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Hessische Biografie

Portrait

Wilhelm IX. Landgraf von Hessen-Kassel
(1743–1821)

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GND-Nummer

118807323

Hessen-Kassel, Wilhelm IX. Landgraf von [ID = 2778]

* 3.6.1743 Kassel, † 27.2.1821 Kassel, evangelisch
Landgraf, Kurfürst (ab 1803)
Biografischer Text

Da der gleichnamige erste Sohn des Erbprinzen im Sommer 1742 im Alter von nur sechs Monaten verstorben war, wuchs Wilhelm als präsumptiver Thronfolger auf. Die Kinderjahre in Kassel, wo der Zehnjährige im Sommer 1753 Titular-Obrist und Chef des durch den Tod des Großonkels Maximilian verwaisten Reiterregiments geworden war, endeten mit dem Bekanntwerden der Konversion des Vaters im Folgejahr und der aufgrund der sogenannten Assekurations-Akte vollzogenen Trennung der Eltern. Die Verantwortung für die Erziehung der Kinder übernahm zunächst der Großvater, Landgraf Wilhelm VIII. Zusammen mit den jüngeren Brüdern Karl und Friedrich wurde Wilhelm im Dezember 1754 unter der hofmeisterlichen Aufsicht des Oberstallmeisters Jürgen von Wittorf (1714–1802) in die nahe gelegene Universitätsstadt Göttingen geschickt. Göttingen gehörte zum Kurfürstentum des mütterlichen Großvaters König Georg II. von England (1683–1760), den man im Sommer 1755 in Hannover besuchte. Nach Ausbruch des Siebenjährigen Krieges wurden die drei Prinzen im Herbst 1756 mit Hofmeister Wittorf, der bald darauf durch Generalmajor Ernst Johann von Keyserlingk (1699–1763) abgelöst wurde, nach Kopenhagen an den Hof König Friedrichs V. von Dänemark (1723–1766) evakuiert. Der König war in erster Ehe mit der engl. Prinzessin Louise (1724–1751), der jüngeren Schwester der Mutter, verheiratet. Schon im Januar 1756 hatte der Landgraf in Kassel seinen Enkel Wilhelm mit der Nachricht überrascht, dass er eine Verlobung mit seiner erst achtjährigen Cousine, der Dänen-Prinzess Karoline, vereinbart habe.

Die Jahre in Kopenhagen ermöglichten eine recht sorgfältige Ausbildung in Regierungs-, Verwaltungs- und Militär-Angelegenheiten; doch blieben Wilhelm – im Gegensatz zu den Brüdern – Rang oder Einsatz im dänischen Militär verwehrt. Am Ende der Exil-Jahre stand, nach der im September 1762 offiziell proklamierten Verlobung, eine sechsmonatige Fortbildungsreise in die Niederlande, an der auch Bruder Karl teilnahm. Gemäß den bereits 1754 getroffenen Verfügungen des Großvaters hatte Wilhelm mit dessen Tod Anfang 1760 die Grafschaft Hanau geerbt – zunächst allerdings unter der Regentschaft der Mutter, die nach Kriegsende zur Jahreswende 1762/63 aus dem hannover’schen Exil in Celle nach Hanau zurückkehren konnte. Die aus Holland zurückgerufenen Söhne trafen im April in Hanau ein. Wilhelm war zwar schon seit Sommer 1759 Chef des Hanauischen Infanterieregiments, wurde aber trotz an sich bereits erreichter Volljährigkeit von der Mutter an den Regierungsgeschäften zunächst nur bedingt beteiligt. Erst nach der Rückkehr von der im September 1764 in Kopenhagen gefeierten Hochzeit wurde ihm die Regierung am 12./13. Oktober des Jahres offiziell übertragen.

