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Mittelhessisches Flurnamenbuch (MHFB) - Projektbeschreibung

Konzeption und Ziele  Symbol für PDF-Dateien

Verortung des Gegenstandsbereichs

Der Naturraum

Der Kreis Gießen, wie er als administrative und politische Einheit seit der Gebietsreform Anfang der siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts besteht, umfasst 109 ehemals selbstständige Orte mit eigenen Gemarkungen, die heute in 18 Großgemeinden zusammengefasst sind. Die für diesen Raum erhobenen Flurnamenbestände decken die gesamte Kreisfläche ab. Enthalten sind darin die Waldnamen ("Forstortsnamen") und auch innerörtliche Namen, soweit sie von den Sammlern mitgeteilt wurden.

Als Naturraum weist der Kreis Gießen keine markanten Außengrenzen auf. Er reicht von den Ausläufern des Rothaargebirges im Westen mit dem "Dünsberg" (Biebertal) als markantem Eckpfeiler bis an den Vogelsberg im Osten, dessen halbwegs fruchtbare Ausläufer noch umfassend. Im Norden bilden die Höhenzüge, die das Lumdatal und das Salzbödetal nördlich begrenzen, die Grenze gegen das Marburger Land. Der Süden geht landschaftsmorphologisch fließend in die Wetterau über und im Südwesten in die Ausläufer des Taunus. Vgl. insgesamt dazu den "Gießener Geographischen Exkursionsführer" (Schulze / Uhlig 1982).

Elemente der Siedlungsgeschichte

Die für die historischen und die heutigen Namenlandschaften maßgebliche Siedlungsgeschichte mit der dazu gehörigen siedlungskulturellen Landeserschließung (Patze 1970, Knauß 1976) ist naturräumlich geprägt durch die fruchtbare und leicht hügelige Landschaft des Gießener Beckens und dessen Übergang zur Wetterau mit ihren relativ frühen Siedlungen (Steen 1979). Über die Besiedlung wasserreicher und einigermaßen fruchtbarer Täler wie dem Lumdatal und dem Biebertal setzte sich die Besiedlung fort. Die waldreichen, aber landwirtschaftlich schwerer und unergiebiger zu nutzenden Randräume, insbesondere im Westen und Osten wurden offenbar erst seit dem hohen Mittelalter intensiver besiedelt, und dies in engem Verbund mit dem Aufkommen von regionalen Dynasten, vor allem den Grafen von Solms (Hohensolms-Königsberg, Lich, Laubach, Hungen) und mittelalterlichen Gründungsstädten (Grünberg). Bedeutend wurden die Grafen von Gleiberg vor allem, weil sie mit der Gründung der Stadt Gießen um 1140 den Zentralort etablierten, der heute die Kulturlandschaft (in jeder Hinsicht) des Kreises Gießen zusammenhält (und gegen Wetzlar, Marburg, Schotten, Butzbach-Friedberg abgrenzt).

Landschaftskuturelle Erschließung

Die Nutzung der umfangreichen Wälder von der Viehhaltung (Hutewirtschaft) über die Holzeinschläge bis zur intensiv betriebenen Meilerei bildet den Kontrast zur Ackerbauwirtschaft der Beckenlandschaften und prägt die Flurlandschaften bis auf den heutigen Tag. Hinzu kommt der intensiv betriebene Eisenerzabbau und die Gewinnung von Eisen ("Waldschmieden", "Schmelz").

Besonders wichtig für die agrarkulturelle Erschließung hingegen des Gießener Raums wurde die Gründung des Zisterzienserklosters Arnsburg mit umfangreichem, weit gestreuten Grundbesitz besonders im östlichen Teil des Untersuchungsgebiets (und der Wetterau) (Kuczera 2003). So verstärkte sich im Untersuchungsraum der siedlungskulturelle Kontrast zwischen - pauschal gesprochen - agrarischem Zentrum und forestaler Peripherie.

Der Kreis Gießen als Landesteil Hessens

In politischer Hinsicht gewannen die Landgrafen von Hessen mit der Zentralfunktion von Gießen immer stärkeren Einfluss, herrschten gemeinsam mit Nassau im "Gemeinen Land" zwischen Gleiberg und Hüttenberg und drängten die im Mittelalter zeitweise mächtigen Solmser immer stärker in den Hintergrund. Deren Erbteilungen führten einerseits zum Verlust von Einfluss, förderten aber mächtig die Entwicklung von Kleinterritorien und Residenzen; im Untersuchungsraum vor allem Lich, Laubach und Hungen mit jeweils eigener Grafen-Linie (Uhlhorn 1931). Im Westen liegt Hohen-Solms (Lahn-Dill-Kreis), benachbart Königsberg als westlichster Kreisgemeinde.

