Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg

↑ Jakob Ebersmann, Berichte aus der Heimat in den Dieburger Feldbriefen, 1915-1917

Abschnitt 5: Einschränkungen in der Versorgung, Brotkarten

[Nr. 5] Feldbrief vom 21. März 1915

Der Bundesrat hat bereits vor längerer Zeit der Zivilbevölkerung empfohlen, mit den vorhandenen Vorräten an Lebensmitteln sparsam zu wirtschaften. Es wurde deshalb verfügt, das Weizenmehl mit Roggenmehl, das Roggenmehl aber mit Kartoffeln zu vermischen, um so die Versorgung des Volkes mit Brod während des Krieges zu sichern. Diese Verordnung hat sich schon als recht segensreich erwiesen. An das Schreckgespenst der Aushungerung glaubt jetzt niemand mehr. Die Frauen haben gelernt, viel haushälterischer mit den Nahrungsmitteln umzugehen. Man findet an der schweren Kost mehr Geschmack als seither, was sicher der Verweichlichung des Volkes entgegenarbeitet. Auch trägt das gleiche Recht aller auf ausreichende Ernährung viel zur Ausgleichung sozialer Gegensätze bei.

Zu unserer Freude machen sich auch in Dieburg bereits die Folgen der Verordnung des Bundesrates geltend. Man sieht keine Brodstücke mehr auf der Straße oder im Schulhof liegen. Die Kinder, die immer viel Nahrungsmittel vergeudeten, werden von Schule und Elternhaus zu kluger Sparsamkeit angehalten, was gewiß auch für spätere Jahre nachhaltig wirken wird.

Seit 15. März sind durch Stadtratsbeschluß hier Brodkarten eingeführt. Es wird dadurch jedem das Recht gegeben, sich bei einem beliebigen Bäcker für jedes Mitglied seines Haushaltes in der Woche entweder 2 kg Brod oder 1 ½ kg Mehl oder 1 ¾ kg Weizengebäck zu holen. Da auch für die Kleinsten dasselbe Quantum erlaubt wurde, ist es möglich, den Erwachsenen nötigenfalls etwas mehr zuzuteilen oder sich gegenseitig Aushilfe zu leisten.

Gleichwohl wird es Vorkommen, daß Euere Angehörigen in Briefen über die neue Einrichtung Klage führen. Ihr braucht aber deshalb nicht in Sorge zu geraten. Wenn es auch vielleicht in manchen Familien mit großer Kinderzahl beim Brodessen etwas knapp hergeht, so muß doch kein Familienglied Hunger leiden. Es sind noch ausreichend andere Lebensmittel vorhanden. Freilich müssen wir alle uns manche Einschränkungen auferlegen; das bringt halt der Krieg so mit sich. Wir tun es aber gern in dem Bewußtsein, daß unsere Opfer klein sind im Vergleich mit Eueren Opfern an Gesundheit, Blut und Leben.


Personen: Ebersmann, Jakob
Orte: Dieburg
Sachbegriffe: Lebensmittel · Bundesrat · Mehlversorgung · Kartoffeln · Brot · Brotversorgung · Frauen · Brotkarten
Empfohlene Zitierweise: „Jakob Ebersmann, Berichte aus der Heimat in den Dieburger Feldbriefen, 1915-1917, Abschnitt 5: Einschränkungen in der Versorgung, Brotkarten“, in: Hessische Quellen zum Ersten Weltkrieg <https://www.lagis-hessen.de/de/purl/resolve/subject/qhg/id/19-5> (aufgerufen am 28.03.2024)