Für die folgenden zwei Jahrzehnte hat Landgraf Wilhelm IX., seit 1760 Erbprinz von Hessen-Kassel, als Graf in Hanau regiert und residiert. Erwähnung verdienen die in diesen Jahren geknüpften, zeitweilig recht engen Beziehungen zum Landgrafenhof in Darmstadt. Im Stil der Zeit lag das Wirken Wilhelms als Bauherr. Wichtig war der Abriss der Wallanlagen zwischen Alt- und Neustadt Hanau, der Raum für den Paradeplatz mit dem 1768 errichteten Theater schuf. Aus dem Jahr 1772 datieren neben dem Bau der neu begründeten Zeichenakademie auch die ersten Pläne für den Ausbau des 1709 entdeckten Guten Brunnens im späteren Wilhelmsbad, die ab 1777 von Ludwig von Cancrin (1738–1816) verwirklicht wurden: zu den Bauten an der Brunnenallee mit Kurhaus, Brunnentempel und Comoedienhaus kamen im neu angelegten englischen Park ein Karussell und die als bevorzugtes Reduit des Erbprinzen ausgebaute künstliche Burgruine. Im Wilhelmsbad tagte im Sommer 1782 der von Bruder Karl organisierte europäische Freimaurer-Konvent. Die Finanzierung, nicht nur der Baumaßnahmen, lieferte Wilhelms Mitwirkung an den lukrativen amerikanischen Soldaten-Geschäften des Vaters. Dem in London regierenden Vetter König Georg III. (1738–1820) wurden mit eigenen Subsidienverträgen von 1776/77 das Hanauer Grenadierregiment nebst Artillerie und später noch ein neu aufgestelltes Jägerkorps geliefert, das sich mit seiner modernen Kampftaktik besonders bewähren sollte. Um den persönlichen militärischen Ehrgeiz zu befriedigen, nahm Wilhelm im Sommer 1778 als preußischer Generalleutnant im Rahmen des Bayerischen Erbfolgekriegs am Feldzug König Friedrichs II. (1712–1786) in Böhmen teil. Die schon in Hanau geknüpfte Geschäftsverbindung mit dem Bankier Meyer Amschel Rothschild (1743–1812) wurde wichtig für den Aufstieg des Frankfurter Bankhauses; sie half dem späteren Kurfürsten die von Rothschild verwalteten Kapitalien auch über die napoleonische Zeit hinwegzuretten.

Im Februar 1783 kam es in Kassel durch Vermittlung von Bruder Karl zur Aussöhnung mit Landgraf Friedrich II. (1720–1785), der dem Erbprinzen mit der Ernennung zum General sein bisheriges Leibregiment übertrug. In den beiden nächsten Jahren gab es mehrere, zum Teil ausgedehnte Besuche der Söhne in der Hauptstadt. Nach dem am 2. November 1785 gemeldeten Tod des Vaters übernahm der nunmehrige Landgraf Wilhelm IX. die Regierung in Kassel. Die alsbald verfügte Auflösung des väterlichen „Generaldirektoriums“ signalisierte einen neuen Stil autokratischer Regierung, zu der als Sparmaßnahme die alsbaldige Schließung von Oper, Ballett und Orchester, aber auch die Abschaffung der Folter gehörten. Die Finanzierung der großzügigen Baumaßnahmen, des nach dem Abriss von Schloss Weißenstein schon 1786 eingeleiteten Neubaus von Schloss Wilhelmshöhe und der Umgestaltung des Landschaftsparks mit der neugotischen Kunstruine der Löwenburg sowie des künftig gern genutzten Kur-Bads im schaumburgischen Bad Nenndorf war mit dem Gewinn aus der fortgeführten Subsidien-Politik auch ohne Zustimmung der weitgehend ausgeschalteten Landstände gesichert.

