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Verleihung des Goethepreises der Stadt Frankfurt an den Arzt und Schriftsteller Hans Carossa, 28. August 1938

Der deutsche Arzt und Schriftsteller Hans Carossa (1878–1956) erhält den Goethepreis der Stadt Frankfurt am Main. Carossa Dankesansprache würdigt Goethe als den „freiesten, mündigsten und humansten Menschen des Abendlandes“ und deutet die Preisverleihung als Signal „in einer Zeit, wo das Weltbild nicht mehr einheitlich ist“. Gleichwohl steht Carossa – der 1933 die Berufung in die gleichgeschaltete Preußische Akademie der Künste abgelehnt hat und zeitweise in engem Kontakt mit Thomas Mann1 steht – der Ehrung zwiespältig gegenüber: „Wie alle irdischen Glücksfälle, ein Geschenk der Dämonen“.2.

Hans Carossa zählte in den 1920er Jahren mit seinen vom katholischen Humanismus beeinflussten Werken autobiografisch geprägter Lyrik und Prosa zu den beliebtesten Autoren im bürgerlichen Publikum. Seine Veröffentlichungen bestechen durch formale Eleganz, sind tradierten, klassischen Erzählweisen verpflichtet. Eindrücklich spiegeln seine nach 1933 erschienen Werke aber die Ohnmacht gegenüber dem Regime und den weitgehenden Rückzug in die „innere Emigration“.

Die Verleihung des Goethepreises an den in Tölz in Oberbayern geborenen Schriftsteller und Lungenfacharzt ist als Versuch zu werten, den wegen seiner Ablehnung der literarischen Avantgarde und seiner Popularität bei der Leserschaft von den Nazis umworbenen Autor in das offizielle Kulturleben zu integrieren. Widerstrebend lässt sich Carossa 1941 allerdings doch noch zum Präsidenten der nationalsozialistischen „Europäischen Schriftsteller-Vereinigung“ in Weimar machen.3 1944 wird Hans Carossa als einer von sechs Schriftstellern (neben Hanns Johst, Agnes Miegel und Ina Seidel und den Goethepreisträgern Gerhart Hauptmann und Erwin Guido Kolbenheyer) in die Sonderliste „Unersetzliche Künstler“ der von Adolf Hitler, Joseph Goebbels und dem „Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda“ zusammengestellten „Gottbegnadeten-Liste“ aufgenommen. Kurz vor der Kapitulation 1945 setzt sich Carossa in einem Brief an den Passauer Oberbürgermeister Max Moosbauer (1892–1968) dafür ein, die Stadt kampflos zu übergeben, und wird dafür in Abwesenheit zum Tode verurteilt.


  1. Carossa, der erst aus der Presse von seiner Berufung erfährt, berichtet Mann auf einer Postkarte von seiner Absage: „Sie werden es als selbstverständlich empfinden.“ Thomas Mann – zu diesem Zeitpunkt in Frankreich auf dem Weg ins Exil – begrüßt diese Entscheidung erleichtert und antwortet: „Lieber und immer mehr verehrter Herr Carossa“ ... „habe mich heute so herzlich darüber gefreut wie ich es je hätte tun können…“ „Sie und Hermann Hesse … sind jetzt die meinem Herzen nächsten deutschen Schriftsteller“... „die falsche Nachricht von Ihrem Eintritt in die neue Akademie war mir ein wirklicher Choc gewesen, und groß war dann meine Genugtuung…“ „Selbstverständlich? Mein Gott, was ist heute selbstverständlich und was überraschend? Aber es ist besser, es ist gut so, lieber Herr Carossa.“ Carossa, Hans: Tagebücher Teil 2: 1925–1935, hrsg. von Eva Kampmann-Carossa, 1. Aufl., Frankfurt am Main 1993, S. 646, Anlage 5, hier zitiert nach Friedrich Bruckner, Hans Carossa und Thomas Mann – „Stiller deutscher Dichter“ und „Großer Meister deutscher Erzählungskunst und Rede“?, in: Germanistische Beiträge / Lucian-Blaga-Universität, Hermannstadt, Lehrstuhl für Germanistik, Bd. 22-23 (2008), S. 17-61, S. 23.
  2. Zitiert nach Bruckner [wie Anm. 1], S. 46
  3. Carossa quittiert die auf Druck der Nazis unter Zwang getroffene Entscheidung auf seine Weise: er erscheint bis zum Ende der Vereinigung 1943 wegen vorgeblicher kriegsbedingter Gründe zu keiner einzigen Tagung.
Weiterführende Informationen
Empfohlene Zitierweise
„Verleihung des Goethepreises der Stadt Frankfurt an den Arzt und Schriftsteller Hans Carossa, 28. August 1938“, in: Zeitgeschichte in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/edb/id/4789> (Stand: 18.1.2021)
Ereignisse im Juli 1938 | August 1938 | September 1938
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