Mit der Konsolidierung der Landesherrschaft und vor allem nach der Mediatisierung Anfang des 19. Jahrhunderts war die Landgrafschaft Hessen, seit 1806 das Großherzogtum Hessen-Darmstadt, die dominierende Macht. Da Gießen Hauptstadt der Provinz Oberhessen war, wurde die politische und kulturelle Orientierung nach Süden, nach Darmstadt (und jenseits der politischen Organisation: nach Frankfurt) immer stärker und blieb es bis auf den heutigen Tag.

Sprache und Sprachgeschichte

In sprachlicher Hinsicht stellt der Kreis Gießen ein relativ einheitliches Gebilde dar. Er bildet auch räumlich den Kern dessen, was früher "oberhessisch" hieß und jetzt "mittel-" oder "zentralhessisch" genannt wird (Wiesinger 1980). Kennzeichnend sind starke Dialektmerkmale des Vokalismus wie die steigenden Diphthonge (/brourer/ 'Bruder', /feier/ 'vier', /fois/ 'Füße'), die Hebung der Langvokale (/gru:s/ 'groß', /gli:/ 'Klee'), der /au/-Diphthong für sonstiges /eu/ (/auer/ 'euer'). Im Konsonantismus gelten der /n/-Ausfall mit Ersatzdehnung (/li:se/ 'Linse(n)') und der Rhotazismus (/zeiring/ 'Zeitung') als Kennzeichen, wobei in manchen Orten statt dessen der Lambdazismus galt (/zeiling/ 'Zeitung', /brouler/ 'Bruder) oder noch gilt (so in Wißmar).

Sprachgeschichtlich erklären sich die sprachliche Sonderstellung des Mittelhessischen in den hessischen Sprachlandschaften und die starken strukturellen Ähnlichkeiten mit dem Moselfränkischen aus der Tatsache, dass die meisten dieser Erscheinungen als Sprachbewegungen vom Rhein und Niederrhein in den Rhein-Main-Raum um Mainz und Frankfurt gekommen sind und von dort nach Norden ausgestrahlt haben. Während sie sich hier bis in den Marburger Raum gehalten und weiterentwickelt haben, ist Frankfurt (mit Südhessen) im Bereich der südlichen und der rheinfränkischen Spracheinflüsse gekommen bzw. verblieben. So erklären sich die sehr unterschiedlichen Dialektlandschaften Süd- und Mittelhessens (Ramge 2000c).

Flurnamenräume

Wie stark allerdings die Bindungen Mittelhessens und damit auch des Gießener Raums nach Süden sind, zeigt sich vielleicht am eindrucksvollsten in den unterschiedlich ausgeprägten Flurnamenlandschaften Hessens (Ramge 1987, Hessischer Flurnamenatlas 1987). Eine massive Namengrenze, die "mittelhessische Namenscheide", verläuft von der Kinzig über den Südrand des Vogelsbergs Richtung Lahn, die zwischen Gießen und Marburg überquert wird und im Raum Biedenkopf an der oberen Lahn endet. Diese Namen- und Sprachscheide trennt den hessischen Norden vom hessischen Süden. Der Nordrand unseres Untersuchungsgebiets zwischen Vogelsberg und Lahn entspricht ziemlich genau dieser Namenscheide, die natürlich keine Ort-für-Ort-Grenze darstellt, sondern einen breiten Übergangsgürtel umfasst.

Sprachlich und im Namenbestand weisen der Gießener Raum und die Wetterau sehr viele Gemeinsamkeiten auf, so dass die Erarbeitung der Flurnamenbestände des Kreises Gießen exemplarisch auch für die Struktur der Flurnamenbestände in der Wetterau gilt.

Deshalb wurde der Arbeitstitel "Mittelhessisches Flurnamenbuch" für die Schlussversion beibehalten, auch wenn er in der Sache sich nur auf den Kreis Gießen bezieht. Diese Einschränkung wird durch den Untertitel zum Ausdruck gebracht.

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