Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Regesten der Landgrafen von Hessen

(1472/1473)

Rechtsgutachten bezüglich des Streits zwischen Graf Philipp von Katzenelnbogen und Gräfin Ottilie von Thierstein

Regest-Nr. 13145

Überlieferung | Regest | Originaltext | Nachweise | Textgrundlage | Zitierweise
Überlieferung
Ausfertigung: Staatsarchiv Marburg, Urk. 1, Nr. 4545 ⟨Altsignatur: Staatsarchiv Marburg, Samtarchiv, Schublade 81, Nr. 65⟩, Konzept oder gleichzeitige Aufzeichnung.
Stückbeschreibung: Alle Stücke von einer Hand.
Regesten: Demandt, Regesten Katzenelnbogen 2, S. 1584 Nr. 5689.
Regest
I. Graf Heinrich von Nassau hat seine Tochter Ottilie dem Sohne des Grafen Philipp von Katzenelnbogen namens Philipp zur Ehe gegeben. Graf Heinrich und Graf Philipp haben ihre Kinder mit 6000 fl. Mitgift und Wittum ausgestattet und diese Beträge auf Schlösser und Dörfer angewiesen. Darauf sind beide Eheleute zur Kirche gegangen und haben einander beigeschlafen.
Graf Heinrich hat daraufhin seine Tochter seinem Schwiegersohn in das Haus von dessen Vater zugeschickt. Da aber Vater und Kind nicht gerne beieinander sind und die Jungen lieber ihren eigenen Willen haben, hat Graf Philipp seinem Sohn schließlich das Schloß Darmstadt mit Zubehör verschrieben mit der Auflage, es weder zu versetzen, zu verkaufen noch sonstwie zu belasten.
Beide Eheleute haben also dort etliche Jahre hausgehalten und sich der Gelder und Güter bedient, die ihnen ihre Väter angewiesen haben. Als dann aber Graf Heinrich gestorben ist, haben beide Eheleute 8000 fl. auf Bürgen geliehen. Dann ist auch Graf Philipp d.J. gestorben und hat mit Graf Heinrichs Tochter ein Kind, eine Tochter, hinterlassen.
Graf Philipp von Katzenelnbogen hat zu seiner Schwiegertochter geschickt und ihr sein Leid um seinen Sohn klagen lassen, wie das billig ist. Er hat ihr versichert, wenn sie auf ihr Wittum ziehen wolle, ihr dafür ein Schloß mit Zubehör anzuweisen und ihr das Wittum nicht zu verschlechtern, sondern zu verbessern. Wolle sie das aber nicht, sondern zu ihren Verwandten (frunden) gehen, werde er dafür sorgen, daß ihr das Wittum folge.
Darauf hat Ottilie geantwortet, daß sie alle Freunde verloren und nun keinen mehr habe, dem sie mehr vertraue und glaube als ihrem Schwiegervater. Sie wolle daher gerne bei ihm bleiben, sofern er sie bei sich behalten wolle, auch nach seinem Willen leben und ihn für ihren Vater halten.
Also hat Graf Philipp das Schloß, das er seinem Sohne gegeben hat, wieder an sich und Ottilie zu sich genommen und sie mit ihren Jungfrauen und Knechten in Kost und Kleidung gehalten, wie es billig ist.
Daraufhin hat Ottilie ihren Schwiegervater zu ihrem Vormund bestimmt, damit er das Ihre ihr angewinne und damit nach seinem Willen und Gefallen verfahre (tue und lasse), worüber sie eine Urkunde ausgestellt und besiegelt hat [siehe 1453 April 27].
Da nun Graf Heinrich von Nassau verstorben war und Ottilie (von Thierstein) damit Anspruch auf ihr väterliches Erbe hatte, zugleich aber der Bruder Graf Heinrichs, Graf Johann von Nassau, Herr zu Breda, dieses Erbe beansprucht und beeinträchtigt hat, hat Graf Philipp mit Graf Johann langwierige und kostspielige Verhandlungen geführt, bis endlich Graf Bernhard von Solms einen Vergleich zustande gebracht und festgesetzt hat, was Ottilie als Erbteil zusteht [siehe die Urkunden von 1454 April 30].
In diesem Schiedsspruch ist unter anderem festgesetzt worden, daß Ottilie 6000 fl. in bar erhalten solle, die sie auch bekommen und ihrem Schwiegervater als ihrem Vormund gegeben hat; dieser hat sie zur Deckung der Schulden verwendet, die Ottilie und ihr Mann hinterlassen haben.
Graf Philipp hat ferner, solange Ottilie in seinem Haushalt gelebt hat, die Einkünfte ihres Wittums und ihres väterlichen Erbes aufgehoben und an sich genommen und Ottilie davon ausgehalten.
Unterweilen ist Ottilie eine neue Ehe eingegangen, der Graf Philipp nicht zugestimmt hat; er hat es aber geschehen lassen und ihr das Wittum verabfolgt, das er ihr bei der Heirat mit seinem Sohn gesetzt hatte.
Nachdem nun Ottilie ihren Schwiegervater verlassen hat ud zu ihrem neuen Ehemann gegangen ist, hat sie Graf Philipp um die 6000 fl. angesprochen, die ihr durch den Schiedsspruch Graf Bernhards von Solms zugeteilt worden waren, und hat zugleich von Graf Philipp die Nutzung davon und dazu das, was dieser sonst aufgehoben hat, solange sie bei ihm gelebt hat, beansprucht.
