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Verhaftung des Generaldirektors der Henschel-Werke in Kassel, 26. April 1964

Fritz-Aurel Goergen (1909–1986), der Generaldirektor der in Kassel ansässigen Henschel-Werke AG, wird wegen Verdachts der Untreue und des Betruges gegenüber dem Bundesfiskus in Hannover verhaftet. Die Ermittlungen gegen Henschel waren in der Folge eines Verfahrens gegen die in Köln beheimatete Elektrozubehör-Firma Emka eingeleitet worden, die einen Offizier des Bundesverteidigungsministeriums bestochen und über Scheinfirmen in der Schweiz betrügerische Geschäfte gemacht haben soll. Dabei soll Emka Ersatzteile für die aus amerikanischer Produktion stammenden Panzer der Bundeswehr zu absichtlich überhöhten Preisen in den USA erworben, dem Koblenzer Beschaffungsamt der Bundeswehr zu überhöhten Preisen verkauft, und den Aufschlag später mit dem amerikanischen Lieferanten, der Norca Machinery Corporation in New York, geteilt haben. Die weitere Prüfung des Falles hat ergeben, dass auch Goergen und leitende Angestellte der Firma Henschel nach diesem Muster Geschäfte betrieben haben, um wissentlich überteuerte Ersatzteile an das Bundesverteidigungsministerium zu verkaufen. Dazu wurden Henschel über einen Strohmann in den USA stark überhöhte Rechnungen ausgestellt, die man dem Verteidigungsministerium präsentierte. Der aus dem Verkauf an den deutschen Staat abgeschöpfte Überbetrag sei wie bei Emka zwischen dem amerikanischen Lieferanten und Henschel aufgeteilt worden. Die für Henschel gedachte Hälfte des Übergewinns wurde aus den Vereinigten Staaten auf Schweizer Bankkonten überwiesen, um sie der Besteuerung durch den deutschen Fiskus zu entziehen.

Goergen wird im Juni 1964 gegen Stellung einer hohen Kaution freigelassen. Verbittert und gesundheitlich angeschlagen verkauft der Industrielle seinen Henschel-Anteil für fast 60 Millionen DM an die Rheinischen Stahlwerke Essen und übersiedelt in die Schweiz.

Steile Karriere als Industriemanager in der deutschen Nachkriegswirtschaft

Fritz-Aurel Goergen erarbeitete sich während der frühen Kriegsjahre als Referent im Berliner Reichsverband der deutschen Luftfahrtindustrie und bis 1941 als Luftfahrteinkäufer in Moskau enge Kontakte zu führenden Persönlichkeiten in der deutschen Stahl- und Eisenindustrie. Diese Verbindungen waren die Grundlage für seinen schnellen beruflichen Aufstieg nach Kriegsende. Anfangs als Leiter der Rechtsabteilung der Stahlwerke Bochum tätig, wechselte er 1947 in den Vorstand der „Hüttenwerke-Phoenix-AG“ in Duisburg-Ruhrort. Dort war er maßgeblich an der Sanierung des Unternehmens und schließlich an der 1955 erfolgten Fusion mit den „Rheinischen Röhrenwerken“ (Mülheim an der Ruhr) beteiligt. Das dabei entstandene Unternehmen, die mehrheitlich in Thyssen-Besitz stehende „Phoenix-Rheinrohr AG Vereinigte Hütten- und Röhrenwerke Düsseldorf“, leitete Georgen als Generaldirektor, bis er im Herbst 1957 wegen Meinungsverschiedenheiten mit dem Vermögensverwalter der Familie Thyssen aus dem Vorstand der Phoenix-Rheinrohr-AG ausschied. Unmittelbar nach seinem Abschied von der Montanindustrie wurde Goergen von Rudolf-August Oetker (1916–2007), dem Enkel des Dr. Oetker-Firmengründers August Oetker (1862–1918), zu einem der Generalbevollmächtigten des Oetker-Konzerns in Bielefeld ernannt. Ende 1958 wechselte er jedoch abermals die Stellung und übernahm als Generaldirektor die Leitung der zum damaligen Zeitpunkt in wirtschaftlichen Schwierigkeiten steckenden Firma Henschel und Sohn GmbH in Kassel.

Erfolgreiche Henschel-Sanierung

Goergen, von den Henschel-Gläubigerbanken angeworben, sanierte auch den Kasseler Maschinen- und Fahrzeugbaukonzern mit großem Erfolg. 1958 setzte Henschel nur noch 193 Mio. DM um, nachdem das Unternehmen im Jahr davor Vergleich angemeldet hatte. 1961 belief sich der Umsatz wieder auf mehr als 500 Mio. DM, und die Firmenbilanz wies nach langer Zeit erstmals wieder einen Bilanzgewinn aus. Dazu waren allerdings tiefgreifende strukturelle Veränderungen nötig gewesen: Henschel verlagerte seine Produktion vom vormaligen Lokomotiven- und Fahrzeugbau auf die Herstellung von Schwer- und Werkzeugmaschinen, sowie Rüstungsgütern. Fritz-Aurel Goergen war Anfang der 1960er Jahre Hauptaktionär von Henschel und hielt zuletzt knapp 54 Prozent des 63 Millionen DM betragenden Henschel-Kapitals.
(KU)

Belege
Weiterführende Informationen
Hebis-Klassifikation
541530 ,Unternehmer · 545070 ,Industriebetrieb
Hebis-Schlagwort
Thyssen-Henschel ; Goergen, Fritz-Aurel
Empfohlene Zitierweise
„Verhaftung des Generaldirektors der Henschel-Werke in Kassel, 26. April 1964“, in: Zeitgeschichte in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/edb/id/1184> (Stand: 26.11.2022)
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