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Bericht eines amerikanischen Augenzeugen für Judendeportationen aus Frankfurt, 24. Juli 1942

Amerikanischer Augenzeuge berichtet über Lage in Deutschland und Judendeportationen in Frankfurt, 24. Juli 1942

Das in New York erscheinende jüdische Monatsmagazin „Aufbau“ des German Jewish Club berichtet über einen Vortrag von Edwin Van D'Elden in der vergangenen Woche. Van D'Elden war früher Geschäftsführer der amerikanischen Handelskammer in Frankfurt am Main und ist, so der Bericht, vor kurzem aus Deutschland repatriiert worden. Als Augenzeuge spricht er in einem überfüllten Saal vor dem New World Club in New York über Deutschland bis zum Mai 1942 (das heißt wohl bis zu seiner Abreise aus Frankfurt). Deutschland hat den Krieg bereits verloren, ist seine Einschätzung der Gesamtsituation.

In seinem Vortrag gibt er einen Einblick in die Atmosphäre im nationalsozialistischen Deutschland:
Die Verluste an der Front, die Ernährungslage, die Beförderungs- und Bekleidungskrise, die noch immer gemachten Gehaltsabzüge für den „Volkswagen“, die antideutsche Stimmung in den besetzen Ländern und Italien, die Stimmung unter den Frauen, die einst die Schildträger der Nazibewegung waren, die jetzt aber über die Knappheit der Lebensmittel, die Kirchenverfolgungen, die Verluste, die Untergrabung der Moral der Jugend und die allgemeine Bespitzelung auf das höchste erregt sind. Van D'Elden berichtet über die Todesstrafe, die für das Hamstern oder auch nur den Tausch von Lebensmitteln, für sogenannte Betrügereien mit Kleiderkarten, für das was die Nazis unter „Sabotage“ verstehen und für „Rassenschande“ zwischen polnischen Arbeitern und deutschen Mädchen verhängt wird. In Deutschland seien jetzt über drei Millionen Ausländer beschäftigt, die meisten von ihnen Italiener, die sich wegen ihrer Disziplinlosigkeit keiner besonderen Achtung erfreuen, aber straflos bleiben, weil man die „Bundesgenossen“ nicht verärgern will. Wenn man sie fragt, warum sie nicht an der Front sind, so bekommt man zur Antwort: „Das ist Hitlers Krieg!“. Auch polnische und französische Arbeiter würden in größerer Zahl beschäftigt, wovon die Franzosen gekommen seien, weil es in Deutschland mehr zu essen gebe und sie hier mehr verdienten als in Frankreich.
Van D'Elden berichtet außerdem, dass es in Berlin Straßenkontrollen jüngerer jüdischer Männer gegeben habe, weil sich deutsche Soldaten, die von der Ostfront desertiert seien, einen Davidsstern anhefteten, um ihrer Verhaftung und Hinrichtung zu entgehen.

Gut informiert ist Van D'Elden offensichtlich über die Judendeportationen aus Frankfurt: Die Lage der Juden in Frankfurt a.M. war im grossen und ganzen ähnlich der in anderen deutschen Städten. Aus Frankfurt wurden Juden zum ersten Male Mitte Oktober vorigen Jahres deportiert1. Tagelang vorher schwirrten bereits Gerüchte über eine bevorstehende Deportation, bis eines Morgens nach einer anscheinend willkürlich zusammengestellten Liste Arme und Reiche, Aerzte, Anwälte, die Oberin des jüdischen Krankenhauses, Krankenschwestern, Künstler, ein blinder Organist, der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde u.a. innerhalb von drei Stunden „auswandern“ mussten. Die zu Deportierenden mussten sich in der Großmarkthalle versammeln, konnten mitbringen, was sie zu tragen vermochten und mussten sich einer Leibesvisitation unterziehen. Nachdem sie auf einem Schein unterschrieben hatten, dass sie „freiwillig“ auswanderten, wurden sie nach Polen verschickt. Es gab nur einen Trost: die Würde, mit der diese Unglücklichen ihr Schicksal ertrugen, – eine Würde, die selbst einige Nazis tief beeindruckt hatte. Kurz nach ihrer Ankunft in Litzmannstadt, wo sich etwa 200.000 Juden befinden sollen, kamen Briefe in Frankfurt an mit der Bitte um Geld und Lebensmittel.
Von drei weiteren Transporten
2
(OV)


  1. Am 20. Oktober 1941 wurden etwa 1.125 Juden von Frankfurt nach Litzmannstadt (Lodz) deportiert. Siehe 20. Oktober 1941
  2. Gemeint sind vermutlich die von Frankfurt abgehenden Deportationen vom 11.-12. November 1941, vom 22. November 1941 und vom 8. Mai 1942.
Belege
Empfohlene Zitierweise
„Amerikanischer Augenzeuge berichtet über Lage in Deutschland und Judendeportationen in Frankfurt, 24. Juli 1942“, in: Zeitgeschichte in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/edb/id/4732> (Stand: 27.6.2023)
Ereignisse im Juni 1942 | Juli 1942 | August 1942
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