Graf Philipp hat darauf geantwortet, sie habe sich zu ihm begeben, ihn zu ihrem Vormund eingesetzt und wisse wohl, daß sie und ihr erster Mann Schulden hinterlassen hätten, die er von den 6000 fl. bezahlt habe. Er habe sie ferner verköstigt und ihr Kleider- und Gesindelohn gegeben, obwohl er dazu nicht verpflichtet gewesen sei; er habe ferner ihr Kind ausgestattet (beraden) [siehe 1468 Juni 20] und dazu 6000 fl. gegeben und Ottilie außerdem ihr väterliches Erbe samt ihrem Wittum folgen lassen, obwohl er daran wegen ihres und seines Sohnes Kind Ansprüche gehabt habe. Er meint also, daß Ottilie nicht berechtigt ist, Forderungen an ihn zu stellen.
Es wird nun hiergegen eingewendet, daß Graf Philipp verpflichtet sei, die Schulden seines Sohnes zu bezahlen, da dieser kein Eigen gehabt habe, da er über das ihm verschriebene Schloß nicht frei habe verfügen können und es Graf Philipp nach dem Tod seines Sohnes auch wieder an sich genommen habe.
Es ist aber auch die Frage aufgeworfen, ob Ottilie nicht verpflichtet gewesen sei, die Schulden, die sie und ihr Mann gemeinsam gemacht hätten, zu bezahlen, wobei zu berücksichtigen ist, daß sie nach dem Tod ihres ersten Mannes zu ihrem Schwiegervater gegangen ist und dieser ihre Einkünfte zwar aufgehoben, aber auch gebraucht hat, wie oben aufgeführt ist.
Es wird ferner um Unterrichtung darüber ersucht, ob Graf Philipp schuldig ist, seiner Schwiegertochter Rechnung zu legen und das übrige Geld herauszugeben, unter Berücksichtigung der Tatsache, daß Graf Philipp Vormund Ottiliens gewesen ist, sie sich ihm unterstellt hat, die 6000 fl. zur Schuldendeckung verwendet worden sind und der Graf Ottilie völlig unterhalten hat.
Es ist schließlich zu entscheiden, ob nicht Ottilie, falls Graf Philipp verpflichtet sein sollte, die Schulden seines Sohnes und seiner Schwiegertochter alleine zu bezahlen, nicht wenigstens zu der Mitgift, die Graf Philipp an die Tochter seiner Schwiegertochter und seines Sohnes gezahlt hat, beitragen muß, da diese Mitgift mit dem Wissen Ottiliens aus den Gütern des Grafen gegeben worden ist und Ottilie ihr väterliches Erbe und ihr Wittum erhalten hat, das doch billiger ihrem Kind als ihr zustehe.
II. Dies ist der Rat der Doktoren zu ... (1)
Jeder Vormund, es sei ein Vater eines Kindes wegen oder eine Mutter von eynem, das dye jare uff ime hat, ist für die Zeit der Vormundschaft zur Rechnungslegung verpflichtet, das besagen beide Rechte.
Wenn auch der Vormund mit der beurkundeten und besiegelten Bestimmung eingesetzt ist, nach seinem Willen und Wissen zu tun und zu lassen, so kann das nicht verstanden werden, daß der Vormund befugt ist, sich der Vormundschaft zu seinem Nutzen zu bedienen.
Die Schulden, die beide Eheleute zu der Zeit gemacht haben, als sie auf dem Schlosse saßen, sind aus den Gütern beider Eheleute zu bezahlen.
Die Rechnung muß ausweisen, was Graf Philipp während der Zeit der Vormundschaft eingenommen und vom väterlichen Erbe Ottiliens und der Nutzung ihres Wittums aufgehoben und was er davon bezahlt hat. Sind mehr als 6000 fl. zu bezahlen, so ist das von der Nutzung des Wittums und dem Gute der Frau, das der Graf während der Zeit der Vormundschaft aufgehoben hat, zu begleichen.
Über die Höhe der Ansprüche Graf Philipps, die er erhebt, weil er Ottilie mit Knechten und Jungfern bei sich aufgenommen hat, wird am besten durch einen Schiedsspruch (nach eyner erkenteniße) entschieden. Was er darüber hinaus eingenommen hat, muß er zurückgeben.
Graf Philipp ist nicht verpflichtet, die Schulden seiner Schwiegertochter aus seinem eigenen Gut zu bezahlen, er sei denn Bürge dafür geworden.
Was die Forderung Ottiliens an den Grafen betrifft, ihr die 6000 fl. zu verabfolgen, die er eingenommen hat, so ist dieser nicht dazu verpflichtet, wenn er in der Abrechnung nachweist, daß er die Schulden Ottiliens und ihres Mannes davon bezahlt hat. Hat er sie für seine Zwecke verwendet, muß er Ottilie die Nutzung davon und von ihrem Wittum ersetzen.
Was die Einrede betrifft, daß Graf Philipp d.J. und seine Frau kein Eigen gehabt hätten, so haben sie doch auf dem Schloß gesessen und über seine Einkünfte nach ihrem Gutdünken verfügt, und auch wenn sie das Schloß selbst nicht verkaufen oder versetzen durften, so haben sie doch Geld auf Schuld aufgenommen; dieses ist daher, wie oben gesagt, zu bezahlen.
III. Rat der Doktoren zu ... (1)
Sie trauen sich nicht zu, einen grundlegenden Rat zu erteilen, ehe sie nicht die Heirats-, Wittums- und Vormundschaftsurkunden sowie die einzelnen Schuldurkunden gelesen haben, da zu unterscheiden ist, ob Graf Philipp d.J. die Schulden mit Zustimmung Ottiliens gemacht hat oder ob sie die Gelder als Gesamtschuld aufgenommen haben und sie ihnen beiden geliehen worden sind oder ob gar die Gelder für Ottiliens eigenen Nutzen gedient haben.
