gegen die Verunglimpfung seiner Person unter Rückgriff auf juristische Mittel wehrte.3

Nichtsdestotrotz suchte Schwebel nach dem 30. Januar 1933 den Schulterschluss mit den neuen Machthabern und trat mit Wirkung zum 1. Mai 1933 in die NSDAP ein (Mitglieds-Nr. 3.515.032).4 Ursächlich für seinen Parteibeitritt dürfte dabei zum einem die Furcht vor eventuellen beruflichen Nachteilen, zum anderen aber auch eine gewisse ideologische Schnittmenge mit dem Nationalsozialismus gewesen sein. Dazu gehörte neben einem rabiaten Antimarxismus die Befürwortung eines autoritären Staatswesens sowie die Idee der „Volksgemeinschaft“. Eine Divergenz zur nationalsozialistischen Ideologie bestand jedoch in der Kirchenfrage, wovon Schwebels Sympathie für den sog. „Pfarrernotbund“ sowie seine spätere Unterstützung für die Bekennende Kirche zeugen. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang, dass er über seine Frau Charlotte (geb. Dombois) mit dem evangelischen Juristen und Kirchenrechtler Hans Dombois verwandt war, dessen Name eng mit der Bekennenden Kirche verbunden ist.

Als Landrat war Schwebel nach dem 30. Januar 1933 an der Umsetzung der nationalsozialistischen Unrechts-, Repressions- und Gewaltpolitik beteiligt.5 Während er im aufkommenden „Kirchenkampf“ dabei eine gemäßigte Linie verfolgte und für die Fortsetzung der bisherigen Politik des Nichteingreifens gegenüber der Kirche plädierte,6 spielte er bei der Durchführung erster antijüdischer Maßnahmen sowie der Ausschaltung der politischen Opposition eine weitaus aktivere Rolle. So wurden unter seiner Ägide bis Juni 1933 Hausdurchsuchungen bei nicht weniger als 123 Personen durchgeführt, die überwiegend einen kommunistischen, teilweise aber auch einen sozialdemokratischen Hintergrund hatten.7 Mehrere überlieferte Schutzhaftbefehle tragen Schwebels persönliche Unterschrift und im Falle eines festgenommenen KPD-Funktionärs aus Kirchhain setzte sich Schwebel dafür ein den Betroffenen zusammen mit zwei anderen Häftlingen in ein Konzentrationslager zu überführen.8

Aussagekräftig ist in diesem Zusammenhang auch Schwebels Rede zur Eröffnung des neu konstituierten Kreistags am 6. April 1933, in welcher er die Verhaftung politischer Gegner damit legitimierte, daß eine so große Neugeburt des Volkes sich nicht ohne große Schmerzen vollziehen könne, versehen mit der Bitte an die Bevölkerung, die Verhaftungen von Kommunisten und Aehnliches weniger sentimental aufzunehmen. Wider besseren Wissens behauptete er, das beschlagnahmte Material beweise, daß der bewaffnete kommunistische Aufstand nicht nur in den Großstädten, sondern auch hier bei uns in Vorbereitung war und die Gegner des Kommunismus nicht nur in Schutzhaft genommen, sondern »physisch vernichtet« werden sollten. Wer sich einer solchen Bewegung anschließe, so Schwebel, dürfe sich daher nicht wundern, wenn er einmal hart angefasst wird und wer die marxistische Weltanschauung in anderer Form zu fördern versucht, muß darauf gefasst sein, daß der Kampf auch in seinen Bereich überspringt.9

Obwohl Schwebel als Landrat mit den neuen Machthabern nach 1933 politisch zusammenarbeite, kam es zu Spannungen mit den an Einfluss gewinnenden Dienststellen der NSDAP, die einerseits strukturell bedingt waren, andererseits aber auch durch Differenzen in politischen Fragen wie der Agrarpolitik und der Kirchenpolitik verstärkt worden sein dürften. Inwieweit diese Spannungen letztlich ursächlich für seine Abberufung als Landrat waren, ist schwer zu beurteilen, zumal eine Versetzung Schwebels bereits in der Endphase der Weimarer Republik zur Disposition gestanden hatte.10

