Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen

Jüdische Friedhöfe

Beschreibung



Die jüdischen Friedhöfe mit ihren hebräischen Grabinschriften sind heute meist die einzigen sichtbaren Zeugnisse des alten Judentums in unserem Land. Entsprechend groß ist das Interesse der historisch interessierten Öffentlichkeit.

Im Bundesland Hessen gibt es heute nach einer amtlichen Liste, die mit dem Landesverband der Jüdischen Gemeinden in Hessen abgesprochen ist, noch rund 340 jüdische Friedhöfe. Erfasst sind damit all jene Friedhöfe, die zum Stichjahr 1938 noch vorhanden waren, unter Verzicht auf alle älteren verschwundenen, beseitigten oder aufgegebenen Friedhöfe. Nach der Flächengröße jeden Friedhofs werden hierzu die jährlichen Kostenzuschüsse zur Pflege, die auf einer Übereinkunft zwischen Bund und Ländern von 1956/57 beruhen, berechnet. Mit einigen übersehenen Friedhöfen und Grenzfällen kommt man auf rund 370 Friedhöfe in Hessen. Das Bundesland hat damit eine der höchsten Dichte an Judenfriedhöfen in Deutschland. Zu Alter und Größe der Friedhöfe ist damit allerdings nichts ausgesagt.

Die große Zahl der jüdischen Friedhöfe in Hessen erklärt sich vor allem daraus, dass im 19. Jahrhundert in einzelnen Landesteilen wie beispielsweise in der Wetterau alte Sammelfriedhöfe aufgelöst wurden und im Idealfall jede Synagogengemeinde ihren eigenen Friedhof erhielt. Historisch interessanter als diese vielen jungen Friedhöfe sind jedoch die alten Sammelfriedhöfe, soweit sie die NS-Zeit überstanden haben. Sie sind zumeist im 17. Jahrhundert angelegt und repräsentieren das in Hessen ausgeprägte Landjudentum. Unter diesen steht an der Spitze nach der Größe mit mehr als 2.000 erhaltenen Grabsteinen der 1616 angelegte jüdische Landfriedhof in Alsbach an der Bergstraße. Dort haben 14 Jüdische Gemeinden mit einem Einzugsbereich der jüdischen Bewohner aus 32 Ortschaften ihre Toten beerdigt. Zu nennen sind südlich des Mains auch noch die großen Friedhöfe in Dieburg und Michelstadt. Große Sammelfriedhöfe finden sich dann beispielsweise auch in Osthessen mit Altengronau, Weyhers, Burghaun und Rothenburg, in Nordhessen mit Oberaula, Haarhausen und Obervorschütz. Im Gegensatz dazu stehen die Friedhöfe der Reichsstadt Frankfurt, unter denen jener an der Battonnstraße bzw. am Börneplatz der älteste ist. Die beiden ältesten Grabsteine stammen dort von 1276. Städtisch geprägte Friedhöfe finden sich auch beispielsweise noch in Hanau und Gelnhausen, dann in den vormaligen Residenzstädten Kassel und Darmstadt. Dort liegen die Friedhöfe außerhalb der Altstadt vor den Stadttoren oder in Vororten, die heute längst eingemeindet sind.

Die laufende Pflege der historischen Friedhöfe obliegt heute der Zivilgemeinde, unabhängig davon, wem der Friedhof rechtlich gehört. Der nach der Größe des Friedhofs berechnete Kostenzuschuss ist gering, der Betrag zwingt aber die Kommunen, für eine Grundunterhaltung der Anlage zu sorgen. Darüber hinaus stellt das Bundesland Hessen jährlich rund eine Million Euro zur Verfügung, um einzelne Friedhöfe gezielt zu renovieren, etwa, um Steine aufzurichten. Eine vom Landesverband der jüdischen Gemeinden in Hessen vorgegebene Pflegeordnung sorgt dafür, dass die Friedhöfe unter Beachtung der religiösen Vorschriften ordnungsgemäß unterhalten werden. Aus der Erkenntnis heraus, dass die jüdischen Friedhöfe und ihre Grabsteine aus geschichtlichen und künstlerischen Gründen Kulturdenkmäler sind, stehen die jüdischen Friedhöfe in Hessen insgesamt unter Denkmalschutz.

