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Gedenkaufsatz über Dietrich Eckart in der Frankfurter Zeitung, 23. März 1943

Die in Frankfurt am Main herausgegebene Frankfurter Zeitung veröffentlicht anlässlich des 75. Geburtstages des verstorbenen völkischen Dichters Dietrich Eckart (1868–1923) einen Gedenkaufsatz des Journalisten und Historikers Herbert Küsel. Der feuilletonistische Beitrag über den Dichter, Publizisten und Vorkämpfer der „völkischen Bewegung“, der zeitweise als Mentor und Ideengeber großen Einfluss auf Hitler ausübte, erregt Wochen nach dem Abdruck die Aufmerksamkeit des „Führers“, nachdem die Witwe seines Lieblingsarchitekten Paul Ludwig Troost (1878–1934), Gerdy Troost (1904–2003) sich bei einem gemeinsamen Mittagessen im Restaurant Osteria Bavaria in München (Schellingstraße 62) missbilligend zu dem Artikel äußert. Über den in Parteikreisen als „völkisches Urgestein“ und Mitbegründer der NSDAP hoch verehrten und von Hitler als „Märtyrer“ der „Bewegung“ gefeierten Eckhart heißt es dort:

Aber schwer, verletzend und mit ausfallendem Wort hatte die Kritik auf ihn eingeschlagen; 'eine einzige Phrasengeschwulst, die reichlich Unsinn auseitert', hatte es da geheißen. […] Es ist ein Studium ohne Neigung. Mensuren werden geschlagen. Es gibt Händel und Hader, weil er sich schlecht in die Satzungen fügen will. Schließlich wirft ihn eine Krankheit nieder. Zur Betäubung der Schmerzen verschafft er sich Morphium, kommt nicht mehr los davon und beschließt am Ende, sich einer Entziehungskur zu unterwerfen. […] In den kleinen Weinstuben zecht der Dichter, im Lamm und in der Gans. ‚Schlurflöcherl’ nennt sich der Stammtisch, und wenn der Vater des Abends, um den Herrn Sohn zu Hause zu halten, ihm den Anzug fortnimmt, dann erscheint, auch an einem kalten Wintertage, in Unterhosen und Schlafrock ein Mann in der Runde, von dem alle wissen, warum sie ihn umjubeln […] Als er eines Nachts in einem Kellerlokal hockt in Berlin, kommt er mit einem Gast ins Gespräch, dem die Zeche nichts auszumachen scheint. Es ist ein Fabrikant, und irgendein Gichtwasser ist der Born seines Wohlstands. Er hätte gerne ein paar zugkräftige Verse für sein Fabrikat, erklärt er, als er hört, daß er es mit einem Schriftsteller zu tun habe; der geht hinaus, reimt auf der Toilette einen Vierzeiler, kehrt zurück und handelt ihn, in vorgerückter Stunde, für blanke tausend Mark aus. 'Das Gichtwasser hat ihm auch später noch manchmal mehr eingetragen als seine Theaterstücke'.1

Herbert Küsel und der Gegenleser des Artikels, Bruno Welter, werden daraufhin in Frankfurt am Main von der Gestapo verhaftet und nach Berlin gebracht. Während Welter bereits nach 24 Stunden frei kommt, wird Küsel einige Tage lang von der Gestapo verhört. Seine Anstellung bei der Frankfurter Zeitung wird zum 1. Mai gekündigt. Schließlich verzichten die Behörden aber auf eine Strafverfolgung, weil der Autor seinen Wehrdienst antritt.
(KU)


  1. Frankfurter Zeitung vom 23. März 1943, Nr. 150, S. 1 f.: hk [=Herbert Küsel]: „Dietrich Eckart“, hier zitiert nach Bernd Sösemann, Journalismus im Griff der Diktatur, S. 33, Anm. 71. Küsels Beitrag findet sich ausschließlich in der Erstveröffentlichung des „Ersten Morgenblatts“ (Nr. 150) und wird im „2. Morgenblatt“ (Nr. 151) und in der Reichsausgabe (Nr. 152) ersetzt.
Belege
Empfohlene Zitierweise
„Gedenkaufsatz über Dietrich Eckart in der Frankfurter Zeitung, 23. März 1943“, in: Zeitgeschichte in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/edb/id/4796> (Stand: 8.7.2021)
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