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Hessische Biografie

Portrait

Ferdinand (Falck) Eberstadt
(1808–1888)

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Eberstadt, Ferdinand (Falck) [ID = 3287]

* 14.1.1808 Worms, † 9.2.1888 Mannheim, jüdisch
Kaufmann, Bürgermeister, Abgeordneter
Andere Namen | Wirken | Familie | Nachweise | Leben | Zitierweise
Wirken

Werdegang:

  • Kaufmann im Textil- und Kurzwaren-Großhandel
  • 1848 Mitbegründer und Mitglied des Wormser Demokratenvereins
  • 1849-1852 Erster Bürgermeister von Worms
  • 1849-1850 Mitglied der Ersten Kammer des Landtags des Großherzogtums Hessen als gewählter Abgeordneter für den Wahlbezirk 25 Oppenheim und Odernheim durch Nachwahl vom 2.1.1850, Vereidigung am 16.1.1850
  • 1852 in den Gemeinderat von Worms gewählt, die Wahl jedoch abgelehnt
  • seit 5.12.1857 Bürger von Mannheim

Funktion:

  • Hessen, Großherzogtum, 12. Landtag, 1. Kammer, Mitglied, 1849-1850
  • Hessen, Großherzogtum, 13. Landtag, 1. Kammer, Mitglied, 1850
Familie

Vater:

Eberstadt, Amschel Löb (August Ludwig), 1771–1839, Kaufmann

Mutter:

Gernsheim, Esther, 1775–1819

Partner:

  • Seligmann, Sara, (⚭ Worms 10.1.1837) * Kreuznach 24.6.1816, gest. Wildbad 13.8.1885, Tochter des Michel Seligmann, GND, 1773–1855, in Kreuznach, und der Rachel Anspach, 1790–1870, aus Metz

Verwandte:

  • Kahn, Emma, geb. Eberstadt, 1840–1906, verheiratet mit Bernhard Kahn, GND, 1827–1905, Bettfedern-Fabrikant in Mannheim
  • Kahn, Robert <Enkel>, GND, geboren Mannheim 21.7.1865, gestorben Biddenden 29.5.1951, Komponist, Pianist, emigriert nach England
  • Anspach, Philippe Leon <Onkel der Ehefrau>, 1801–1875, Jurist und Richter am Pariser Kassationsgericht, verheiratet mit Emile Dreyfus, Eltern von Laure, 1841, verheiratet mit Emilie Dreyfus, und Cecile, 1840–1912, verheiratet mit Gustave Salomon de Rothschild
Nachweise

Literatur:

Bildquelle:

Privatfoto Familie Eberstadt

Leben

Ferdinand Eberstadt (1808–1888) erlangte überregionale Bedeutung als erster jüdischer Bürgermeister einer deutschen Kommune. Der finanziell gut situierte Wormser Großhändler galt als hochgebildeter und ehrgeiziger Spross einer deutsch-jüdischen Kaufmannsfamilie, der „im geschäftlichen wie im politischen Leben ob seiner unabhängigen Auffassungen zahlreiche Streitigkeiten“ ausfechten mußte.1 Die Emanzipationsbestrebungen im deutschen Judentum verbanden sich auch bei Eberstadt mit einem ausgeprägten Interesse an der politischen Situation seiner Heimatstadt Worms und führten diesen in den 1840er Jahren zu einem aktiven kommunalpolitischen Engagement.

Im Vorfeld der 1848er Revolution bildeten sich in Worms zwei politische Lager heraus. Während sich die konservativen Kräfte im konstitutionell-monarchistisch ausgerichteten Bürgerverein sammelten, bildete das – sich mehrheitlich aus Handwerkern und Kleinbürgern zusammensetzende – republikanisch-fortschrittlich orientierte Lager den Demokratenverein. Dessen Anhänger scharten sich um den Weingutsbesitzer Johann Philipp Bandel, den Arzt Dr. Ferdinand von Loehr und eben jenen Ferdinand Eberstadt. Publizistisch repräsentierte die von Dr. von Loehr gegründete „Neue Zeit“ den Demokratenverein, die der den konservativen Kräften zugeneigten „Wormser Zeitung“ gegenüberstand. Die „Neue Zeit“ vermochte die „demokratische“ Position rhetorisch geschickt den Wormser Bürgern zu vermitteln und durch das Aufzeigen pragmatisch-konkreter Politikziele von ihrer Position zu überzeugen. Die Wormser Bürger hofften vor dem Hintergrund einer von der Industrialisierung kaum tangierten Stadt, insbesondere durch die Förderung des Handwerks „auf eine Besserung der wirtschaftlichen Verhältnisse“.2 In Verbindung mit der publizistischen Unterstützung gelang es dem politisch außerordentlich aktiven Demokratenverein die öffentliche Meinung in seinem Sinne zu beeinflussen. Dies manifestierte sich in der nach dem Rücktritt des Bürgermeisters Friedrich Renz notwendig gewordenen Bürgermeisterwahl im Januar 1849. Aus den agitatorisch scharf geführten publizistischen Auseinandersetzungen im Wahlkampf gingen die Demokraten mit überwältigender Mehrheit (834 Stimmen für den Bürgerwehrobristen und Weinhändler Ludwig Blenker, 795 für den Weingutbesitzer Johann Philipp Bandel, 791 für den Kaufmann Ferdinand Eberstadt) hervor, mußten allerdings die politischer Befindlichkeiten geschuldete Entscheidung des großherzoglichen Innenministeriums, den als moderat geltenden Eberstadt als Wormser Bürgermeister zu ernennen und damit das Quorum in der Regierung genehme Bahnen zu lenken, akzeptieren.3 Der neue Bürgermeister Ferdinand Eberstadt entstammte einer seit dem 17. Jahrhundert in Worms ansässigen jüdischen Familie und führte den Textil- und Kurzwaren-Großhandel seines Vaters erfolgreich fort. Dieser materielle Wohlstand erlaubte es Eberstadt politisch aktiv zu werden, wobei er stets den kommunal- und lokalpolitischen Rahmen als Bezugspunkt konservierte.

