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Großes Interesse an automatisierter, flexibler Zylinderkopf- und Zylinderblockfertigung bei Opel in Rüsselsheim, 22. Februar 1984

Etwa 250 Vertreter deutscher und schwedischer Automobilhersteller sowie Firmenangehörige anderer metallverarbeitender Unternehmen besuchen den Rüsselsheimer Autobauer Opel, um sich über ein hier erstmals im Fertigungsprozess angewandtes neuartiges flexibles Maschinenkonzept zur Produktionsautomatisierung zu informieren. Das als industrielles Pilotprojekt vom Bundesministerium für Forschung und Technologie mit einer Summe von 1,5 Millionen DM geförderte „modulare, flexible Maschinenkonzept für Klein- und Mittelserienfertigung“ ist binnen zwei Jahren (1980–1982) von der Maschinenfabrik Diedesheim entwickelt und unter der Projektträgerschaft des Kernforschungszentrums in Karlsruhe verwirklicht worden. Seinen ersten Einsatz findet das 1983 vorgestellte Konzept seit kurzer Zeit bei der Fertigung von Zylinderköpfen und Zylinderblöcken im Motorenbau (Gebäude „M55“) bei Opel.

Hochflexible Transferstraßenfertigung

Kernstück des neuartigen Systems ist eine vollautomatisierte Anlage, die die Eigenschaften der bislang nur bei hohen Stückzahlen rentablen, starren Transferstraße („Fließband“) mit der Vielseitigkeit und Flexibilität der einzeln programmierbaren Bearbeitung, wie sie bislang nur in der Einzelfertigung mit numerisch gesteuerten Maschinen genutzt werden konnte, verbindet. War es bislang nicht möglich, Zubehör für seltener gefragte Turbo- oder Dieselmotoren in die Fließbandfertigung einzubeziehen (eine Umrüstung des Bandes auf spezielle Bohr- oder Fräsvorgänge hätte sich bei den geringen Stückzahlen der entsprechenden Motorenbaureihen nicht gelohnt), so erlaubt nun das sogenannte Variocenter der Thyssen-Tochter Maschinenfabrik Diedesheim GmbH in Mosbach, die Umstellung auf unterschiedliche Bearbeitungsvorgänge bei geringstmöglichem Zeit- und Kostenaufwand mit wenigen Handgriffen und Spannvorgängen vorzunehmen und damit die Herstellung bestimmter, auch seltener nachgefragter Zylinderköpfe oder Kurbelgehäuse in die Fließfertigung einzubinden. Ähnlich vorteilhaft erweist sich das modulare Konzept bei der Erzeugung und Bereitstellung von Ersatzteilen, insbesondere für solche Typen, die sich bei Opel nicht mehr in der Produktion befinden. Wo früher kostenintensiv auf Einzelfertigung und eine umfangreiche Lagerhaltung zurückgegriffen werden musste, lässt sich anstelle dessen kurzfristig nach Bedarf auf der flexiblen Anlage produzieren.

Elektronisch kontrollierte Anpassungsfähigkeit

Das maschinelle Kernstück der Anlage besteht aus einem Transportkreislauf mit mehreren Querverbindungen und Ausschleus-Stationen. Die Fertigungsmaschinen sind seitlich dazu angeordnet und bilden gruppenweise Bearbeitungszentren, an die die zu bearbeitenden Werkstücke auf Schlitten herangeführt werden. Verschiebbare Kassettenträger zur Aufnahme verschiedenartiger Werkzeuge erlauben bei Bedarf die schnelle Umgruppierung und Veränderung der einzelnen Arbeitsabläufe. Der gesamte Arbeitsablauf wird von einer elektronischen Funktionssteuerung kontrolliert, die gewährleistet, dass Unterbrechungen oder Umstellungen nur zur Anpassung an neue Werkstückvarianten vorgenommen werden müssen. Da der modulare Grundaufbau der Anlage immer gleich bleibt und für neue Bearbeitungsvorgänge jeweils nur einige, wenige Teile oder Werkzeuge ausgewechselt werden müssen, trägt das in technischer Hinsicht hoch innovative System erheblich dazu bei, den Kostenaufwand für die Fertigung von kleinen und mittleren Stückzahlen zu senken. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt auf eine Kapazität von 30 Schlitten („Werkstückträgern“) und mehr als 350 Bohrspindeln zur Bearbeitung von vier verschiedenen Werkstücken ausgelegt, beträgt der nicht auf andere Serien übertragbare Kapitalanteil der neu konzipierten Anlage laut Opel nur 20 Prozent.

Milliardeninvestionen in das Zukunftsprojekt Automatisierung

Hans Wilhelm Gäb (geb. 1936), als Vorstandsmitglied des Rüsselsheimer Autobauers für die Öffentlichkeitsarbeit des Unternehmens zuständig, erklärt, das die „Kombination von Flexibilität und Automation zu den grundlegenden Veränderungen in der europäischen Automobilindustrie“ gehöre.

Gäb, Ende der 1950er und Anfang der 1960er Jahre deutscher Tischtennis-Nationalspieler und 1982 von Ford zu Opel gewechselt, ruft dazu auf, die mit dem modularen, flexiblen Maschinenkonzept musterhaft vorgestellten neuen Technologien als „Chance für alle und nicht als Vorboten des Untergangs“ anzusehen.

Nach eigenen Angaben will die Firma Opel bis 1988 mehr als sieben Milliarden DM in den Ausbau und die Modernisierung seiner Produktionsanlagen investieren, davon allein 4,7 Milliarden DM am Heimatstandort Rüsselsheim. Nach den Worten Gäbs stelle das Stammwerk in weiten Bereichen ein „industrielles Umfeld voller nostalgischer Bezüge“ dar „das schon bald der Vergangenheit angehören“ werde.
(KU)

Belege
Weiterführende Informationen
  • Wolf, G. (Hrsg.) / Kernforschungszentrum Karlsruhe (hrsg. Körperschaft): Präsentation des F+E-Vorhabens „Modulares flexibles Maschinenkonzept für Klein- und Mittelserienfertigung“; veranstaltet vom Projektträger des BMFT KfK Fertigungstechnik mit Maschinenfabrik Diedesheim und Adam Opel AG am 22. Februar 1984 in Rüsselsheim (Reihe: Entwicklungsnotiz / Projektträgerschaft Fertigungstechnik; 16), Karlsruhe 1984 [Tagung Modulares, Flexibles Maschinenkonzept für Klein- und Mittelserienfertigung (Rüsselsheim): 1984.02.22]
Empfohlene Zitierweise
„Großes Interesse an automatisierter, flexibler Zylinderkopf- und Zylinderblockfertigung bei Opel in Rüsselsheim, 22. Februar 1984“, in: Zeitgeschichte in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/edb/id/4649> (Stand: 22.2.2022)
Ereignisse im Januar 1984 | Februar 1984 | März 1984
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