Obwohl die Ehe Wilhelms IX. schon seit Jahren zerrüttet war, kam auch die nunmehrige Landgräfin Karoline mit den drei überlebenden Kindern Anfang 1785 nach Kassel, wo sie erst Anfang 1820, ein Jahr vor dem Tod ihres Mannes, gestorben ist. Mit dem Tod des ursprünglichen Thronerben Friedrich (1772–1784), an den eine Pyramide im Park Wilhelmsbad erinnert, war Thronfolger jetzt der erst achtjährige Wilhelm. Schon vor seiner Geburt hatte der Vater in Hanau diverse „offizielle“ Mätressen. Auf die Liaison mit Marianne von Wulffen (1748–1798), der Frau seines Oberstallmeisters, in den Jahren 1769/73 folgte die Beamtentochter Charlotte Christine Buissinne (geb. 1749); von ihr hatte Wilhelm in den Jahren 1775–1778 vier Söhne, von denen einer als Kleinkind starb, die drei Überlebenden aber als „Freiherrn von Heimrod“ respektable Offiziers-Karrieren machten. Nachfolgerin der Buissine, die im Kapland gestorben sein soll, wurde Ende 1778 Rosa Dorothea Ritter (1759–1833), die Tochter eines Apothekers im schweizerischen Biel, die Wilhelm 1783 unter dem Namen „von Lindenthal“ vom Kaiser nobilitieren ließ. Sie begleitete den Landgrafen 1785 nach Kassel, wo zwei der insgesamt acht Kinder der Verbindung zur Welt kamen; der jüngste Sohn wurde, nachdem der Landgraf Rosetta abserviert und nach Babenhausen verbannt hatte, dort in der Festung geboren, wo die Mutter einige Jahre später ihren Bewacher, Leutnant Johann Georg Kleinhans, heiraten sollte. Von den in Kassel verbliebenen Kindern, die 1800 legitimiert und mit dem Freiherrntitel „von Haynau“ geadelt wurden, haben zumindest zwei Eingang in die biografischen Lexika gefunden.1 Letzte Maitresse en tître Landgraf Wilhelms IX. wurde Anfang 1788 die erst 20jährige Offizierstochter Karoline von Schlotheim (1767–1847), die man noch im gleichen Jahr zur Gräfin machte. Von den insgesamt 13 Kindern der Liaison – der letzte Sohn wurde 1807 im Exil in Itzehoe geboren – erreichten nur fünf das Erwachsenenalter und führten ab 1811 mit der Mutter den gräflichen Namen „von Hessenstein“, der mit dem Tod des Fürsten in Panker verwaist war.

Nach 1789 wurde Wilhelm zu einem der entschiedensten Gegner der Französischen Revolution. Er nahm mit einem hessischen Korps von 6.000 Mann an der missglückten Campagne von Valmy teil, befehligte dann Ende 1792 die Vertreibung der Franzosen aus Frankfurt, konnte aber den Verlust der linksrheinischen Teile Nieder-Katzenelnbogens mit Rheinfels nicht verhindern. Der 1795 geschlossene Sonderfrieden mit Frankreich signalisierte die engere Bindung an Preußen, die mit der Hochzeit des Erbprinzen mit Prinzessin Auguste 1797 untermauert wurde. Vater Wilhelm wurde aus diesem Anlass preußischer Generalfeldmarschall und Gouverneur von Stadt und Festung Wesel. Der Reichsdeputationshauptschluss 1803 brachte ihm die von den Landgrafen seit Generationen erstrebte Kurwürde. Die Verweigerung des Beitritts zum Rheinbund und die halbherzige Neutralität in Napoleons Krieg gegen Preußen 1806 führten zur französischen Besetzung des Landes. Der Kurfürst ging ins Exil, zunächst nach Holstein, dann nach Prag. Kurhessen wurde Teil des für den Napoleon-Bruder Jérôme (1784–1860) geschaffenen Königreichs Westphalen; die Grafschaft Hanau blieb französisches pays réservé und kam 1810 zum Dalberg-Großherzogtum Frankfurt.

Nach der begeistert gefeierten Rückkehr des Kurfürsten nach Kassel im November 1813 war er mehr als andernorts bemüht, die „Errungenschaften“ der Rheinbund-Zeit rückgängig zu machen. Da ihm die erstrebte Erhebung zum „König der Chatten“ verweigert wurde, behielt er den Kurfürstentitel mit dem Prädikat „königliche Hoheit“ und führte für das vom Wiener Kongress als Entschädigung für die linksrheinischen Verluste zuerkannte ehemalige Bistum Fulda zusätzlich den Titel „Großherzog von Fulda“. Der zur Schaffung der auf dem Kongress vereinbarten landständischen Verfassung im Mai 1815 einberufene Landtag wurde im Streit um Finanz- und Vermögensfragen zunächst vertagt und 1816 ergebnislos aufgelöst. Auch die notwendigen Verwaltungsreformen konnten erst nach dem Regierungswechsel von 1821 realisiert werden.

Andrea Pühringer/Eckhart G. Franz

(Text identisch mit: Franz, Das Haus Hessen, S. 139-142)


  1. Gemeint sind damit Karl Freiherr von Haynau (1779–1856) und Julius Freiherr von Haynau (1786–1856).

Literatur