Vor dem Hintergrund der von der 1848er Bewegung erhobenen Forderung nach allgemeiner Volksbewaffnung (verbunden mit der Aufstellung von Bürgermilizen), begannen in Worms Haussammlungen zum Erwerb für die hierfür benötigten Waffen. Infolge der radikalen Vorgehensweise bei Anhängern des Bürgervereins sowie dem Vorwurf aufrührerischer Reden erfolgte eine Anklage wegen Erpressung gegen Bandel, Eberstadt und Salomon Lohnstein. Als Kläger traten neben Friedrich Renz unter anderem auch die Brüder Abraham und Leopold Levy auf, wodurch ersichtlich wird, „daß die Wormser Juden in beiden Lagern vertreten waren“.4 Bekannt wurde diese Episode Wormser Geschichte als „Rheinhessischer Hochverratsprozeß“, der 1850 in Mainz verhandelt wurde und mit einem Freispruch für alle Angeklagten endete. Eberstadt war aufgrund der Anklage jedoch zeitweilig vom Bürgermeisteramt suspendiert und legte infolgedessen 1852 dieses Amt nieder. Obschon er bei folgenden Wahlen immer mit guten Ergebnissen in den Gemeinderat gewählt wurde, bewog ihn vor allem das Verhalten der Ankläger, im Jahr 1857 mit seiner Frau Sara (geb. Seligmann) und seinen zehn Kindern nach Mannheim zu übersiedeln.

Privat galt Eberstadt zeitlebens als strenger Patriarch, für den der Familienzusammenhalt oberstes Gebot darstellte und der sehr an der Fortführung familiären Wohlstands interessiert war. Eberstadts Frau Sara brachte ihn in verwandtschaftliche Beziehungen mit den einflußreichen und wohlhabenden jüdischen Familien Anspach (Metz, Paris) und de Rothschild (Paris). Außerdem ragen aus Eberstadts Nachkommen die Töchter Emma Stephanie Kahn und Bertha Hirsch heraus, deren Heiraten mit in Mannheim hoch angesehenen Persönlichkeiten (Benedikt, genannt Bernhard Kahn; Emil Hirsch) aus dem Wirtschaftsleben auch für die kulturelle Entwicklung der Region bedeutende Familienzweige begründeten. Darüber hinaus sind ausgehend von Ferdinand Eberstadt auch interessante überregionale und internationale Verwandtschaftsbeziehungen und Verbindungen nachzuweisen, die „ihn ebenso wie im nationalen Bereich (AEG, Deutsche Bank, Reichsbahn) zum Ausgangspunkt geradezu spannender Querverbindungen“ machen.5

Sebastian Pella


  1. Fritz Reuter, Warmaisa. 1000 Jahre Juden in Worms. 2. Aufl. Frankfurt am Main 1987. S. 157.
  2. Ebd. S. 156.
  3. Vgl. hierzu: Fritz Reuter, Johann Philipp Brandel (1785–1866). Ein Wormser Demokrat, Altertümer- und Kunstsammler im 19. Jahrhundert, in: Der Wormsgau 8, 1967/1969, S. 41-67, hier S. 48 f.; Hans Kühn, Politischer, wirtschaftlicher und sozialer Wandel in Worms 1798–1866 unter besonderer Berücksichtigung der Veränderungen in der Bestellung, den Funktionen und der Zusammensetzung der Gemeindevertretung. Beiheft „Der Wormsgau“, Nr. 26. Worms 1975. S. 31 f.
  4. Fritz Reuter, Warmaisa. 1000 Jahre Juden in Worms, a.a.O., S. 158.
  5. Fritz Reuter, Warmaisa. 1000 Jahre Juden in Worms, a.a.O., S. 159.
Zitierweise
„Eberstadt, Ferdinand (Falck)“, in: Hessische Biografie <https://www.lagis-hessen.de/pnd/116329947> (Stand: 14.1.2024)