Die jüdischen Friedhöfe sind für die Ewigkeit angelegt. Die Beseitigung von Gräbern ist – im Gegensatz zu den christlichen Friedhöfen – nach jüdischem Glauben grundsätzlich nicht möglich. Damit besteht eine Tendenz zu großen Friedhöfen. In der Praxis sieht das, wenn man über die Jahrhunderte zurückblickt, natürlich ganz anders aus. Wenn es erforderlich schien, hat man in vergangener Zeit jüdische Friedhöfe immer wieder – und nicht nur in der NS-Zeit – in Teilen oder vollständig abgeräumt und beseitigt. Eine Notlösung ist die Exhumierung. Sie wurde im heutigen Hessen schon Anfang des 19. Jahrhunderts bei dem alten Judenfriedhof in (Frankfurt-) Heddernheim vorgenommen. Die sterblichen Überreste und die Grabsteine wurden auf den neuen Friedhof verbracht.

Die Geschichte der jüdischen Friedhöfe und namentlich ihre Anfänge sind in der lokalen Literatur oft wenig erforscht. Dabei erklären sich manche Besonderheiten eines Friedhofs allein aus seinem historischen Hintergrund. Die alten Sammelfriedhöfe wurden in Deutschland seit dem 16. Jahrhundert oft ämterweise angelegt, folgten also in ihrem Einzugsbereich politisch-administrativen Grenzen. Sehr häufig stehen auch Adelsherrschaften dahinter. Der niedere Adel siedelte vor allem seit dem 16. Jahrhundert gerne Juden an, um aus ihnen finanziellen Nutzen zu ziehen. Dies gilt dann auch für die Friedhöfe. Der weite und in seinen Grenzen bisweilen ganz unverständliche Einzugsbereich mancher Sammelfriedhöfe erklärt sich oft gerade aus solchen historischen Eigenheiten.

Prägend für den heutigen Zustand der Friedhöfe sind ganz überwiegend die Ereignisse der NS-Zeit. Die jüdischen Friedhöfe galten als sichtbarer „Schandfleck“ und waren für die nationalsozialistischen Machthaber ein Dorn im Auge. Eine reichseinheitliche Lösung wurde zwar angestrebt, kam aber nicht zustande. Folglich blieb es meist den lokalen Behörden und Parteigremien überlassen, wie sie mit den jüdischen Friedhöfen in ihrer Gemeinde verfuhren. Bei den Pogromen vom November 1938, der sogenannten Reichskristallnacht, wurden auch die jüdischen Friedhöfe oft massiv geschädigt. Vielfach sind aber Friedhöfe auch schon zuvor zwischen 1933 und 1938 ganz oder in Teilen zerstört und abgeräumt worden. In Hessen betreffen diese Verluste aus den Jahren zwischen 1933 und 1938 etwa ein Dutzend zumeist sehr alte Friedhöfe, so beispielsweise jene in Fulda, in Groß-Gerau oder im weniger bekannten Niederhofheim im Main-Taunus-Kreis. Noch während der Kriegsjahre ab 1940 versuchten viele Zivilgemeinden, durch Kauf über die Reichsvereinigung der Juden in Deutschland die jüdischen Friedhöfe in ihre Hand zu bekommen und wenigstens die älteren Teile abzuräumen. Einer vollständigen Übernahme standen zumeist noch die vorgeschriebenen Liegefristen im Wege. Freiflächen von abgeräumten Grabfeldern, zerbrochene Grabsteine, zerschlagene Inschriftentafeln zeugen noch sichtbar von diesen Zerstörungen. Im Ergebnis haben die jüdischen Friedhöfe die NS-Zeit ganz unterschiedlich überdauert. Die einen wurden vollständig abgeräumt und sind untergegangen, andere sind weitgehend unversehrt erhalten. Dazwischen gibt es alle nur denkbaren Varianten.

Nach dem Krieg wurden die jüdischen Friedhöfe zumeist sehr schnell auf Druck ausgewanderter und mit den Alliierten zurückgekehrter Juden „wieder hergestellt“. Die Veräußerungen von Friedhöfen wurden rückgängig gemacht, offensichtlich oder vermeintlich unbelegte Teile wurden hingegen vielfach verkauft. Sonst aber fanden die Zerstörungen und Schändungen in den Wiedergutmachungs- und Entschädigungsverfahren der Nachkriegszeit kaum Beachtung. Es kamen keine Personen zu Schaden, der Sachschaden war rein rechnerisch gering.

Dass die Friedhöfe einer dauernden Gefährdung durch Vandalismus oder auch gezielter Schändungen heute noch ausgesetzt sind, muß immer wieder festgestellt werden. In Hessen gibt es genaue Vorschriften, wonach die jüdischen Friedhöfe eingezäunt und verschlossen zu halten sind. Ihre oftmals abseitige und versteckte Lage macht eine fortlaufende Überwachung jedoch schwierig. Das Problem hat man bisher nicht wirklich in den Griff bekommen.