Zum Oberverwaltungsgerichtsrat befördert, wurde Schwebel im Juni 1934 an das Preußische Oberverwaltungsgericht in Berlin versetzt. Nach Beginn des Zweiten Weltkriegs für den aktiven Verwaltungsdienst reaktiviert, fungierte Schwebel zwischen 1940 und 1945 als Beauftragter des Reichskommissars für die besetzten Niederlande in der Provinz Südholland und Den Haag, womit er de facto die zweihöchste Position in der dortigen deutschen Zivilverwaltung innehatte. Gleichzeitig bekleidete Schwebel noch von 1942 bis 1945 das Amt eines Reichsrichters am Reichsverwaltungsgericht. Im Gegensatz zu seinem Wirken als Landrat nach 1933 ist Schwebels richterliche Tätigkeit am preußischen Oberverwaltungsgericht und Reichsgericht sowie seine Rolle als Beauftragter des Reichskommissars für die besetzten Niederlande in der Provinz Südholland und Den Haag allerdings unzureichend erforscht, sodass sich darüber auf Grundlage des bisherigen Erkenntnisstands kein Urteil bilden lässt.

Bei der Befreiung der Niederlande wurde Schwebel schließlich durch die alliierten Truppen inhaftiert und trat als Zeuge im Prozess gegen seinen früheren Vorgesetzten, Reichskommissar Arthur Seyß-Inquart, vor dem Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg auf.11 Nachdem er in den Niederlanden vom Vorwurf der Involvierung in eine standesrechtliche Erschießung in Delft 1944 freigesprochen worden war, kehrte er 1948 nach Marburg zurück. Dort wurde er in einem Spruchkammerverfahren im März 1949 in die Belastungskategorie V („Entlasteter“) eingestuft; eine dagegen vorgenommene Berufung durch den öffentlichen Kläger scheiterte.12 Zwischen 1948 und 1952 fand Schwebel eine neue Aufgabe als Geschäftsführer der Christlichen Nothilfe in Marburg. Er starb am 31. Oktober 1955.

Marcel Spannenberger


  1. Marcel Spannenberger, Das Führungspersonal der Landratsämter Marburg und Biedenkopf in der NS-Zeit, Marburg 2022.
  2. Ebd., S. 25, 42-47.
  3. Zu den einzelnen Artikeln siehe HStAM, Best. 180 Marburg, Nr. A 2430; HHStAW, Abt. 520/27, Nr. 18440.
  4. BArch [Bundesarchiv] Berlin R 9361-IX KARTEI / 40801068.
  5. Siehe dazu Spannenberger, Führungspersonal, S. 29-42, 158.
  6. HStAM Best. 180 Marburg Nr. 3867, Der Landrat in Marburg an den Polizeipräsidenten, Staatspolizeistelle in Kassel, z. Hd. des Herrn Reg. Ass. Hütteroth, 11.1.1934 (gez. Schwebel).
  7. Siehe dazu HStAM, Best. 180 Marburg, Nr. 4170. Vgl. dazu die Ausführungen bei Thomas Kutsch, Die Verfolgung und Ausschaltung der Arbeiterbewegung in Marburg und dem Marburger Landkreis 1933/34, Marburg 2005, S. 59-63.
  8. HStAM, Best 180 Marburg, Nr. 5021, Fallakte Ludwig Schultheis, Der Landrat in Marburg an den Regierungspräsidenten in Kassel, 8.5.1933 (gez. Schwebel).
  9. Oberhessische Zeitung, 6.4.1933, S. 4.
  10. Das geht aus der Akte des preußischen Innenministeriums über die Landratsstelle in Marburg hervor. Siehe dazu GStA PK [Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz], I. HA Rep. 77 Ministerium des Innern, Nr. 4846.
  11. International Military Tribunal Nuremberg (Hrsg.), Trial of the Major War Criminals before the International Military Tribunal Nuremberg. 14 November–1 October (Bd. 16). 11 June–24 June 1946, Nuremberg 1948, S. 227-234.
  12. HHStAW, Abt. 520/27, Nr. 18440, Hauptakte, Urteil der Spruchkammer Marburg-Stadt im Verfahren gegen Ernst Schwebel, 8.3.1949; ebd., Hauptakte, Urteil der Berufungskammer für den Bezirk Marburg im Verfahren gegen Ernst Schwebel, 2.8.1949.
Zitierweise
„Schwebel, Ernst August“, in: Hessische Biografie <https://www.lagis-hessen.de/pnd/128273798> (Stand: 6.3.2024)