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Geheimer Bericht des Sicherheitshauptamts der SS über unmoralisches Verhalten deutscher Frauen, 13. April 1944

Unter der Überschrift Unmoralisches Verhalten deutscher Frauen. Gefahren – Gründe – Vorschläge behandelt das Sicherheitshauptamt der SS in einem geheimen Bericht an den „Reichsschatzmeister“ der NSDAP, Franz Xaver Schwarz (1875–1947) ein augenscheinliches gesellschaftliches Problem, das mit der Dauer des Krieges immer deutlicher geworden ist:

In weitaus größerem Maße als im ersten Weltkriege, so wird betont, sind im jetzigen Kriege die Frauen aus ihrer friedensmäßigen Lebensordnung gelöst. Sie stehen im Arbeitseinsatz, vielfach außerhalb ihres Heimatortes, oder wurden im Zuge der Evakuierung aus Luftnotgebieten in fremde Umgebungen und Verhältnisse verpflanzt. Viele Hunderttausende von Mädchen und Frauen sind von ihren Eltern, Verlobten und Ehemännern getrennt und können nur für kurze Urlaubszeiten mit ihnen zusammen sein.
Infolge der langen Dauer des Krieges haben diese Umstände bei einem Teil der Frauen zu einem Absinken der Moral geführt. Wenn die sittlichen Verwahrlosungserscheinungen auch noch nicht den Umfang angenommen haben wie in den Jahren 1914/18, so liegen doch aus allen Reichsteilen Meldungen vor, die darin übereinstimmen, daß es sich nicht mehr um Einzelerscheinungen handele, sondern daß ein großer Teil der Frauen und Mädchen in immer stärkerem Maße dazu neige, sich geschlechtlich auszuleben. In erster Linie falle dies bei den Kriegerfrauen auf. Es gäbe in vielen Orten stadtbekannte Verkehrslokale der Kriegerfrauen, in denen sie Männer kennenzulernen suchen, um sich von ihnen nach Hause begleiten zu lassen. Die Kinder seien bei einem solchen Treiben der Mütter vielfach sich selbst überlassen und drohen zu verwahrlosen.

Nach der Schilderung von drastischen Beispielen (deren Wahrheitsgehalt sich nicht überprüfen lässt), stellt der Bericht fest, dass es sich in den meisten bekannten Fällen um Frauen aus einfacheren Kreisen handele, dass den Meldungen zufolge die moralische Haltung von Frauen anderer Kreise eine ähnliche Entwicklung nehme, jedoch aufgrund der günstigeren Wohnverhältnisse solches Verhalten in besseren Kreise weniger bekannt würde.

Neben den Kriegerfrauen, die vielfach durch unmoralischen Lebenswandel Ärgernis erregen, sind nach Ansicht der Bevölkerung auch große Teile der ledigen Frauen in ihrer sittlichen Haltung nicht einwandfrei und zeigen einen starken Hang zum sexuellen Sichausleben, was an den zahlreichen Schwangerschaften und Geburten unter den 14 bis 18-Jährigen sowie Geschlechtserkrankungen zu erkennen sei. Der Bericht zitiert dazu Beispiele aus Frankfurt am Main und dem Rhein-Main-Gebiet: Bemerkenswert wäre auch der frühe Geschlechtsverkehr von 13 bis 21-jährigen Mädchen. Fälle der Hingabe von 13 bis 14-jährigen Mädchen wären keine Seltenheit. Aus Mainz wird berichtet, daß 14 bis 15-jährige Mädchen sich hintereinander von mehreren 17-jährigen Burschen geschlechtlich gebrauchen lassen. Die Festnahme von 15-, 16-jährigen bzw. auch älteren Mädchen wegen Umhertreibens und Verkehrs mit Männern würde des öfteren erfolgen. So wären beispielsweise in letzter Zeit, so berichtet Darmstadt, 30 Jugendliche im Alter von 15 bis 21 Jahren in das Ohly-Stift Gräfenhausen – ein weibliche Zwangserziehungsanstalt – eingeliefert worden. Die Zahl der Geschlechtserkrankungen bei den weiblichen Jugendlichen wäre ständig im Ansteigen, und zwar nicht nur an Gonorrhöe, sondern auch an Lues1.

Besonders gravierend ist für die Berichterstatter die Wirkung des unmoralischen Verhaltens von Frauen auf die Moral der Truppe und der einfachen Soldaten, die im Kriegseinsatz stehen: Die Rückwirkungen ehelicher Untreue von Soldatenfrauen auf die Männer an der Front ist als besonders schwerwiegend anzusehen. Die Männer werden durch Benachrichtigung seitens der Nachbarn über den Lebenswandel ihrer Frauen stark beunruhigt. Vielfach würde dann der Staat dafür verantwortlich gemacht, der nicht in der Lage sei, die Familie in Ordnung zu halten, während sie an der Front ständen. Häufig würden Parteistellen und Polizei um Überwachung der Ehefrauen gebeten oder die militärischen Vorgesetzten um Hilfe angegangen.

Ausführlich werden im Bericht die vermuteten Gründe für diese moralische Entwicklung der Frauen diskutiert, die von den schlechteren Heiratsaussichten nach dem Krieg durch den Frauenüberschusses, über die Sexualnot junger Frauen wegen des seltenen Heimaturlaubs ihrer Männer bis zur starken Erotisierung des öffentlichen Lebens in Schlagertexten, Filmen, illustrierten Zeitungen usw. reichen. Angeführt werden aber auch ein Gleichziehen mit den Männern, bei denen man ein Ausleben ihrer sexuellen Bedürfnisse in den Einsatzgebieten unterstellt, das verderbliche Vorbild führender Kreise, die Möglichkeit, an Mangelware wie Seidenstrümpfe, Schuhe, Zigaretten oder Spirituosen zu kommen oder der Reiz, den ein sexueller Kontakt mit Fremdvölkischen auf sie ausübe, wobei die Frauen vor allem bei den Franzosen [...] die diesen eigene schmeichlerische Galanterie verlockend und ferner die Befriedigung einer gewissen Sensationslust auf sexuellem Gebiet fänden.

Anmerkung: Der Bericht benennt die Probleme einer veränderten Sexualmoral vieler Frauen sehr deutlich. Er weist auf die vielfältigen Zusammenhänge dieser Entwicklung mit der Kriegssituation hin, die sich nicht nur auf das Leben jedes einzelnen Mannes an der Front, sondern auch auf das Leben vieler Frauen massiv auswirkt. Ein wirkliches Verständnis für die Gründe dieser Entwicklung und für ihren letztlich emanzipatorischen Charakter scheint bei den Berichterstattern jedoch nicht vorhanden zu sein. Die krasse Diskrepanz zwischen dem geschilderten und offenbar massenhaft zu beobachtenden Verhalten vieler Frauen und dem von der nationalsozialistischen Ideologie propagierten Bild der sittlichen „deutschen Frau“ wird nicht diskutiert.
(OV)


  1. Syphilis
Belege
Weiterführende Informationen
Empfohlene Zitierweise
„Geheimer Bericht des Sicherheitshauptamts der SS über unmoralisches Verhalten deutscher Frauen, 13. April 1944“, in: Zeitgeschichte in Hessen <https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/edb/id/4677> (Stand: 14.1.2022)
Ereignisse im März 1944 | April 1944 | Mai 1944
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