In diesem Zusammenhang seien noch einige Bemerkungen zur topographischen Lage der Friedhöfe angeführt. Diese liegen zumeist, aber doch nicht immer vor einer bestehenden Siedlung, in älterer Zeit oft vor einer Stadtmauer, also außerhalb der Kernsiedlung. Vielfach sind sie heute von der modernen Bebauung eingeholt. Seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert wurde es üblich, neue jüdische Friedhöfe in der Nachbarschaft christlicher Friedhöfe, wenn auch klar getrennt, anzulegen. Hierfür gibt es zahlreiche Beispiele. Wann immer es möglich war, haben die Jüdischen Gemeinden ihre Friedhöfe ummauert. Dies war meist eine Kostenfrage.

Jüdische Friedhöfe sind normalerweise nur mit Gras bewachsen und nur gelegentlich von einzelnen markanten Bäumen durchsetzt. Waldfriedhöfe gibt es von Hause aus nicht, doch sind heute viele Friedhöfe mit Bäumen sekundär mehr oder weniger dicht bewachsen. Dies mag im Aussehen zu einem reizvollen, parkartigen Eindruck führen. Für die Grabsteine stellen die Bäume jedoch eine grundsätzliche, wenig beachtete Gefährdung dar. Unwetter und Stürme haben in den letzten Jahrzehnten auch auf den jüdischen Friedhöfen Bäume zum Umsturz gebracht, bisweilen regelrecht Schneisen geschlagen und manche Grabsteine zerstört. Man sollte dies durchaus zur Kenntnis nehmen.

Alle größeren Judenfriedhöfe sind in bestimmte Gräberfelder geteilt. Regelmäßig getrennt wurden verstorbene Kinder beerdigt, ebenso im Kindbett verstorbene Wöchnerinnen. Bei orthodox ausgerichteten Friedhöfen sind die Kohanim, deren Angehörigen das Betreten des Friedhofs verboten war, in Randlagen beerdigt worden. Familiengrabstätten gibt es auf den alten Friedhöfen bisweilen in geradezu archaischer Form, etwa inselartig angelegt. Bei orthodox ausgerichteten Friedhöfen waren hingegen Familiengrabstätten nur für die Ehepartner oder innerhalb Jahresfrist verstorbener enger Verwandter geduldet. Ausdruck dafür ist der Doppelgrabstein. Diese Aussage gilt vor allem für die Landfriedhöfe. Die Beerdigung in chronologischer Abfolge in Reihen ist auf jüngeren Friedhöfen und Friedhofsfeldern die Regel. Getrennte Felder nach verheirateten und unverheirateten Erwachsenen, auch solche nach dem Geschlecht männlich und weiblich sind nicht ganz selten. Angehörige der sich in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts in den großen Städten bildenden orthodoxen Gemeinden wurden zumeist auf separaten Abteilungen des allgemeinen jüdischen Friedhofs begraben, falls für sie nicht überhaupt eigene orthodoxe Friedhöfe wie beispielsweise in Wiesbaden eingerichtet wurden.

Was die Beschriftung der Grabsteine angeht, so sei hier nur auf das Verhältnis zwischen hebräischer und deutscher Inschrift eingegangen. Zusätzliche deutsche Inschriften oder Inschriftenteile finden sich schon zu Anfang des 19. Jahrhunderts, werden dann aber in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts häufiger oder gar zur Regel. Sie sind anfangs der hebräischen Inschrift untergeordnet, stehen unten am Sockel oder auf der Rückseite. Rein deutsche Texte gibt es vereinzelt schon Mitte des 19. Jahrhunderts, auf den städtischen Friedhöfen gewinnen sie die Oberhand, insgesamt sind diese auf den Landfriedhöfen jedoch selten. Umgekehrt gibt es bis ins 20. Jahrhundert hinein Grabinschriften, die ausschließlich hebräisch abgefasst sind. Die nachgeordneten deutschen Texte sind für eine Dokumentation trotz ihrer Kurzfassung gleichwohl wichtig. Sie nennen den bürgerlichen Namen, während der hebräische Text oft nur die hebräische Namensform bietet. Zudem enthält der deutsche Text vielfach den Geburtstag, der im hebräischen Text üblicherweise fehlt. Beide Texte ergänzen sich also. Nimmt man noch die für das 19. Jahrhundert vielfach erhaltenen Sterberegister hinzu, hat man dann zum Sterbedatum oft eine dreifache Überlieferung: hebräische Inschrift, deutsche Inschrift, Sterberegister. Freilich wird man dann oft genug feststellen müssen, dass die Angaben in den Tagen, Monaten und sogar in den Jahren erstaunlich oft abweichen. Hierfür mitverantwortlich ist der Brauch, die Steine erst ein Jahr nach dem Todesfall zu setzen. Als Resümee bleibt, dass die Daten der Grabinschriften nur bedingt zuverlässig sind und im konkreten Fall einer Überprüfung durch andere Quellen bedürfen.