Soweit sie die Sache überblicken, ist Ottilie nach dem geschriebenen kaiserlichen Recht nicht schuldig, die Schulden zu bezahlen, weder von dem, was ihr überkommen ist, noch von ihrem Wittum. Hat sie aber von ihrem + Mann noch etwas anderes an liegender oder fahrender Habe geerbt, so muß sie die Schulden davon bezahlen, soweit dieses Erbe zulangt. Im übrigen herrscht in einigen Gebieten die Gewohnheit, daß eine Witwe, auch wenn sie nicht von den Gütern ihres Mannes geerbt hat, ein Drittel der Schulden bezahlen muß, da man dort ein Drittel (den drittenteyl) der Schulden der Spindel und zwei Drittel (dye zweyteil) dem Schwert zuteilt, doch handelt es sich dabei nicht um geschriebenes Recht. Ottilie stehen also die 6000 fl. zu.
Hat der Graf ferner Ottiliens Wittum, Mitgift und ihr sonstiges väterliches Erbe beansprucht und die jährliche Nutzung davon eingenommen und genossen, muß er Ottilie darüber Rechenschaft ablegen. Wenn der Graf Ottilie mit ihrem Gesinde in seine Kost genommen hat, kann das zwar berechnet und abgesetzt werden, ist jedoch um so geringer zu veranschlagen, als der Graf Ottilie verbunden (gewant) und sie und ihr Gesinde dem Grafen gehorsam gewesen ist, ihm damit hat haushalten helfen und gedient hat. Das kaiserliche Recht befindet nämlich, daß einer, der seine Kinder, Kindeskinder oder Sohnesfrau ohne ausdrückliche Zusicherung der Bezahlung in seine Kost nimmt, dieses gemeinhin aus Liebe und Zuneigung zu ihnen tut und nicht um der Bezahlung willen.
Wenn der Graf das Kind seiner Schwiegertochter ausgestattet und dabei bestimmt hat, daß diesem auch ein Teil des Wittums von Ottilie folgen oder sie ihm eine Summe Geldes geben soll, und diese Bestimmung mit Wissen und Willen Ottiliens getroffen worden ist, dann bleibt es dabei. Ist das nicht der Fall, halten die Rechte dafür, daß der Schwiegervater das Kind aus Liebe und Neigung ausgestattet hat und daß es infolgedessen Frau Ottilie nicht obliegt, dem Kinde auch etwas zu geben. Das entspricht auch dem landesüblichen Herkommen.
IV. Rat der Doktoren zu ... (1)
Jeder Vormund ist verpflichtet, auf Verlangen über Einnahmen und Ausgaben während der Vormundschaft abzurechnen. Ergibt die Abrechnung, daß er mehr eingenommen als ausgegeben hat, muß er das Übrige herausgeben.
Sind die 6000 fl. vom Grafen für die Bezahlung der Schulden verwendet worden, die Graf Philipp d.J. und Ottilie gemeinsam gemacht haben, und hat sich Ottilie wegen dieser Schulden mit Graf Philipp d.J. gemeinsam verschrieben, dann muß sie die Schulden bezahlen helfen, jedoch nicht von ihrem Wittum.
Wenn der Graf seines Sohnes Kind mit seinem Gut ausgestattet hat, dann ist Ottilie Graf Philipp zu Dank, aber nicht dazu verpflichtet, etwas beizutragen.
V. Rat der Doktoren zu ... (1)
Wenn Graf Philipp beansprucht, die Schulden, die sein Sohn und Ottilie während ihrer Ehe gemacht haben, aus beider Güter zu begleichen, sein Sohn aber keine Güter hinterlassen und Graf Philipp demgemäß die Schulden allein aus den Gütern der Frau bezahlt hat, so war er dazu nicht berechtigt, denn die Frau ist nicht verpflichtet, die Schulden ihres + Mannes zu bezahlen. Die Mitgift der Frau ist gegenüber solcher Schulden gefreit, und wenn sie gleichwohl diese Güter für diese Schulden haftbar erklärt hat, so ist diese Erklärung unwirksam, denn Güter, die man nicht selbständig veräußern kann, kann man auch nicht für Schulden haftbar machen.
Was die Ausstattung des Enkelkindes des Grafen betrifft, so ist die Frau nicht verpflichtet, ihr Kind auszustatten, denn das ist nicht das Amt der Mutter, sondern des Vaters; und wenn der Vater keine Güter hinterlassen hat, mit denen die Tochter ausgestattet werden kann, so ist der Großvater von Rechts wegen verpflichtet, die Ausstattung zu besorgen.
Wenn Graf Philipp die Erstattung derjenigen Kosten verlangt, die ihm durch den Unterhalt Ottiliens und ihres Hausgesindes erwachsen sind, so ist der Graf nicht berechtigt, das zurückzufordern, was er für den Unterhalt seines Enkels ausgegeben hat, wohl aber das, was ihn der Unterhalt der Schwiegertochter gekostet hat.
Wenn die Sohnesfrau Rechenschaft darüber verlangt, was der Graf als ihr Vormund in ihrem Namen eingenommen hat, dann ist dieses Verlangen berechtigt, denn jeder Vertreter (procurator oder scheffener) muß über eine ihm übertragene Angelegenheit (handel) Rechenschaft ablegen.

