Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

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Bundeswehr

  1. Überblick
  2. Bundeswehrstandorte in Hessen
  3. Aufstellung der ersten Verbände
  4. Ablehnung der Wiederbewaffnung und der Aufstellung der Bundeswehr durch die hessische Sozialdemokratie
  5. Widerstand gegen die Ausrüstung der Bundeswehr mit Atomwaffen 1958
  6. Die Bundeswehr als Auftraggeber hessischer Industrieunternehmen
  7. Einnahme der Heeresstruktur 5: Personalabbau und Standortschließungen
  8. Hessische Grenzpolizei und Bundesgrenzschutz

1. Überblick

Das Land Hessen rückte nach Ende des Zweiten Weltkriegs in den räumlichen Mittelpunkt der Systemkonfrontation zwischen Ost und West in Mitteleuropa. Bedeutende Teile seines gesellschaftlichen Zusammenlebens wurden dabei direkt oder indirekt durch die unmittelbare Bedrohungslage und die daraus resultierende Schaffung militärischer Strukturen geprägt. Ausgehend von seiner geografischen Lage und naturräumlichen Beschaffenheit erlangten Teile von Hessen mit Beginn des politischen Ost-West-Gegensatzes im „Kalten Krieg“ wichtige militärstrategische Bedeutung. Folglich zählten die örtliche Verdichtung von militärischen Anlagen, die Präsenz von uniformierten Angehörigen der Streitkräfte, ein häufiger Manöverbetrieb und militärische Baumaßnahmen für die Dauer mehrerer Jahrzehnte zum Alltag vieler hessischer Bürgerinnen und Bürger.

Aufgaben der Landesverteidigung und die daraus resultierende Anwesenheit der Bundeswehr in einer großen Zahl von hessischen Standorten bildeten jahrzehntelang einen bestimmenden Faktor landes- und kommunalpolitischer Handlungszusammenhänge. Militär und zivile Stellen widmeten sich gemeinschaftlich der Herausforderung, die territoriale und politische Integrität der Bundesrepublik zu garantieren. Im Falle einer militärischen Auseinandersetzung zwischen der NATO und den Staaten des Warschauer Pakts wäre das Land Hessen unmittelbar in verheerender Weise betroffen gewesen. Im osthessischen Grenzgebiet zur DDR befand sich die von den NATO-Militärstrategen als „Fulda Gap“ („Lücke von Fulda“) bezeichnete Region, an der ein erster Angriff des Warschauer Pakts am wahrscheinlichsten erschien. Das sogenannte „Zebra Paket“ sah dort im Falle eines Angriffs den Einsatz von Atomwaffen gegen festgelegte Zielpunkte vor. Diese sollten in Form eines „Sperrfeuers“ innerhalb von 90 Minuten insgesamt 114 Objekte im „Fulda Gap“ (darunter – flächendeckend – allein rund 50 Ziele im Dreieck Bad Hersfeld – Alsfeld – Fulda) und weitere 27 im Kinzigtal treffen. Die kleine Ortschaft Hattenbach im Landkreis Hersfeld-Rotenburg wurde in den Planspielen des US-Militärs als derjenige Ort gesehen, der bei einer Verteidigung vom westlichen Militär zuerst bombardiert werden würde, um einen Vormarsch der Truppen des Warschauer Pakts aufzuhalten.

2. Bundeswehrstandorte in Hessen

Das Bundesland Hessen besitzt als Standort von Truppenteilen der Bundeswehr, gemessen an der Anzahl von Kasernen und anderen Bundeswehreinrichtungen, im Vergleich zu seiner territorialen Fläche – 8,5 % der Gesamtfläche der Bundesrepublik (alt) bzw. 5,9 % der Gesamtfläche der Bundesrepublik (neu) – und zu seinem Anteil an der deutschen Gesamtbevölkerungszahl (alte BRD etwa 9,2 %, einschließlich neue Bundesländer etwa 7,4 %) nur unterdurchschnittliche Bedeutung.