Ein eigenes Kapitel bilden Aussehen und Material der Steine. Bekanntlich sollen jüdische Grabsteine keine Bildnisse tragen. Dies hindert nicht, dass schon in der Barockzeit im 18. Jahrhundert beispielsweise Engelsköpfe durchaus vorkommen können. Hier ist die Abhängigkeit vom christlichen Umfeld vor allem auf dem Lande mit Händen zu greifen. In dieser Zeit ist auch der individuelle Schmuckreichtum ausgeprägt, im 19. Jahrhundert findet sich hingegen oft eine gewisse Gleichförmigkeit. Allgemein bekannt sind die verbreiteten Symbole der segnenden Priesterhände für die männlichen Mitglieder der Kohanim, dem traditionellen Priestergeschlecht, und dann der Leviten mit der Wasserkanne, die den Priestern die Hände waschen. Aus dem Kultusbereich stammen das Schofarhorn und die Beschneidungswerkzeuge. Eine Sonderform sind die sehr ausgeprägten Hausmarken in Hanau für die älteren Felder, die dem Frankfurter Vorbild folgen. Der Davidstern als Symbol des Zionismus kommt erst im späten 19. Jahrhundert auf, ist dann aber sehr verbreitet. Dass mit den jüngst aus Osteuropa zugewanderten Juden deren Vorstellungen jüdischer Grabkultur auf den heute noch genutzten Friedhöfen deutlich sichtbar ist, sei abschließend vermerkt. Damit verbunden ist dann auch der Blumenschmuck, der sonst auf den jüdischen Friedhöfen nicht üblich ist.

Bevorzugtes Material der Grabsteine war der Sandstein. Er eignete sich am besten für die Beschriftung, ist aber auch umgekehrt meist sehr anfällig für die Verwitterung. Die vor allem im westlichen Hessen verbreiteten Kalksteine sind in der Beschriftung weniger strukturiert und daher schwerer lesbar. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts werden zunehmend Granite und Marmorsteine verwendet, dann aber auch wenig attraktive Kunststeine. Mit dem zeitlichen Wechsel der Gesteinsart ist dann oft auch der Übergang vom ursprünglichen Monolithen zum dreigeteilten Grabstein verbunden: Sockel, Körper, Dach. Eine Sonderform sind liegende Grabsteine nach sephardischem Brauch. Sie kommen vorherrschend auf dem alten Friedhof in Kassel-Bettenhausen bis Mitte des 19. Jahrhunderts vor und haben von dort auf die Friedhöfe in Fritzlar und Hebenshausen (Neu-Eichenberg), in Einzelfällen auch weiter ausgestrahlt.

Für die hier nur angedeuteten Merkmale jüdischer Friedhöfe und ihrer Grabsteine in Hessen lassen sich noch viele weitere Details feststellen. Die alten Friedhöfe haben oft sehr individuelle Eigenarten, die sie von den anderen Friedhöfen deutlich unterscheiden. Darin liegt ein besonderer Reiz der jüdischen Friedhöfe.

Hartmut Heinemann, Wiesbaden

Recherchehinweise

Im Modul „Jüdische Friedhöfe“ kann mithilfe einer → Einfachen Suche und einer → Erweiterten Suche recherchiert werden. Zudem ist eine → Übersicht mit einer Karten- und einer Listenansicht verfügbar, über die alle behandelten Friedhöfe zugänglich sind. Durch die Farbgebung ist unmittelbar erkennbar, ob der betreffende Friedhof bereits im Modul „Jüdische Grabstätten“ behandelt wurde.

Die Einfache Suche stellt eine Volltextsuche dar. Über die Erweiterte Suche können verschiedene Deskriptoren kombiniert werden, was gezielte Recherchen erlaubt. Mit der fortlaufenden Erweiterung des Moduls werden auch die Suchmöglichkeiten permanent ausgebaut. So ist vorgesehen (bzw. in Vorbereitung befindlich), Besonderheiten wie das Vorhandensein liegender Grabplatten, Ummauerungen, eigener Bereiche für Kohanim, Wöchnerinnen oder Suizidenten über die Erweiterte Suche in den Blick nehmen zu können. In den Suchfeldern Fläche (qm) und Anzahl Steine kann schon jetzt mit Hilfe der Vergleichsoperatoren <, <=, >, >= und dem Bereichsoperator - (z.B. > 1000, <= 50, 25-100) recherchiert werden.

Kontakt

Dr. Hartmut Heinemann
Kommission für die Geschichte der Juden in Hessen

Stefan Aumann
Hessisches Institut für Landesgeschichte, Marburg