Weitere Informationen

(1) Von einer gleichzeitigen Hand unkenntlich gemacht.
Die den Doktoren zur Begutachtung vorgelegte Darstellung des Streitfalles zwischen Graf Philipp von Katzenelnbogen und seiner Schwiegertochter Ottilie über die Herausgabe ihres Erbes arbeitet mit Decknamen und -summen, die in der vorliegenden Aufzeichnung später durch die richtigen Namen und Summen berichtigt worden sind. Für Graf Heinrich von Nassau figuriert ein Herr Heinrich von Landsberg, statt Ottilie von Nassau steht Agnes von Landsberg, Graf Philipp d.Ä. und sein Sohn heißen Konrad von Schellenberg und sein Sohn Konrad, Graf Johann von Nassau ist Hans von Landsberg und Graf Bernhard von Solms ein Graf Bernhard von Eberstein.

Nachweise

Weitere Personen

Katzenelnbogen, Grafen, Philipp I. · Katzenelnbogen, Grafen, Philipp II. · Thierstein, Grafen, Ottilie, Frau Oswalds I., verw. Gräfin von Katzenelnbogen, geb. Gräfin von Nassau · Nassau-Dillenburg, Grafen, Johann IV. · Nassau-Dillenburg, Grafen, Heinrich II. · Baden, Markgrafen, Ottilie, Frau Christophs I., geb. Gräfin von Katzenelnbogen · Solms-Braunfels, Grafen, Bernhard II.

Weitere Orte

Nassau, Grafen · Thierstein, Grafen · Darmstadt, Burg · Solms, Grafen

Sachbegriffe

Schulden, Verantwortlichkeit für · Erbe, väterliches · Vormünder · Rechnungslegungen · Schwiegertöchter · Enkelkinder · Söhne · Töchter · Töchter, Ausstattung von · Mitgift · Morgengabe · Wittume · Witwen, erneute Heirat von · Hofhaltungen, weibliche · Hofhaltungen, Kosten für · Knechte · Mägde · Schiedssprüche · Kleidung · Burgen · Dörfer · Verschreibungen · Bürgen · Darlehen · Rechtsgutachten · Awälte · Streitigkeiten, rechtlicher Entscheid über

Textgrundlage

Stückangaben, Regest

Demandt, Reg. Katzenelnbogen 2

Zitierweise
Landgrafen-Regesten online Nr. 13145 <https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/lgr/id/13145> (Stand: 20.04.2024)