Anfang der-1990er Jahre war die Bundeswehr in 70 hessischen Städten und Gemeinden mit Einrichtungen und genutzten Liegenschaften vertreten, darunter die Standorte Kassel (mit annähernd 3.900 Militärangehörigen und Zivilbeschäftigten der Standort mit der höchsten Zahl von Bundeswehrbeschäftigten in Hessen), Wetzlar (Platz 2 nach Kassel mit mehr als 3.700 zivil- und militärangehörigen Beschäftigten) und Gießen (militärisches und ziviles Personal total mehr als 2.500 Beschäftigte) als personell bedeutendste Repräsentanzen. Der Truppenübungsplatz Schwarzenborn (Schwalm-Eder-Kreis; von 1900 bis 1945 kontinuierlich als Schießübungsplatz genutzt, nach Kriegsende Straflager für deutsche Kriegsgefangene; ab 1948 Lungenheilstätte in Besitz des Landes Hessen; ab 1956 erneut von der Bundeswehr als Truppenübungsplatz übernommen) stellt bis heute mit mehr als 1.080 Hektar Fläche den flächenmäßig größten Standort der Bundeswehr in Hessen dar.1

3. Aufstellung der ersten Verbände

Ab 1956 bezogen vornehmlich aus Bundesgrenzschutzeinheiten hervorgegangene Verbände Gelände, Unterkünfte und bereits bestehende Kasernen; Ende der 1950er- und zu Beginn der 1960er-Jahre entstanden zusätzlich 14 Kasernenneubauten (unter anderem in Gießen, Alsfeld, Niederkaufungen, Rotenburg a. d. Fulda, Frankenberg an der Eder, Neustadt, Allendorf, Wolfhagen, Diez, Treysa, Hünfeld, Homberg/Efze und Darmstadt), die aus dem Wehretat des Bundes finanziert wurden und deren Gesamtkosten sich auf rund 220 Millionen Mark summierten.

Die ersten Jahre der Bundeswehr waren stark durch Improvisation und ständige Veränderungen geprägt. Um den außerordentlich schnell vollzogenen Aufstellungsprozess organisatorisch bewältigen zu können, wurden neu aufgestellte Verbände teilweise mehrmals im Jahr geteilt und wieder aufgefüllt. Einheiten wurden bereits nach wenigen Wochen oder Monaten von ihrem ursprünglichen Aufstellungsort in neue Garnisonen verlegt, sodass die Truppe erst nach und nach ihren endgültigen Stationierungsraum erreichte. Diese Vorgänge hatten zur Folge, dass in der Aufbauphase von einer echten Einsatzbereitschaft der Bundeswehr nur in stark eingeschränktem Maße gesprochen werden konnte. Die benötigte Infrastruktur musste aufgebaut, Material zum Teil aus dem Ausland herangeführt werden (insbesondere technisches Gerät). Ältere Kasernen wurden vielfach aus der Hand der ehemaligen Besatzungsmächte übernommen.

Bedeutende Verbände, die bereits zu einem frühen Zeitpunkt in Hessen aufgestellt wurden, waren unter anderem im Jahre 1956 die 2. Grenadierdivision in Kassel, die sich aus vormals dem Grenzschutzkommando Mitte des Bundesgrenzschutzes angehörendem Personal zusammensetzte und dem Heeresstab II unterstellt wurde, und 1959 das Panzerbataillon 63 in Stadtallendorf, das aus dem Panzerjägerbataillon 2 und Teilen der Grenzschutzabteilung Mitte aufgestellt wurde.

Die ersten 650 hessischen Rekruten erhielten ihre Einberufungen zum 1. April 1957. Sie wurden auf die einzelnen Waffengattungen des Heeres verteilt; Luftwaffe und Marine deckten zu diesem Zeitpunkt ihren Bedarf noch mit Freiwilligen. Bundesweit traten zum 1. April insgesamt 9.733 Wehrpflichtige ihren Dienst beim Heer an, mit denen drei Panzergrenadier- und zwei Panzerdivisionen aufgefüllt wurden. Die Grenadierdivisionen sollten am 1. Juli und die Panzerdivisionen am 1. Dezember 1957 als „beschränkt einsatzbereit“ der NATO gemeldet werden. Im Rahmen einer Militärparade auf dem Kasernenhof der am Stadtrand der mittelhessischen Universitätsstadt Marburg gelegenen Tannenbergkaserne wurden am 5. Juli 1957 mehrere der bis dahin geplanten bzw. aufgestellten Divisionen von Heer, Luftwaffe und Marine symbolisch an das NATO-Oberkommando übergeben.

4. Ablehnung der Wiederbewaffnung und der Aufstellung der Bundeswehr durch die hessische Sozialdemokratie

Die neben der umfangreichen Präsenz des US-amerikanischen Militärs in Hessen stationierten Einheiten der Bundeswehr wurden ab 1956 aufgestellt. Die Aussicht auf eine erneute Einführung militärischer Strukturen wurde vor dem Hintergrund der Erfahrungen aus dem Zweiten Weltkrieg und dem Gebrauch des Militärs zu verbrecherischen Absichten im NS-Staat jedoch bereits seit der Gründung der Bundesrepublik 1949 öffentlich ausgesprochen kontrovers diskutiert. Im SPD-regierten Land Hessen standen starke politische Kräfte der sogenannten Wiederbewaffnung entgegen. Bereits 1952 sprachen sich mehrere Kreiskonferenzen der Sozialdemokraten gegen einen bundesdeutschen Beitrag zur Verteidigung Westeuropas aus. So fassten die SPD-Funktionäre des Bezirksverbands Hessen-Süd am 3. Februar 1952 auf einer Konferenz in Bad Vilbel mit großer Mehrheit den Beschluss zu einer Anti-Remilitarisierungsresolution. 1955 scheiterte ein Antrag, der die Verweigerung jeglicher Mitarbeit der SPD an der Wehrverfassung und den Wehrgesetzen zum Ziel hatte, nach stundenlangen Diskussionen der Delegierten nur knapp. Auf einem Bezirksparteitag der SPD Hessen-Süd in Limburg stellten die Delegierten 1956 mit Genugtuung fest, dass „es der Bundesparteiführung zusammen mit der Bundestagsfraktion gelungen sei, den Zeitplan der Bundesregierung für die Aufstellung der »Wehrmacht« um entscheidende Jahre aufzuhalten“.2 Schließlich sprach der Landesausschuss der Hessen-SPD 1956 die Empfehlung aus, „zur Frage der Kasernierung von Truppen in Hessen größte Zurückhaltung“ zu üben.3

Im Januar 1956 erklärte der Kasseler SPD-Oberbürgermeister und spätere Hessische Minister für Justiz und Bundesangelegenheiten in der Regierung Zinn, Lauritz Lauritzen (1910–1980), dass die Stadt kein Interesse daran habe, wieder Garnisonstadt zu werden. Die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg, als Kassel – bekannt auch als "Panzer- und Tigerstadt" (wegen der Produktion des Panzerkampfwagens VI „Tiger“ bei der Firma Henschel) – mehr als 80 Prozent seines ursprünglichen Stadtbilds verlor, wirke nach wie vor abschreckend. Namentlich seien 21 der insgesamt 36 in Hessen nach Kriegsende demontierten Betriebe Kasseler Unternehmen gewesen. Die Stadt, so Lauritzen, strebe bei der Ansiedlung und Ausweitung der ortansässigen Industrien an, eine Produktion zu fördern, die dem Frieden diene.4

Martin Niemöller (1892–1984), der Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN), und der hessische SPD-Ministerpräsident Georg August Zinn (1901–1976) gehörten zu den am offensivsten auftretenden Gegnern der von Bundeskanzler Konrad Adenauer (1876–1967) geforderten Wiederbewaffnung und einer die Aufstellung von Atomwaffen einschließenden „Remilitarisierung“ Westdeutschlands. Im Vorfeld der Landtagswahlen der Jahre 1950 und 1954 beherrschte das bundespolitische Thema den Wahlkampf („Kampf dem Atomtod“); die Wahlentscheidungen spiegeln deutlich die zu dieser Zeit in großen Teilen der hessischen Bevölkerung tief verankerte Ablehnung der von Adenauer vorgeschlagenen Beteiligung der Bundesrepublik am westlichen Verteidigungsbündnis, die von der CDU-Regierung als entscheidende Voraussetzung zur Westintegration befürwortete wurde, die gleichzeitig aber auf unabsehbare Dauer eine Festschreibung der Teilung Deutschlands bedeuten musste.

5. Widerstand gegen die Ausrüstung der Bundeswehr mit Atomwaffen 1958

Hessen war in der zweiten Hälfte der 1950er-Jahre ein Zentrum des außerparlamentarischen Widerstands gegen die Ausrüstung der Bundeswehr mit taktischen Atomwaffen.5 Ein im Februar 1958 in Frankfurt am Main gebildeter „Arbeitsausschuss Kampf dem Atomtod“, dem 40 hochrangige Persönlichkeiten aus Politik, Kirche und Kulturleben angehören, veröffentlichte am 10. März 1958 einen Aufruf an die deutsche Bundesregierung, sich nicht am Rüstungswettlauf mit Atomwaffen zu beteiligen. Vielmehr solle die deutsche Staatsführung einen Beitrag zur politischen Entspannung leisten und alle Bemühungen um eine atomwaffenfreie Zone in Europa unterstützen. Zugleich appellierten die Mitglieder des Arbeitskreises an die deutsche Bevölkerung sich einer lebensbedrohenden, weil die Verwendung von Nuklearwaffen einschließenden Rüstungs- und Verteidigungspolitik zu „widersetzen“. Unter den Unterzeichnern des Aufrufs befanden sich unter anderem der nordrhein-westfälische Justizminister Rudolf Amelunxen (1888–1969), der Erste Bürgermeister der Stadt Hamburg Max Brauer (1887–1973), der ehemalige Reichstagspräsident Paul Löbe (1875–1967), der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Fritz Steinhoff (1897–1969), zahlreiche Bundestagsabgeordnete, der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes Willi Richter (1894–1972) und seine Stellvertreter, Kirchenpräsidenten und Pfarrer, Professoren und namhafte Schriftsteller.

Der Deutsche Bundestag beschloss am 25. März 1958 mit der Stimmenmehrheit der über eine absolute Mehrheit verfügenden CDU/CSU-Fraktion und der rechtsgerichteten Deutschen Partei (DP), die Bundeswehr mit Trägersystemen für Nuklearwaffen auszurüsten und die Aufstellung von Atomwaffen unter dem Oberbefehl der NATO in der Bundesrepublik zu erlauben. Bereits 1953 hatten die amerikanischen Streitkräfte damit begonnen, atomare Gefechtsfeldwaffen – Atomgranaten für das Artilleriegeschütz M65 („Atomic Annie“) – in Westdeutschland zu lagern.

Am selben Tag und in den darauffolgenden Wochen und Monaten kam es bundesweit zu Massenkundgebungen und Protesten gegen die geplante atomare Bewaffnung der Bundeswehr, an denen sich schätzungsweise insgesamt etwa 1,5 Millionen Menschen beteiligten. Neben Demonstrationen, Mahnwachen und Gottesdiensten kam es in zahlreichen Betrieben zu Streiks, so zum Beispiel in Wolfsburg und Braunschweig beim Automobilbauer Volkswagen und in den Fabriken des Lastkraftwagen- und Omnibusherstellers Büssing in Braunschweig und Bremerhaven.6 In Kassel legten Hunderte der Beschäftigten in den Henschel-Werken am Tag des Nuklearwaffen-Beschlusses die Arbeit nieder und zogen unter der von den Sozialdemokraten herausgegebenen Parole „Kampf dem Atomtod“ in einem Demonstrationszug durch die Stadt. Ein Teil der Arbeiter versammelte sich anschließend am Haus des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), um eine Solidaritätserklärung der IG Metall zu erhalten.

Die Stadtverordnetenversammlungen der Städte Frankfurt am Main, Darmstadt und Offenbach am Main fassten im April 1958 den Beschluss, Volksbefragungen zu der Frage durchzuführen, ob auf deutschem Boden Streitkräfte mit atomaren Sprengkörpern ausgerüstet und atomare Abschussbasen eingerichtet werden sollten. Diese Beschlüsse wurden von der Hessischen Landesregierung unterstützt.

6. Die Bundeswehr als Auftraggeber hessischer Industrieunternehmen

Die Bundeswehr besaß (und besitzt) für einige in Hessen ansässige Industrieunternehmen große Bedeutung als Auftraggeber für die Produktion und Instandhaltung von Rüstungsgütern.7 Dies gilt insbesondere für die ehemalige Henschel Flugzeugwerke AG (HFW) in Kassel und Calden, die zeitweise sämtliche Hubschrauber der Bundeswehr sowie später auch Helikopter der Polizei und des Bundesgrenzschutzes betreute. Heute arbeiten auf dem Flughafen Kassel-Calden drei selbständige Unternehmen, die auf die ehemalige Henschel Flugzeugwerke AG zurückgehen und den Geschäftsbereich Hubschrauberbetreuung weiterführen: die Eurocopter Deutschland GmbH (Teil der EADS-Tochter Eurocopter Group S.A.S.), die Piper Generalvertretung Deutschland AG und ZF Luftfahrttechnik GmbH (Unternehmenssparte Hubschrauber-Getriebebau der ZF Friedrichshafen AG). Als Hersteller von gepanzerten Rad- und Kettenfahrzeugen war auch die ebenfalls in Kassel ansässige Thyssen Henschel AG in bedeutendem Umfang auf den Kunden Bundeswehr angewiesen. Der wehrtechnische Bereich der 1995 zunächst nach Sparten in unabhängige Unternehmensteile zerlegten und 1996 in der Thyssen Henschel GmbH wieder zusammengeführten Firma ging als Henschel Wehrtechnik GmbH zum 1. Januar 1997 zunächst an die IWKA AG in Karlsruhe und ist heute unter dem Dach der Rheinmetall AG als Rheinmetall Landsysteme GmbH am Standort Kassel vertreten.

Andere hessische Industriebetriebe, die für die Bundeswehr produzierten, sind unter anderem die in Oberursel ansässige BMW-Rolls-Royce GmbH (heute: Rolls-Royce Deutschland GmbH), die in den 1960er- und 1970er-Jahren unter anderem Triebwerke für den Alpha-Jet und Teile für das Kampfflugzeug Tornado baute, die Fritz Werner Industrieausrüstungen GmbH in Geisenheim (Produktionsanlagen für Feuerwaffen und Munition, zuletzt vor allem im Ausland tätig), die VDO Luftfahrtgerätewerk GmbH in Frankfurt (Avionik-Ausrüstung; gehört heute zur Diehl Aerospace GmbH), und die Alfred Teves GmbH in Frankfurt.

7. Einnahme der Heeresstruktur 5: Personalabbau und Standortschließungen

Die Einnahme der Heeresstruktur 5 ist die bis heute bestimmende Maßnahme zur Verkleinerung des Heeres der Bundeswehr. Die Umgliederung und der damit einhergehende Personalabbau begann 1990 als Reaktion auf das Ende des „Kalten Krieges“, die zunehmende Entspannung zwischen Ost und West, die deutsche Wiedervereinigung und die fortschreitende Abrüstung des Atomwaffenarsenals beiderseits des ehemaligen „Eisernen Vorhangs“. Die mit der deutschen Wiedervereinigung einsetzenden Veränderungen in der Personal- und Organisationsstruktur der Bundeswehr bedeuteten (und bedeuten) für das Land Hessen seit Beginn der 1990er-Jahre die in mehreren Wellen erfolgte Schließung zahlreicher Standorte. Zwischen 1990 und 1995 verringerte sich die Zahl der Truppenangehörigen der Bundeswehr in Hessen um zwei Drittel von rund 30.000 auf 10.000 Soldaten. Dazu kamen rund 5.000 Arbeitsplätze der Zivilbeschäftigten. Parallel dazu fanden umfangreiche Truppenreduzierungen und Flächenfreigaben der in Hessen stationierten US-Streitkräfte und belgischen Truppen statt. Alles in allem waren während dieser ersten Umstrukturierungs- und Konversionswelle nicht weniger als 190 Liegenschaften in über 70 hessischen Kommunen betroffen, 16 Standorte wurden komplett aufgegeben. 2004 gab das Bundesministerium für Verteidigung eine abermalige Reduzierung der Truppenstärke und die Schließung weiterer Standorte bekannt, von der besonders Kommunen in Nord- und Mittelhessen betroffen waren. Die dort zu erwartenden regionalwirtschaftlichen Folgewirkungen dieser zweiten Konversionswelle, die, – etwas zeitversetzt – wiederum von einer zweiten Welle von Schließungen US-amerikanischer Militärpräsenzen im südlichen Teil des Bundeslandes begleitet wurde, beurteilte das Hessische Ministerium für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung 2005 allerdings als relativ gering.

8. Hessische Grenzpolizei und Bundesgrenzschutz

Die Hessische Grenzpolizei und der Bundesgrenzschutz wurden als Sonderpolizeikräfte des Landes und des Bundes aufgestellt. Sie waren mit der Überwachung der innerdeutschen Demarkationslinie beauftragt und bildeten den institutionellen Ausgangspunkt und eine wichtige Personalressource beim Aufbau der Bundeswehr.

Die Hessische Grenzpolizei übernahm am 1. Februar 1946 auf Weisung der amerikanischen Militärregierung Aufgaben zur Grenzsicherung an der Demarkationslinie. Sie unterstand offiziell dem hessischen Innenminister und erreichte bis zum Herbst 1948 eine Stärke von zunächst 500 Mann (verteilt auf acht Grenzkommissariate und 60 Grenzpolizeiposten), die die US-Streitkräfte durch Bestreifung der Grenzlinien unterstützten und ergänzten. Aus Ersparnisgründen entschloss sich das Land Hessen 1949 die Hessische Grenzpolizei aufzulösen. Ihre Aufgaben wurden mit Wirkung zum 1. November des Jahres zunächst dem Zollgrenzdienst unter der Leitung der Zollgrenzdirektion Süd übertragen und später von der Hessischen Landespolizei und dem Bundesgrenzschutz wahrgenommen.

Der ab 1951 aufgestellte und in seiner Anfangszeit deutlich paramilitärisch organisierte Bundesgrenzschutz – anders als die Hessische Grenzpolizei eine Einrichtung des Bundes – bildete den personellen Grundstock für den Aufbau der Bundeswehr: 1956 wurden fast 10.000 Angehörige der vornehmlich mit Grenzsicherungsaufgaben beauftragten Organisation in die Bundeswehr überführt.

Ebenso wie bei der Hessischen Grenzpolizei bestand die Hauptaufgabe des Bundesgrenzschutzes anfangs vor allem in der Überwachung und Sicherung der innerdeutschen Grenze. Mit der zunehmenden Verschärfung der politischen Konfrontation im Kalten Krieg (insbesondere unter dem Eindruck der politischen und militärischen Auseinandersetzungen während des Koreakriegs 1950 bis 1953) wurde diese Aufgabe erweitert und dem Bundesgrenzschutz wurde die Wahrnehmung polizeilicher Aufgaben im Verteidigungsfall zugewiesen. Bis 1955 durfte die Bundesrepublik zwar keine eigenen Streitkräfte unterhalten. Die Alliierten gestanden der deutschen Regierung jedoch den Aufbau einer quasi-militärisch ausgerüsteten Grenzschutztruppe zu, die im Falle eines Krieges vor allem auch im Inneren gegen Aufstände und Unruhen eingesetzt werden sollte.8

Die Aufstellung kasernierter Bereitschaftspolizei des Bundesgrenzschutzes wurde, ebenso wie später die beiden Gesetze zur Aufstellung der Bundeswehr, von der hessischen Landesregierung stark bekämpft.

Kai Umbach


  1. Vgl. Wilfried Möhrle, Abrüstung in Hessen, Teil 1: Personalabbau bei der Bundeswehr (HLT-Report 356), Wiesbaden 1992.
  2. Wolfgang Schmidt, Integration und Wandel. Die Infrastruktur der Streitkräfte als Faktor sozioökonomischer Modernisierung in der Bundesrepublik 1955 bis 1975 (Sicherheitspolitik und Streitkräfte der Bundesrepublik Deutschland 6), München 2006, S. 165.
  3. Ebd.
  4. Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28.1.1956, S. 4: Kassel will nicht mehr Garnison werden: Eine Erklärung des Oberbürgermeisters / „Genug von Panzer- und Tigerstadt“.
  5. Vgl. dazu Peter Brollik/Klaus Mannhardt (Hrsg.), Blaubuch 1958: Kampf dem Atomtod – Dokumentation und Aufrufe, Essen 1988, S. 19 ff.
  6. Peter Birke, Wilde Streiks im Wirtschaftswunder. Arbeitskämpfe, Gewerkschaften und soziale Bewegungen in der Bundesrepublik und Dänemark (Campus Forschung 927), Frankfurt am Main u.a. 2007, S. 100 ff.
  7. Vgl. Wolfgang Koch, Abrüstung in Hessen, Teil 2: Unternehmen der Wehrtechnik (HLT-Report 357), Wiesbaden 1992.
  8. Hans Lisken/Hans-Jürgen Lange, Die Polizeien des Bundes, in: Hans-Jürgen Lange (Hrsg.), Staat, Demokratie und innere Sicherheit in Deutschland (Studien zur inneren Sicherheit 1), Opladen 2000, S. 151–166, hier: S. 154.
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